Aber schön war es doch!

Zum Jubiläum versuchen diverse Autoren, das Phänomen Woodstock zu ergründen.

Was Woodstock alles war! Ein Mythos. Ein Mirakel. Ein Chaos. Eine Schlammschlacht. Ein Erweckungserlebnis. Ein Albtraum. Ein – Zufall? Vor 40 Jahren fand es statt, das größte Festival aller Zeiten. Nicht in Woodstock, sondern 75 Kilometer weiter, auf Max Yasgurs Farm nahe White Lake. Und noch heute werden Tausende von Bäumen gefällt für Bildbände und Studien über das Festival – zum Jubiläum gibt es gleich ein halbes Dutzend neue Bücher.

Martin Scorsese, der als Cutter für Michael Wadleighs Festival-Film fungierte, erinnert sich zwar nur „begrenzt“ an die Ereignisse – er musste immer zur Bühne sehen und verpasste dadurch das Publikum -, schreibt in seinem Vorwort zur großformatigen Chronik „Woodstock“ von Mike Evans und Paul Kingsbury (Collection Rolf Heyne, 39,90 Euro) der Dokumentation aber eine entscheidende Bedeutung für die Mythologisierung dieses Wochenendes zu: „Ohne unseren Film wäre das Konzert in Woodstock nicht mehr als eine Fußnote der soziokulturellen Geschichte der Sechzigerjahre geworden – eine Standfotografie in einem Bildband, ein oder zwei Zeilen in den Geschichtsbüchern.“ Nur durch die bewegten Bilder, so seine These, blieb Woodstock als Erlebnis erfahrbar und im kollektiven Gedächtnis haften. Das Buch beleuchtet nicht nur die Filmaufnahmen, sondern auch all die Ereignisse drumherum mit Zeitungsausschnitten, vielen Anekdoten und einer detaillierten Aufzählung der Künstler samt Songlisten. Am eindrucksvollsten bleiben aber die Bilder. Auch wenn man angesichts mancher Statistik lieber nicht hinsehen möchte. So liefen zum Beispiel 450 Kühe zwischen den Campern herum, und es gab 600 Toilettenhäuschen. Für eine halbe Million Menschen.

Auch die „Woodstock Chronicles“ von Richard Havers und Richard Evans (Edition 01ms, 29,95 Euro) konzentrieren sich auf bunte Bilder und viele putzige Details, von denen man größtenteils freilich schon mal gehört hat.

Immerhin werden hierauch die Gagen aufgelistet – und da zeigt sich, dass sich bei allem Hippietum ein cleverer Manager auszahlt: Jimi Hendrix bekam 32 000 Dollar, Jefferson Airplane und The Who nur 12 000. Und die Rock’n‘ Roll-Theater-Gruppe Sha Na Na wurde mit 300 Dollar abgespeist.

Wer doch mehr als schöne Fotos und eher unkritische Nostalgie möchte, hat immer noch eine breite Auswahl. Schon 1974 haben die beiden Kapitalgeber des Festivals, Joel Rosenman und John Roberts, ihre Sicht der Ereignisse mit Robert Pilpels Hilfe aufgeschrieben: „Making Woodstock“ (Orange Press, 20 Euro) erscheint nun in der Neuauflage mit dem vielsagenden Untertitel „Das legendäre Festival und seine Geschichte (erzählt von denen, die es bezahlt haben)“. Obwohl die beiden Geschäftsmänner (Roberts starb 2001, Rosenman investiert immer noch fleißig und arbeitet an neuen Woodstock-Versionen) wohl spätestens seit den frühen 80er Jahren dank der Film- und sonstigen Vermarktungsrechte aus den roten Zahlen sind, erinnern sie sich mit fröhlichem Masochismus an all die Fallstricke, die bei der Organisation dieses Großereignisses lauerten. Auch waren es natürlich immer die anderen (die „Organisatoren“ Michael Lang und Artie Kornfeld), die sich verrechneten und alles vermasselten. Am Ende hält Roberts Woodstock für einen „Zufall“: „Verschiedene Strömungen des damaligen Zeitgeistes trafen bei unserem Festival zusammen.“

Naturgemäß etwas distanzierter geht RS-Autor Frank Schäfer in „Woodstock ’69 – die Legende“ (Residenz. 17.90 Euro) zu Werke – und er analysiert die einzelnen Auftritte so präzise wie unterhaltsam. Die Rolle des Spielverderbers kommt Pete Townshend zu, der sich von der feierlichen Stimmung nicht anstecken ließ: „Als zynisches englisches Arschloch lief ich auf dieser Veranstaltung mit dem Gefühl rum, ich müsste alle anspucken und aufrütteln, damit sie kapierten, dass sich gar nichts geändert hatte, dass sich nichts je ändern würde.“ Was Idealisten wie der Hog-Farm-Kommunarde Wavy Gravy anders sahen. Er war sich allerdings auch der weltweiten Wirkung der TV-Kameras bewusst: „Es macht dir doch nichts aus, auf einem Haufen Abfall zu hocken, wenn du weißt, dass du Geschichte machst.“ In diesem Falle galt eben doch: The revolution will be televised. Es war das Geburtswochenende der Festival-Kultur, wenn man es denn Kultur nennen will.

Manch einer hätte wohl lieber darauf verzichtet. Jörg Güldens Abhandlung „Woodstock – Wunder oder Waterloo?“ (Hannibal, 14,95 Euro) nennt sich „Eine Abrechnung“. Nun war der Autor damals gar nicht vor Ort – und es wird nicht ganz klar, was ihn an dem Festival so störte; abgesehen davon, dass er nicht gern durch den Schlamm gewatet wäre und miese Hamburger gegessen hätte. Ein wenig nervt auch der vielzitierte „Freund Maik“, der ständig von Schmutz und schlechtem Sound schlaumeiert: Eine „Verarsche, die man anno ’69 nicht mal mehr ein paar Landeiern aus Pinneberg hätte bieten dürfen. Ein jammernder Folk-Musiker nach dem anderen“, so erinnert sich der Kollege angeblich. Gülden selbst macht sich im Sponti-Sprech der 70er Jahre über die „prototypische Hippie-Braut“ Melanie und „Grace Schluck“ lustig, bezeichnet Stephen Stills als „Arschloch von kosmischer Weite“ und Joe Cocker als „brunftigen Hirsch“, doch Jimi Hendrix lobt er natürlich: „Zwar die pure Kakophonie, aber geiler Lärm.“ Na dann.

Wenn alle Bücher gelesen, alle Live-Aufnahmen gehört und alle Filme gesehen sind, bleibt die Frage: Was war Woodstock? Und welche Bedeutung hat es heute noch? Woodstock hat die Welt mehr – und vor allem anders – beeinflusst, als wir glauben möchten. Und in der Beschwörung wird es immer noch größer.

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