Apocalypse Now

Mit seinem jüngsten Buch hat der Pulitzer-Preisträger einmal mehr für Unruhe gesorgt: Ökologische Fehlentwicklungen sind für ihn das Vorspiel zu gesellschaftlichen Katastrophen - in der Vergangenheit wie in der Gegenwart.

Steht man in der Stone Canyon Road vor Diamonds Haus, kann man zweierlei nicht glauben: daß hier ein Weltuntergangsprophet lebt und daß wir mitten in Los Angeles sind. Wucherndes Grün schließt sich über der Straße zu einem Tunnel, und hinter dem Bewuchs prächtiger Gärten sind die stattlichen Villen kaum auszuspähen. Bel-Air ist nach Beverly Hüls das vornehmste Quartier der an Autoverkehr erstickenden Megametropole — und so ruhig wie der Garten Eden nach Büroschluß.

Jared Diamond, der mit seinem grauen Lehrerbart, dem dezenten Lächeln und den rustikalen Pelzpantoffeln einem Gelehrten-Roman des 18. Jahrhunderts entsprungen scheint, erzählt denn auch begeistert von dem wilden Getier, das sich in der Nachbarschaft tummelt – so zahlreich, daß man sich all die Namen gar nicht merken kann und nur in Erinnerung behält, daß Elefanten nicht darunter sind. Wir sind ein paar Autominuten entfernt von der University of California, wo Diamond Professor für Geographie ist.

Und damit wird es Ernst. Jared Diamonds neues Buch „Kollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“ zeichnet ein düsteres Bild unserer Zukunft. Wir steuern, meint der Autor, dem ökologischen Selbstmord entgegen, wenn wir nicht sofort entschiedene Maßnahmen ergreifen, die so umfassend sein müssen, daß man gar nicht weiß, wo anfangen. Versäumen wir das, werden Touristen vielleicht schon bald die dahinrostenden Ruinen von New Yorks Wolkenkratzern bestaunen wie wir die einsam in der Ödnis stehenden Statuen einer archaischen Gesellschaft auf der Osterinsel, deren Zusammenbruch Diamond intensiv studiert hat.

Um ihre Kultstatuen zu errichten, rodeten die Bewohner der Osterinsel vor 300 Jahren den Wald bis zum letzten Baum; schließlich hatten sie kein Holz mehr, um Kanus zu bauen für den Walfang. Sie aßen die Vögel, bis diese ausgerottet waren, und dann, als Krieg zwischen ihnen ausbrach, aßen sie einander selber. Das Muster, dem dieser Okozid folgt, findet Diamond auch bei den antiken Maya, der Kolonie der Wikinger in Grönland oder den Anasazi, einem Indianerstamm in Amerikas Südwesten. Umweltschäden wie die Abholzung von Wäldern führten zu Bodenerosion, Nahrungsknappheit und sozialen Krisen, die verschärft wurden durch Klimawechsel, mangelnde Handelspartner, feindliche Nachbarn und eine kurzsichtige politische Führung.

Auch Katastrophen neueren Datums führt Diamond auf Umweltfaktoren zurück, wie etwa den Völkermord in Ruanda, wo 1994 militante Hutu 800 000 Tutsi und gemäßigte Hutu umbrachten. Hinter dem politischen Konflikt, meint Diamond, stand ein ökologischer: Aufgrund der Überbevölkerung herrschte Nahrungsknappheit, deren Ergebnis der Kampf um Ressourcen war.

Die ökologischen Probleme früherer kollabierender Gesellschaften sind uns geblieben, doch neue sind dazugekommen, wie der von Menschen verursachte Klimawandel, die Umweltverschmutzung durch giftige Chemikalien, die Energieverknappung und die Erschöpfung der photosynthetischen Kapazität der

Erde. Geht es so weiter, meint Diamond, wird sich unser Lebensstandard rasch verschlechtern. Krankheiten verbreiten sich, unsere kulturellen und politischen Werte werden unterminiert, und um die letzten Vorräte des Planeten werden erbitterte Kriege geführt: Die in der Bibel- oder, wem das Bild lieber ist, in „Mad Max“ – beschworene Apokalypse wird Wirklichkeit. In allen Zivilisationen, die kollabierten, findet Diamond „rationales Fehlverhalten“, „psychologisches Verleugnen“ und ein „Unvermögen zur Wahrnehmung und Voraussicht“ am Werk.

Kritiker wie der renommierte Anthropologe Clifford Geertz werfen Diamond vor, die soziale, kulturelle und politische Komplexität der Gesellschaften, die er untersucht, zu vernachlässigen und sie gewissermaßen auf eine „Kollektivperson“ zu reduzieren. Der Vorwurf wurde Diamond schon gemacht zu, Arm und Reich („Guns, Germs and Steel: The Fates of Human Societies“), seinem 1996 erschienenen Bestseller, in dem er den Aufstieg der modernen westlichen Welt zur politischen und ökonomischen Vorherrschaft auf Grund biologischer Faktoren zu erklären versuchte. Europa und damit die Zivilisation des Westens, schrieb Diamond, verdankten ihren Rang nicht einer kulturell-intellektuellen Überlegenheit, sondern einem bloßen Zufall: ihrer vorteilhaften Umwelt nämlich, deren Pflanzen- und Tierbestand vor 13 000 Jahren den entscheidenden Startvorteil verschaffte. Historiker bemängelten, Diamond vernachlässige in seinem Bestreben, alles von Umweltfaktoren herzuleiten, die Rolle von Ideen und Ideologien. Warum etwa China, das um das Jahr 1000 Europa weit voraus war, so rasch zurückfiel, hat kulturelle Gründe – Chinas Herrscher weigerten sich, von anderen zu lernen, und widersetzten sich dem Wandel zu einer Zeit, als in Europa der Individualismus blühte und dort etwas Neues begann, was der Historiker David Landes „die Erfindung des Erfindens“ nannte.

Diamond ist ein Systematiker. In „Kollaps“ macht er zwölf Haupt-Umweltprobleme aus, wovon acht älteren und vier neueren Datums sind. Aus schriftlichen Überlieferungen, archäologischen Funden und paläontologischen Spuren hat er in Detektivarbeit die Puzzles seiner Gesellschaftspanoramen zusammengesetzt, mit dem Ziel, die Mechanismen von Ursache und Wirkung aus dem komplexen Weltgeschehen herauszuschälen. Als Naturwissenschafter und passionierter Ornithologe geht Diamond das große Thema des Weltuntergangs mit derselben Besessenheit fürs Detail an wie seinerzeit die Untersuchungen über die Vogelpopulationen in Neuguinea oder die Evolution der Sexualität von Primaten. In „Warum macht Sex Spaß“ (1997) hatte Diamond Fragen beantwortet wie die, ¿weshalb der Penis des Homo sapiens größer ist als der von Gorillas, warum Männer keine Milch geben, Frauen ihre fruchtbaren Tage nicht signalisieren und wir Menschen es nicht wie alle anderen Säugetiere in aller Öffentlichkeit tun.

Diamond sagt von sich, er sei Optimist trotz allem. Es fällt einem schwer, das zu glauben. Doch sein Humor entwaffnet. „Lassen Sie uns nochmals telefonieren, bevor Sie nach L.A. kommen“, hatte er wenige Tage vor dem Interviewtermin gebeten. „Damit wir sicher sind, daß keiner von uns beiden gestorben ist.“

In den 70er Jahren hieß es, wir hatten bald kein Erdöl mehr. In den 8Oern meinte man, der europäische Wald sterbe. Beide Vorhersagen haben sich als falsch erwiesen. Warum sollen wir Ihnen nun glauben, der ganze Planet stehe vor dem Kollaps?

In der Vergangenheit ist vieles prognostiziert worden, manches hat sich als richtig erwiesen, anderes als falsch. Man kann nicht nur auf die Fehler der Pessimisten verweisen, man muß auch sehen, worin sie Recht hatten. Auch Optimisten haben Fehlprognosen gestellt.

Worin haben die Pessimisten Recht gehabt?

Es gibt mehrere Länder, deren Regierung zusammengebrochen ist, wie Somalia oder Afghanistan, und in anderen ist sie dem Zusammenbruch nahe, so in Nepal, Indonesien, den Philippinen, Haiti oder Bolivien. Von den 6,5 Milliarden Menschen auf der Erde leiden mehrere Milliarden Hunger. Von den Wasservorräten der Welt benutzen wir bereits 70 bis 80 Prozent. Die Fischvorräte schwinden, die Bestände von Thunfisch oder Hai haben um etwa 90 Prozent abgenommen.

Sie führen als Beispiel für eine solidarische Losung von Umweltproblemen die Niederlande an, die mit ihrem Polder-System das Meer gezähmt haben. Die Leistung ist beeindruckend – wurde aber finanziert durch den kolonialen Raubzug der Niederländer in Indonesien, einem der Problemstaaten.

Ich behaupte nicht, daß ich die Niederländer in jeder Hinsicht bewundere. Ich sage nur, wir können von ihrer Polder-Politik etwas lernen.

Sie verteidigen Fehlalarme mit dem Hinweis auf die Feuerwehr, der niemand vorwirft, wenn sie solche Alarme ernst nimmt. Aber die Feuerwehr ist eine Berufstruppe, die dazu verpflichtet ist. während die Öffentlichkeit doch nur ermüdet, wenn ständig vor etwas gewarnt wird, was dann nicht eintrifft.

Das ist richtig, doch der wichtigere Unterschied liegt woanders: Mit Ausnahme der Brandstifter hat niemand Interesse daran, Feuer zu legen. Bei den Umweltschäden ist das nicht so, weil nun mal Profit im Spiel ist. Niemand opponiert gegen Maßnahmen der Feuerwehr, aber viele opponieren gegen Umweltmaßnahmen.

Die Gesellschaften, deren Kollaps Sie untersuchen, lebten zumeist auf Inseln, deren Umwelt weniger komplex ist als die eines Kontinents oder des ganzen Planeten. Kann die Osterinsel wirklich als Modellfall für unser Schicksal gelten?

Isolierte Gesellschaften habe ich gewählt, weil da die Entwicklungen rascher vorangehen, die Lage klarer ist. Die Bewohner der Osterinsel hatten beispielsweise keine Feinde. Wären Feinde einmarschiert, wie das in Rom der Fall war, müßte man sich darüber streiten, was genau der Auslöser für den Kollaps war. Aber ich habe auch die Maya diskutiert, die führende Gesellschaft der damaligen Zeit.

Geschichte kann man nur im Nachhinein begreifen. Was die Zukunft betrifft, kommt doch immer etwas dazu, was man nicht erwartet hat. Wie sollen wir also Lehren aus der Vergangenheit ziehen?

Wir haben keine andere Wahl. Heute gehe ich mit meiner Frau zu einem Rechtsanwalt, um unsere Testamente vorzubereiten. Wir wissen nicht, wie lange wir noch leben werden. Wir müssen Vorsorgen, ob wir nun morgen sterben oder noch 50 Jahre leben. Wir rechnen mit Wahrscheinlichkeiten.

Geographie spielt in Ihren Arbeiten eine zentrale Rolle. Wird die Zukunft nicht eher geprägt von Gesellschaften, die von Technologie bestimmt sind als von ihrer geografischen Lage?

In der modernen Welt spielt die Geographie durchaus noch eine Rolle. Warum sind die tropischen Länder ärmer als die Länder des Nordens und Südens? Das hängt mit dem Klima, dem Boden, der Geographie zusammen. Aber es gibt Ausnahmen wie etwa Singapur. Zwar ein tropisches Land, ist es jetzt reich, weil es die Nachteile seiner Geographie erkannt und viel in die Ausrottung von Krankheiten wie der Malaria investiert hat. Vor einem Jahr war ich in Sambia, wo die durchschnittliche Lebensdauer 36 Jahre beträgt. Solange das so ist, bleibt Sambia ein armes Land – kaum hat man einen jungen Menschen ausgebildet und für das Berufsleben bereitgemacht, stirbt er.

Neue Technologien, von der wir keine Ahnung haben, werden unsere Welt weiterhin und immer rascher verändern. Sie erwecken den Eindruck, ein Technologiefeind zu sein.

Ich besitze ein Handy, fliege mit Flugzeugen und habe ein Tonbandgerät, um den Gesang der Vögel im Regenwald von Neuguinea aufzunehmen – nein, ich bin kein Feind von Technologie. Doch man muß sich bewußt sein, daß jede Technologie nicht nur alte Probleme löst, sondern auch neue schafft. Ich gehöre nicht zu den Optimisten, die sagen, die Technologie wird alle unsere Probleme lösen. Man muß auch deren Kehrseite sehen.

Aber Sie sehen die Bilanz der Technologie negativ.

Die rasanten technischen Fortschritte des 20. Jahrhunderts haben rascher schwer wiegende neue Probleme geschaffen, als sie alte gelöst haben. Deshalb befinden wir uns heute in einer so schwierigen Situation. Wir haben keinen Grund zur Annahme, daß sich diese Bilanz in naher Zukunft umkehren wird.

Bleibt uns nichts anderes übrig, als uns einzuschränken, weniger Energie, Boden, Wasser und Luft zu verbrauchen? Sollten wir nicht nach neuen technischen Lösungen suchen?

Wir sollten beides tun. Kürzlich lernte ich einen amerikanischen Ingenieur kennen, dessen Firma führend ist im Bau von Windrädern. Sie entwickelte die Windräder, die in Dänemark ein Sechstel des Energiebedarfs produzieren. Er hat mir sein neustes Modell gezeigt, ein unglaubliches Ding. Es besteht aus drei Flügeln, von denen jeder 40 Meter lang ist und seine Orientierung während der Umdrehung unabhängig von den anderen wechselt. Dies, weil Windgeschwindigkeit und Windrichtung oben anders sind als unten. Der Ingenieur sagte, damit könnte man die Hälfte des Energiebedarfs der USA erzeugen. Nächstes Jahr werden 150 Stück seiner Maschinen in Pennsylvania und West Virginia aufgestellt.

Was doch bestätigt, daß sich der Mensch etwas Neues ausdenkt, wenn Ressourcen knapp werden.

In manchen Fällen ja, in anderen Fällen nein. Wichtig ist, zu erkennen, in welchen Fällen wir durchkommen und in welchen nicht.

Egal was der Mensch macht—die Umwelt wird immer beeinträchtigt. Bauen wir eine Straße, finden die Frösche nicht mehr den Weg zu ihren Tümpeln; uns Menschen ist die Straße natürlich nützlich.

Muß man bei einer ökologischen Bilanz nicht zwangsläufig den jeweiligen Vorteil für die Spezies Mensch in den Vordergrund rücken?

Es gibt zweierlei Bilanzen. Die eine betrifft die Frage, ob wir eine Verantwortung für die Frösche der Welt haben, unabhängig davon, ob die Frösche Einfluß auf unsere Lebensqualität haben. Die andere Bilanz betrifft die Frage, ob der Mensch nicht auf eine Weise auf die Umwelt wirkt, die ihm kurzfristig Profit bringt, langfristig gesehen aber schadet.

Geht es uns nicht immer besser? wir werden immer älter, leben gesünder, genießen mehr Komfort. Sie schreiben, 80 Prozent der Weltbevölkerung lebten heute nahe oder unter dem Hungerniveau. Der „Economist“ hat entgegnet, es seien lediglich 15 Prozent. Wie sind Sie auf die Zahl gekommen?

Es ist richtig, daß es einem Bruchteil der Weltbevölkerung heute weit besser geht als vor hundert Jahren. 20 Prozent vielleicht – -wie es den übrigen 80 Prozent geht, darüber kann man sich streiten. Doch wenn man eine Liste der Länder aufstellt, die an Armut leiden, steht die Hälfte der Länder der Welt darauf. Die wichtige Frage ist: Wie steht es mit der Zukunft? Wie lange wird es uns noch gut gehen? Stellen wir uns vor, Sie haben 200 000 Euro auf dem Sparkonto, und Sie geben jährlich 40 000 aus, genießen damit einen angenehmen Lebensstandard, gehen in schöne Restaurants. Aber sind Sie nicht beunruhigt, kein zusätzliches Einkommen zu haben? Sie müssen sich doch im Klaren sein, daß das nicht lange hält.

Was heißt das auf die Umwelt bezogen?

Wir sind daran, unser Umweltkapital aufzubrauchen, nicht erneuerbare Energien, Fischbestände, Mutterboden, Wälder. Eine Lehre, die wir aus dem Kollaps von Gesellschaften wie der Maya, der Anasazi oder der Osterinsel ziehen können, ist doch die, daß der rasante Niedergang schon früh einsetzt, nur ein, zwei Jahrzehnte, nachdem die Zivilisation ihren Höhepunkt an Macht und Reichtum erreicht hat.

Sie prophezeien, in den nächsten 50 Jahren werde „ein großer Teil“ der Arten aussterben. Nach einer Schätzung der „Union for the Conservation of Nature“ sind es nur neun Prozent.

Diesbezüglich gibt es viele Schätzungen. Es geht nicht nur um die Zahl der Arten, die nach einigen Jahrzehnten vollkommen ausgerottet sein werden, sondern auch um die Zahl derer, die zwar noch leben, aber keine Zukunft mehr haben. Kürzlich gab es eine große Aufregung in den USA, weil man in Arkansas eine Spechtart entdeckte, die man ausgestorben glaubte – den Ivory-Billed Woodpecker, der 1915 das letzte Mal gesehen wurde. Schön – aber was hält die Zukunft für diesen Specht bereit? Im ökologischen Sinne ist er so gut wie ausgestorben. In 50 Jahren werden vielleicht nur neun Prozent der Pflanzen- und Tierarten vollständig ausgestorben sein, aber 50 Prozent werden es im ökologischen Sinn sein, weil ihr Bestand zu gering zum Überleben ist.

Wenn China mit seiner 1,3-Milliarden-Bevölkerung auf das Niveau der Ersten Welt kommt bezüglich Energieverbrauch und Umweltverschmutzung, kollabiert der Planet, sagen Sie.

Schon jetzt konkurrieren die Chinesen mit den Amerikanern um die Ölressourcen von Venezuela. Wenn China den Status der Ersten Welt erreicht, ist der Weltverbrauch an Naturgütern und die Belastung der Umwelt doppelt so hoch wie heute. Chinas Probleme werden damit die unseren.

Sollen wir den Chinesen nun sagen, ihr müßt euch einschränken, weil es sonst nicht mehr geht?

Das ist völlig unmöglich, aus ethischen und politischen Gründen. Früher hatten wir in den USA unbewußt die Mentalität, daß wir uns um die Dritte Welt nicht zu kümmern brauchen, weil sie uns nichts anhaben kann. Seit dem 11. September 2001 ist das anders. Wir haben gesehen, wie sie uns und Europa das Leben schwer machen kann. Das Gleiche gilt für Krankheiten aus der Dritten Welt wie Aids, wir sind davon mitbetroffen. Und dann die Einwanderung -Immigranten machen vor unseren Grenzen nicht Halt. Das alles hat zur Folge, daß wir den Unterschied im Lebensstandard zwischen der Ersten und der Dritten Welt nicht weiter aufrechterhalten können.

Der Überbevölkerung gilt Ihre größte Sorge. Wie soll man ihr begegnen – mit so drastischen Maßnahmen, wie sie China ergriffen hat?

Die praktische Frage ist, welche Maßnahmen am effizientesten sind, das Bevölkerungswachstum zu reduzieren. Studien in vielen Ländern geben eine klare Antwort: die Frauen aufklären und ausbilden und ihnen dazu verhelfen, ökonomisch unabhängig zu sein. Das sind die erfolgreichsten Methoden, um die Bevölkerung zu stabilisieren.

Los Angeles gilt Ihnen als Beispiel für die negativen Folgen der Überbevölkerung. Arbeitswege, die zwei Stunden und mehr dauern. Natürlich ist das unangenehm – aber vielleicht waren die Arbeitsbedingungen früher noch unangenehmer?

Ich sage nicht, daß es besser oder schlechter ist als früher. Ich sage nur, daß man mit so langen Pendel-Zeiten wertvolle Zeit verliert, die man anders nutzen könnte. Der Durchschnittsbewohner von Los Angeles ist 368 Stunden pro Jahr auf dem Weg zur Arbeit.

Sie nennen sich einen „vorsichtigen Optimisten“. Es fällt schwer, das zu glauben, bei all den düsteren Prognosen, die Sie stellen.

(lacht) Ja.

Sind Sie wirklich ein Optimist? Oder wollen Sie uns bloß auf typisch amerikanische Weise Mut machen?

Nein, ich bin wirklich ein Optimist. Der Beweis dafür ist, daß meine Frau und ich uns 1987 für Kinder entschieden haben. Unsere Zwillinge sind jetzt 18 Jahre alt. Viele meiner Freunde diskutieren, ob sie Kinder haben wollen oder nicht, und viele wollen keine, weil sie sie nicht in eine schlechte Welt setzen möchten. Ich habe bewiesen, daß ich ein Optimist bin, indem ich Kinder zeugte. Trotz der 575 Seiten, die ich in meinem Buch „Kollaps“ mehr Problemen als Erfolgen gewidmet habe, meine ich: Wir können diese Probleme nicht zuletzt deshalb lösen, weil wir sie selber verursacht haben.

Was heißt, daß es noch mehr von uns nicht verursachte Probleme gibt, die wir nicht lösen können?

Wir sind zwar mit großen Risiken konfrontiert, doch die größten liegen außerhalb unserer Beeinflussungsmöglichkeit, wie zum Beispiel die Kollision mit einem jener großen Asteroiden, wie sie die Erde etwa alle hundert Millionen Jahre treffen. Die Probleme dagegen, die wir selber geschaffen haben, sind anderer Natur, und das ist eine Basis für Hoffnung. Wir brauchen nicht neue Technologien, um sie zu lösen. Wir brauchen nur den politischen Willen, die Lösungen anzuwenden, die wir schon haben. Natürlich ist das ein großes „nur“.

Dazu gibt es in Ihrem Buch allerdings wenige positive Beispiele.

Eines davon ist Japan, dem es im 17. Jahrhundert gelang, die Entwaldung rückgängig zu machen. Dies, weil die Shogune die Lage erkannt hatten und weil politische Stabilität herrschte – eine Voraussetzung für den Erfolg.

Selbst in einer Metropole wie Los Angeles ist nicht alles schlechter geworden.

Die Luftqualität ist bekanntermaßen schlecht und noch immer schlechter als in anderen Städten der USA. Aber obschon die Bevölkerung etwa achtmal so groß ist wie vor 70 Jahren und wir viel mehr Autos haben, ist sie besser als damals.

Dank Technologie, der Einfuhrung von Katalysatoren und bleifreiem Benzin.

Zum Teil ja. Aber nicht nur. Vor 30 Jahren hat man eingesehen, daß die Luftqualität ein Problem ist, dessen man sich annehmen muß. Das war der springende Punkt – die Einsicht. Wir haben das Problem nicht ganz gelöst, aber wir haben es gemildert. Wenn wir wollen, können wir uns morgen entschließen, mit unseren Problemen fertig zu werden. Wir haben die Technologie, den Benzinverbrauch von Autos zu reduzieren. Wir müssen nicht auf neue Technologien warten.

Die Welt sei ein globales Dorf, sagt man. Gibt das Grund zur Hoffnung – die Tatsache, daß schlechte Luft, verschmutztes Wasser und kontaminierte Nahrung schließlich alle treffen, Reiche wie Arme, Machtlose wie Entscheidungsträger?

Nicht nur das gibt Hoffnung. Sondern auch die Tatsache, daß wir in der globalisierten Welt alle miteinander verbunden sind. Die Gesellschaften von früher hatten keine Archäologen, die Ursachen von vergangenen Katastrophen nachgehen konnten, keine Medien, die zeigten, was los war in anderen Teilen der Welt. Heute schalten wir den Fernseher ein und sehen, was in Somalia oder Afghanistan vor ein paar Stunden passiert ist.

Sie sind Direktor des WWF in den USA, arbeiten aber auch als Berater für Ölfirmen. Wie geht das zusammen?

Es ist meine Überzeugung, daß wir nicht in der Lage sein werden, die Umweltprobleme der Welt zu lösen, wenn wir nicht willens sind, uns mit dem Big Business auseinanderzusetzen. Öl- und Holzfirmen gehören zu den mächtigsten Kräften in der modernen Welt. Es gibt welche, die ihre Sache gut machen, und andere, die das nicht tun. Es ist sinnvoll, das zu beeinflussen.

Sie sind Wissenschaftler, Ihre Botschaft muß jetzt die Politiker erreichen, sind Sie mit welchen in Kontakt?

Ja – doch zuvor eine Bemerkung: Sie werden festgestellt haben, daß ich in meinem Buch nicht auf unseren derzeitigen Präsidenten losgehe, obgleich Sie vermuten können, daß ich mit ihm und seiner Umweltpolitik nicht einverstanden bin. Ich habe das absichtlich gemacht, ich wollte nicht, daß das Buch nur von denen gelesen wird, die schon von der Sache überzeugt sind.

Und, wird es auch von anderen gelesen?

Zu meiner großen Überraschung wurde ich vom Berater des Bruders des Präsidenten, Gouverneur Jeb Bush in Florida, kontaktiert. Der Berater hat das Kapitel über Haiti gelesen, weil die Immigranten aus Haiti ein gewaltiges Problem in Florida sind, es gibt 300 000 davon. Er hat ein Konferenzgespräch mit mir und zweien seiner Mitarbeiter organisiert und das Buch Gouverneur Bush zu lesen gegeben. Die zweite Überraschung war, daß ich letzten Montag eine Einladung zum Abendessen mit Senator Bill Frist erhielt, dem Führer der republikanischen Senatsmehrheit, einem Mann, der 2008 vermutlich für die Präsidentschaft kandidieren wird. Ich hätte nie eine Einladung von Bill Frist erhalten, wenn ich gegen Bush gewettert hätte.

Sie haben sich immer schwergewichtige Themen vorgenommen, in Ihrem aktuellen Buch gar die ganze Welt. Was kommt als Nächstes?

Ein neues Buch ist zwar in Planung, aber ich will noch nicht davon reden. Im Januar ’12 können Sie’s lesen.

Sie haben also einen Abgabetermin noch vor dem Weltuntergang?

Ja!

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