Beatles For Sale: Die Fab Four als Wegbereiter des Musikvideos

Die neue alte Sammlung „1“ zeigt die Beatles als Pioniere des Musikvideos

Wenn das fest der Liebe näherrückt, müssen wir alle Jahre wieder feststellen, dass die Beatles-Firma Apple John Lennons Diktum, man brauche nichts als die Liebe selbst, misstraut und für alle, die doch ein bisschen mehr brauchen, noch ein neues Produkt aus dem Schaffen der besten Band der Welt ins Regal stellt.

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In diesem Jahr gibt es ein Upgrade der erfolgreichsten Beatles-Compilation aller Zeiten. Die Sammlung aller Nummer-eins-Hits der Band mit dem schlichten Titel „1“ ist zudem das bestverkaufte Album der 00er-Jahre und hat neuesten Zahlen zufolge mittlerweile etwa 38 Millionen Exemplare umgesetzt. Für die Neuedition wurden die 27 Tracks von George Martins Sohn, Giles (der schon für den „Yellow Submarine“-Songtrack von 1999 und den Cirque-du-Soleil-Soundtrack „Love“ Remixes machte), neu gemischt, vor allem aber gibt es als Beigabe eine DVD/Blu-ray mit Videos zu jedem einzelnen Track und einigen – im besten Fall charmanten – Kommentaren von Paul McCartney und Ringo Starr.

Musikvideos als Kunst – und für PR

Die Clips zu den Hits der frühen Jahre wurden einfach aus Aufnahmen von Live- und Fernsehauftritten kompiliert. Doch die Fab Four können durchaus als Pioniere des Musikvideos gelten. Kurzfilme zu Musikstücken gab es zwar schon in den 40er-Jahren, als sogenannte Soundies der neuesten Hits für Film-Jukeboxen produziert wurden, doch die Beatles waren die erste Band, die den Videoclip als PR-Instrument nutzte und zudem bald seine künstlerischen Möglichkeiten entdeckte.

Als sie im Juni 1966 angesichts anstehender Tourneen durch Europa, Asien und die USA weder Lust noch Zeit hatten, die neue Single, „Paperback Writer“, in Fernsehshows zu bewerben, kamen sie auf die Idee, stattdessen einen kurzen Film zu dem Song und der B-Seite, „Rain“, zu drehen und um die Welt zu schicken. Der Regisseur Michael Lindsay-Hogg filmte die Band am 19. Mai in den Abbey Road Studios in Schwarz-Weiß und einen Tag später in den Gartenanlagen von Chiswick unweit der Themse in Farbe. McCartney hatte bei den Dreharbeiten einen abgebrochenen Schneidezahn, weil er Monate zuvor in der Nähe von Liverpool unsanft über den Lenker seines Mopeds abgestiegen war, sodass einige Fans nach dem Ansehen des Clips erstmals vermuteten, der echte Paul wäre tot und durch einen Doppelgänger ersetzt worden. In Sachen mythenumrankte Zweiradunfälle waren die Beatles Bob Dylan also um einige Monate voraus. Und auch in Sachen Musikvideo hatten sie die Nase vorn, denn D. A. Pennebakers ikonischer Clip zu Dylans „Subterranean Homesick Blues“ war zwar schon abgedreht, erschien jedoch erst ein Jahr später als Eröffnungssequenz seiner Dokumentation „Dont Look Back“.

1966 markierte den Wendepunkt

Nach dem turbulenten Sommer 1966, in dem die Beatles die Diktatorengattin Imelda Marcos versetzten, sodass sie ohne Polizeischutz von den Philippinen fliehen mussten, und Lennon das konservative Amerika gegen sich aufbrachte, weil er seine Band „populärer als Jesus“ wähnte, gaben sie das Touren auf und zogen sich ins Studio zurück. Ihre Musik war also nicht länger an eine mögliche Aufführung gebunden und wurde komplexer. Die Videos sollten das repräsentieren. So engagierten die Beatles auf Vorschlag ihres Hamburger Freundes Klaus Voormann für die nächste Single den schwedischen Regisseur Peter Goldmann. Der Film zu „Strawberry Fields Forever“ entstand am 30. Januar 1967 im Knole Park südöstlich von London, ist aber auf „1“ naturgemäß nicht enthalten, weil das Stück niemals die Spitze der Charts erreichte. Auf der Doppel-DVD/Blu-ray-Edition „1+“ ist er aber neben dem Video zu „A Day In The Life“, Outtakes, Alternativversionen und den Clips zu den Stücken der Post-mortem-Reunion anlässlich der „Beatles Anthology“, „Free As A Bird“ und „Real Love“, dann doch zu sehen.

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Dank der peniblen Restaurierung der historischen Filmaufnahmen ist besonders das ebenfalls von Goldmann gedrehte Video zur erfolgreicheren „Strawberry Fields Forever“-Flipside, „Penny Lane“ (Nummer eins in den US-Charts), fantastisch. Und die Farben des „Hello Goodbye“-Clips, bei dem McCartney die Regie übernahm, leuchten wie noch nie. Auch das traurige Ende der Band lässt sich auf „1“ erneut nachvollziehen. Für „Something“ wollten John, Paul, George und Ringo lieber mit ihren Partnerinnen ins Bild als mit den Bandkollegen. Bei „The Long And Winding Road“ aus dem „Let It Be“-Film sitzt McCartney einsam am Klavier. Man kann nur hoffen, dass die Techniker von Apple sich bald auch des Rests des Films annehmen. Eine restaurierte kritische Fassung wäre tatsächlich eine essenzielle Veröffentlichung. Und beim Ansehen der letzten Gefechte der Fab Four würde man den traditionellen weihnachtlichen Familienkrach glatt vergessen.

(Maik Brüggemeyer, ROLLING STONE 12/2015)

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