Hypnotischer Psycho-Blues aus Boston: Come verarbeiten ihre Traumata

Da haben wir den Salat. Begehre von den führenden Köpfen einer Band unabhängig voneinander zu wissen, wovon das aktuelle Oeuvre dieser Band denn nun handelt – und schon hast du zwei verschiedene Antworten. Auf den ersten Blick jedenfalls. Thalia Zedek, die ihr Gegenüber zu hypnotisieren vermag wie die Schlange Kaa aus dem „Dschungelbuch“ – die Gitarristin, Sängerin und Songschreiberin von Come also sagt: „Wenn es denn ein Thema gibt, dann geht es um ein Gefühl des Treibens und Sichtreiben-lassens. Immer wieder tauchen in unseren Songtexten Bilder von Booten auf. Es geht aber auch darum, die Dinge aus einer Isolation heraus zu betrachten.“ Chris Brokaw, ebenfalls Gitarrist, Songwriter und Sänger bei der Band aus Boston, wird später ausführen, es habe jedenfalls „kein Konzept gegeben, wenn Du das meinst“. Dann macht er eine Pause, gefolgt von einem „Shit, keine Ahnung!“. Schließlich dies: „Vielleicht geht es um ein paar Traumata aus Beziehungen und wie man da durchkommt, einigermaßen intakt. Ich weiß nicht, ob… Nun, keine Ahnung. Ein Song ist ein Song, und das Gute daran ist, daß er offen für Interpretationen ist.“ Brokaws Credo von der Offenheit des Kunstwerks darf man bei Come keineswegs mit kreativer Konfusion verwechseln. Und wenn sie sympathisch wenig Aufhebens um ihre Band machen, sollte man ihnen ob dieser Bescheidenheit noch lange nicht unterstellen, sie seien ambitionslos. Sie wollen nur lieber ihre Musik sprechen lassen.

Wozu sie mehr Grund denn je haben. Schließlich hat die Formation gerade ihr drittes und bisher bestes Album abgeliefert. Stand zumal der Vorgänger „Don ‚t Ask, Don ‚t Tell“ als schmutzig-blauer, beinahe undurchdringlicher Sound-Monolith da, so wartet „Near Life Experience“ jetzt mit präzis gezeichneten, unerwartet differenzierten Arrangement-Farbenauf, die den Songs Tiefe geben und neue Räume eröffnen.

Es mag naheliegen, die neue Vielfalt auf das Konto von Produzent John McEntire gutzuschreiben. Doch für Thalia war er einfach „der nette Typ, der die Mikros richtig aufgestellt hat. John hat die Platte nicht wirklich produziert, denn an der Musik arbeiten wir kaum mit ihm“. Einmal immerhin durfte McEntire seine Marimbas auspacken.

So war „Near Life Experience“ eher eine Trotzreaktion von Zedek und Brokaw, die plötzlich mit dem Rücken zur Wand standen, als die vertraute Rhythmus-Gruppe zum Abschied leise Servus sagte. Was keineswegs gegen Arthur Johnson und Sean O’Brien spricht, die ihre Klasse noch unlängst auf dem letzten Steve-Wynn-Album „Mebingln The Dark“ noch einmal dokumentieren konnten, bevor sie dem Bandund vor allem Tour-Leben ade sagten, um endlich wieder mehr Zeit fürs traute Heim (Johnson) beziehungsweise Weiterbildung (O’Brien) zu haben. „Es war für uns ein Schuß ins Dunkle“, sagt Zedek über die Session mit den neuen Rhythmus-Leuten Bundy Brown (Gast Del Sol) und Mac McNeilly (Jesus Lizard), denen gerade einmal zwei Nächte für das Proben der unbekannten Songs blieben.

An einen Wechsel zur Industrie haben Come bisher nicht gedacht. Man solle, so Zedek, „sehr vorsichtig sein“ damit: „Wenn du nämlich erst mal drinhängst in dieser Maschinerie, kommst du kaum wieder heraus – und dann wird alles viel komplizierter.“

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