Neunte Kunst

„Lustiges Taschenbuch“: Die Comic-Bibel der Deutschen

Die Disney-Schmöker werden von Jung und Alt gelesen und verkaufen sich prächtig. Aber warum ist die Reihe eigentlich so erfolgreich?

Wenn in diesen Tagen die 500. Ausgabe des „Lustigen Taschenbuchs“ am Kiosk ausliegt, dann werden einstige Käufer des kleinen Büchleins, die schon seit längerer Zeit andere Bildgeschichten verfolgen, nicht nur über das doppelseitige Cover (und den durchaus stolzen Preis) staunen, sondern auch über die zahlreichen Schwesterprodukte, die daneben zu finden sind. Längst gibt es nicht mehr nur den Klassiker, der konstant seit 50 Jahren 254 Seiten umfasst. Stattdessen laden Enten- und Maus-Edition, Spezialbände zu bestimmten Themen, Fantasy- und History-Reihen sowie eine eigene Premium-Reihe für Erwachsene im Grunde jede potenzielle Käuferschicht ein, sich mit den bunten Comics aus Entenhausen einzudecken.

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Ein Konzept, das aufgeht! Wie kaum ein anderes periodisch erscheinendes Comic-Magazin besteht das „Lustige Taschenbuch“ prächtig auf einem Markt, der seit Jahren nur noch rote Zahlen kennt. Die Auflage liegt konstant über 200.000 Exemplaren. Die mehr als 200 Millionen verkauften Bücher würden – zusammengelegt – eine Linie ergeben, die sechsmal um die Erde reicht, wie Egmont-Vertriebsleiter Christian Behr ausgerechnet hat. Da passt es, dass die Hälfte der LTB-Leser 19 Jahre und älter ist.

Leser in allen Altersklassen

Erwachsene Leser erfreuen sich nicht nur an den anspielungsreichen Storys, sondern in vielen Sondereditionen und wiederaufgelegten Taschenbuch-Exemplaren an den Zeichnungen von europäischen Disney-Künstlern wie Romano Scarpa, Andrea Castellan oder Giorgio Cavazzano, die das „Lustige Taschenbuch“ einst zu einer hochwertigen Alternative zur „Micky Maus“ machten, in der doch eigentlich die großen Geschichten von Carl Barks, Don Rosa und Co. lockten.

500 Ausgaben LTB
500 Ausgaben LTB

Vielleicht lässt sich der Erfolg des LTB ja auch über die Sammelleidenschaft der Deutschen erklären. Früh etablierte sich der Bücherrücken des Comics als Grundlage für Reihenbilder, die im Regal besonders viel hermachen. Ganze Jahrgänge wurden so weitervererbt, einfach weil sie, derart aufgereiht, jedes Kinderzimmer adeln. Zusätzlich ist das „Lustige Taschenbuch“ nach wie vor ein haptisches Erlebnis für die Leser, die eher selten auf die Idee kommen würden, die bunten Bilder im Netz oder in einer eComic-Variante zu lesen.


ROLLING-STONE-Autor Marc Vetter sprach mit dem deutschen Disney-Chef Peter Höpfner, der alle Comics aus dem Entenhausen-Universum betreut, die bei Egmont-Ehapa erscheinen, über 500 Ausgaben, das Geheimrezept für starke Themen und besondere Vorlieben. 

50 Jahre und 500 Ausgaben „Lustiges Taschenbuch“. Das ist ein stolzes Jubiläum, hinter dem sich einige Höhen und auch einige wenige Tiefen verstecken. Was bedeutet es Ihnen?

Das sind schon unfassbare Zahlen… 50 Jahre LTB, 500 Ausgaben der regulären Reihe, im Jahr mehr als fünf Millionen verkaufte Bücher. Und das alles mit einem kleinen, aber unglaublich guten Team. Ich bin sehr froh, dass ich hier schon seit so vielen Jahren mitwirken kann und tagtäglich nach Entenhausen reisen darf.

Von „Der Kolumbusfalter“ bis zu „Der Drachenkämpfer“ hat das LTB viele Veränderungen durchgemacht – vor allem auch hinsichtlich Präsentation und Themenspektrum. Welche haben Ihnen am meisten Kopfschmerzen bereitet, und auf welche sind Sie heute stolz?

Das stimmt, wir haben vieles ausprobiert – und werden das auch weiterhin tun. Dazu zählen nicht nur eine Vielzahl an Cover-Effekten, sondern natürlich auch verschiedenste inhaltliche Varianten. Besonders gelungen fand ich unsere ersten Cover im Querformat, das Buch mit Glow-in-the-dark-Effekt und das mit Kunstrasen zur Fußball-WM. Inhaltich mag ich besonders komplett abgedruckte Serien in mehreren Kapiteln. Nicht wirklich gelungen fand ich unseren Neoncover im Sommer und die Geschichten, in denen man sich aussuchen kann, wie es weitergeht. Die sind mir dann zu arg konstruiert. Stolz bin ich im Wesentlichen auf jedes Buch, weil in wirklich jedem Band sehr viel Arbeit und verschiedensten Kleinode stecken; inhaltlich, sprachlich, gestalterisch.

Welche Bedeutung haben die großen europäischen Disney-Zeichner Romano Scarpa, Andrea Castellan oder Giorgio Cavazzano für den Erfolg des LTB? Wie sieht es aus mit Micky Maus, die ja inzwischen weitaus weniger anzutreffen ist im Buch als früher noch…?

Ohne die genannten Künstler würde es das LTB so nicht geben. Sie sind mit ihren Geschichten der Garant für konstant grandiose Geschichten der verschiedensten Genres. Auch heute kompilieren wir deren Klassiker, haben aber zum Glück auch fantastische neue Zeichner und Autoren gefunden. Micky Maus hat– in eigentlich allen Ländern – ein Image-Problem (zu Unrecht!). Viele sehen in ihm einen Besserwisser, der immer alles weiß und kann. Aber gerade in unseren Geschichten wird immer wieder deutlich, wie viele Facetten in Micky Maus stecken. Wir haben in jedem regulären LTB eine lange Maus-Story und eine kürzere Nebengeschichte. Und für die echten Fans haben wir mit der „Maus-Edition“ sogar eine eigen Buchreihe entwickelt!

Ich habe mich als Kind und Jugendlicher immer geärgert, dass man im LTB nicht herausfinden konnte, wer welchen Comic gezeichnet/getextet hat. Seit einigen Jahren werden sowohl in der „Micky Maus“ als auch im LTB die Credits angegeben. Gibt es einen Grund für diese Entwicklung bzw. gab es einen, ihn in vergangenen Jahrzehnten wegzulassen?

Wie und warum das früher so gehandhabt wurde, vermag ich nicht mit 100%-iger Sicherheit zu sagen. Wir sehen heute jedenfalls keinerlei Grund, diese Informationen wegzulassen. Im Gegenteil: Wir sind stolz auf unsere Künstler und ihre Arbeit – die eine Nennung in jedem Fall verdient haben.

Inzwischen gibt es ja neben dem „Klassiker“ auch noch zahlreiche weitere Sondereditionen, die erscheinen, von Fan- und Enten-Editionen bis hin zu „Phantomias“-Specials und eigenen Themen-Ausgaben. Welches Ziel verfolgen Sie damit? Gibt es inzwischen eine andere Leserschaft des LTB als vielleicht noch vor zehn oder mehr Jahren?

Wir passen uns den Wünschen und Bedürfnissen unsere Kunden an, die gern auf ein breites Portfolio zurückgreifen. Und so haben wir neben der Hauptreihe zahlreiche Sonderserien entwickelt, die gezielt zugeschnitten sind. Es gibt Enten- und Maus-Edition, Spezialbände zu komplexen Themen, Genre-Reihen über Fantasy bis History (mit redaktionellem Teil), Phantomias Ultimate für die Fans von früher bis heute, die Premium-Reihe, die etwas andere Entenhausen-Comics vorrangig für Erwachsene bringt, dazu saisonale Ausgaben und ganz Spezielles wie LTB English, Malbuch oder Mundart. Da ist wirklich für jeden etwas dabei. Und natürlich hat sich auch unsere Leserschaft entwickelt… und ist vor allem größer und breiter geworden. Wir haben die Kinder und Jugendlichen, aber die Hälfte der Käufer ist älter als 19 Jahre!

Wie muss man sich den durchschnittlichen LTB-Leser vorstellen?

In keinem Falle durchschnittlich, sondern immer besonders. So wie das Produkt. Und damit auch einzigartig; vom Lesen lernenden Schulkind bis zum vielfliegenden Manager. Jeder, der ein bisschen Entenhausen braucht!

Die Seitenzahl ist seit langer Zeit im Grunde konstant bei 260 geblieben. Allerdings habe ich das Gefühl, dass die Storys kürzer geworden sind. In früheren Zeiten gab es ja ganze Geschichten von über 60 Seiten – was ein enormer Unterschied war zu jenen in der „Micky Maus“. Gibt es einen Grund dafür, dass nun mehr kürzere Comics vertreten sind? In den Special-Editions finden sie ja durchaus Platz…

In der Hauptreihe gibt es nur neues, unveröffentlichtes Material, welche wir zum Großteil einkaufen. Und in diesem Angebot sind mittlerweile doch viele kürzere Stories dabei, aber auch recht viele sehr lange Reihen, die dann in Kapiteln aufgeteilt sind. Manche drucken wir dann komplett in einem Buch (so wie in Band 500); andere nach und nach (z.B. Onkel Dagoberts Millionen oder Agent DoppelDuck). Aber das LTB ist noch immer das Format für die langen Geschichten aus Entenhausen!

Haben sich inzwischen die Themen bzw. Geschichten geändert, mit denen Sie Ihre Leser erreichen? Gibt es Rückmeldungen von Lesern, welche Figuren und Storys gerne noch mehr Platz bekommen könnten?

Ganz klar favorisiert sind die Ducks, vor allem Donald (auch als Phantomias). Dann Dagobert, die Neffen… beliebt sind auch die Panzerknacker. Micky und Goofy rangieren deutlich weiter hinten. In Sachen Storytelling sind Abenteuer/Reisen weiterhin sehr angesagt, aber auch Geschichten am heimischen Gartenzaun. Im LTB macht es die Mischung der verschiedenen Stile und Genres. Wir haben eine geheime Produktformel, die garantieren soll (und es meistens schafft), dass die angebotene Auswahl wirklich für jeden etwas bereit hält.

Viele Comics widmen sich in den letzten Jahren bevorzugt auch politischen und kulturellen Themen. Finden Klimawandel oder die Wahl Trumps zum US-Präsidenten einen Weg ins Buch oder möchten sie derlei „harte Themen“ lieber heraushalten? Haben Sie Erfahrungen gemacht, ob so etwas beim Leser ankommt oder auf Ablehnung stößt?

Ablehnung haben wir noch nie erfahren, eher im Gegenteil. Die Leser freuen sich über aktuelle Bezüge, die wir ja zumeist witzig und spielerisch umsetzen. Zu „hart“ können die Themen natürlich nicht sein, dass wäre dem Kosmos hier unangemessen. Aber etwas Persiflage und Zeitgeist machen die Bücher (besonders für Erwachsene) ja zu einem mehrschichtigen Lesevergnügen – und werden auch gern in den Medien aufgegriffen. Wir arbeiten viel mit „vorhersehbaren Aktivitäten (Filme, Events, Jubiläum, Sport etc.) und lassen uns ebenso gern vom Tagesgeschehen inspirieren.

Das LTB trotz seit Jahren der großen Print-Krise, mit einer Auflage von fast 200.000 Exemplaren. Da geht es der „Micky Maus“ deutlich schlechter, die ja einmal eine Millionenauflage hatte. Gibt es da ein bestimmtes LTB-Geheimrezept? Und wie erklären Sie sich den doch traurigen Rückgang des Leserinteresses bei der so viele Jahre lang innovativen und vielfältigen „Micky Maus“?

Das LTB ist in der deutschen Kiosklandschaft einzigartig. Sowohl beim Inhalt, als auch im Format und der Platzierung. Da hat es die „Micky Maus“ deutlich schwerer bei der umfangreichen Auswahl an Kindertiteln, zudem sich das Leseverhalten ja doch deutlich gewandelt hat. Und auch die Zielgruppe beim LTB durch die Erwachsenen deutlich größer ist, die MM ist ja ein reines Kinder-Magazin mit Extra. Dennoch behauptet sich auch die MM weiter am Kiosk und wird – so wie das LTB – sein Portfolio erweitern (u.a. Mega MM, MM Comics, MM Spezial, MM Edition), um so Inhalte noch differenzierter auf Zielgruppen auszurichten zu können.

Oder gibt es beim LTB doch Anzeichen, dass es schwieriger geworden ist, Comics an Frau und Mann zu bringen? Das Internet ist ja durchaus eine starke Konkurrenz und der Buchmarkt schrumpft nun schon seit vielen Jahren…

Die Verkaufszahlen an LTB im eComic-Bereich sind nicht wirklich groß. Bei diesem Produkt zählt das haptische Erlebnis sehr stark. Dazu kommt natürlich auch die Sammelleidenschaft mit unseren Buchrückenmotiven. Natürlich wird das alles nicht einfacher, aber wir feilen beständig am Angebot, um das LTB auch für die Zukunft weiterzuentwickeln.

Disney ist inzwischen als Unterhaltungskonzern größer als je zuvor, macht gigantische Umsätze nicht zuletzt auch mit „Star Wars“, „Violetta“ und Pixar-Animationsfilmen. Welche Rolle spielen da ihrer Meinung noch die klassischen Disney-Comics rund um Entenhausen?

Sie sind eine unfassbare wichtige Basis! Wie sagte Disney selbst: „It all started with a mouse…“ Natürlich sind die Märkte unterschiedlich, in den USA stehen Filme, Live-Events und die Parks an vorderer Stelle, auch bei uns in Europa ist Entenhausen weiter ein beliebtes Reiseziel. Und von Violetta und Pixar haben wir ja auch etwas, schließlich dürfen wir dazu die passenden Magazine verlegen!

Haben Sie einen persönlichen Favoriten aus den letzten fast 500 Ausgaben? Oder freuen Sie sich gar über einen bestimmten Zeichner, wenn sie eine seiner Comics lesen?

Band 41 mit Donalds Verwandlung in Phantomias, Band 53 mit dem Bombastium, Band 499 mit dem Comeback des Kolumbusfalters… und viele mehr. Als Zeichner schätze ich ganz besonders die Altmeister Scarpa, Carpi und Cavazzano, aber auch Casty, Facchini, Ziche und Andersen.


Übrigens: In Berlin hat seit Anfang November ein LTB Pop-Up-Store in den Hackeschen Höfen eröffnet. Neben dem Verkauf von Lustigen Taschenbüchern (auch in limitierten Special-Editions) und Fan-Artikeln gibt es dort immer wieder kleine und größere Events. Immer mal wieder werden Disney-Zeicher vor Ort sein, um Exemplare zu signieren.

 

LTB Pop-Up-Store in Berlin
LTB Pop-Up-Store in Berlin
Egmont-Ehapa
Egmont-Ehapa
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