DAS FUNDAMENT GANZ FREIGELEGT – Greil Marcus

Das Buch sei endgültig, „Greil Marcus hat es mal wieder geschafft“, sagt ausgerechnet jener mürrische Barde, der ja sonst nur ungern spricht schon gar nicht über Journalisten, die sein CEuvre sezieren. Daß Bob Dylan von der Lektüre des „Basement Blues“ so angetan war, ist dem Autor des Buches fast schon etwas peinlich. Denn Greil Marcus, der „am häufigsten zitierte Rock-Kritiker der Welt“ („Independent“), wagt in seinem neuen Wälzer eine sozialgeschichtliche Erkundung von Dylans „Basement Tapes“. Jene mythenumrankten Aufnahmen, die His Bobness 1967 mit den Musikern, aus denen später mal The Band werden sollte, im Keller eines Hauses in Woodstock einspielte.

Zwar wurden von den mehr als 100 Songs nur 12 auf LP veröffentlicht (die kompletten Tapes gibt’s nur zu exorbitanten Preisen und viel Glück auf dem Bootleg-Markt), was aber, so Marcus, die epochale Bedeutung des Gesamt-CEuvres keineswegs schmälere. Viele der von Harry Smiths „Anthology Of Folk Music“ inspirierten Songs seien so authentisch wie das in ihnen besungene alte, unheimliche Amerika.

Was hat Dich dazu bewogen, ausgerechnet in Dylans „Basement Tapes“ nach relevanten Pop-Botschaften zu suchen?

Das hat absolut nichts mit der nostalgischen Verklärung einfacherer, besserer Zeiten zu tun. Die Musik der „Basement Tapes“ knüpft an etwas viel älteres an. Das Buch setzt sich daher weniger mit den 60er, sondern mehr mit den 20er Jahren, der Zeit um 1880 sowie der Gegenwart auseinander. Was Dylan und die Band-Musiker sich im „Basement“ geschworen haben müssen, war: Wir pfeifen auf das, was andere in puncto Politik und Mode für so wichtig erachten. Wir steigen aus dieser Zeit ganz einfach aus, und wo wir dann landen – mal sehen. Das war ihre Variante einer Konspiration gegen den damals herrschenden Zeitgeist.

Du beschreibst Dylan als die Ikone des „alten, unheimlichen Amerika“. Wie verhält sich dieses alte zum neuen, unheimlichen Amerika der Serienkiller und der Massaker von Religionsfanatikern?

Trüge das Buch den Titel „Das alte, unheimliche Amerika“, hätte es sich besser verkauft, weil so eine Headline die Leute mehr anspricht. Das alte, unheimliche Amerika war ein Ort ohne Gesetze. Es gab zwar moralische Gesetze, aber kein Zivil- oder Strafrecht Die Leute dort handelten impulsiv, Mord galt vielerorts als die einfachste Lösung für die meisten Konflikte. Faszinierend daran war: Spektakuläre Verbrechen machten auf die Leute einen solchen Eindruck, daß man, wie der legendäre Folk-Musiker Dock Boggs, Songs darüber schrieb und sie so zu Heldentaten machte. Das Massaker in Jonesboro hat für die Einwohner der Stadt inzwischen rein nichts mehr mit Jonesboro oder mit Waffen zu tun. Genau diese Form der Verdrängung ist so typisch für das 20. Jahrhundert Es ist unfaßbar, daß die bizarrsten Familiendramen heutzutage so schnell vergessen sind. Was mich diesbezüglich an den „Basement Tapes“ fasziniert, ist die hier nicht zu überhörende Aussage, daß all die schrecklichen Taten und Geschehnisse niemals in Vergessenheit geraten. Wer aber das nicht wahrhaben will, zu dem kommen sie eines Tages zurück – und beißen ihm ins Bein.

Wie die Mörder-Balladen von einst, hat auch der Pop heute an Bedeutung verloren. Dein Freund Jann S. Wenner sagte damals, als er den ROLLING STONE ins Leben rief: „Die Popmusik ist der Leim, der eine Generation zusammenhält.“ Ist das inzwischen nur noch ein pathetischer Spruch?

Damals war das schlicht die Wahrheit. Heute aber ist Popmusik, zugespitzt formuliert, eine Arena der Korruption, der Stereotypen, der Gesten, die noch nicht mal aus zweiter, sondern bestenfalls aus fünfter Hand stammen, und in der alle Originalität nivelliert wird. Doch im positiven Sinn bietet Pop noch immer das Forum: Man kann in keinem anderen kulturellen Diskurs mit so viel Kraft, Autonomie und Autorität sprechen.

Wird diese Kraft nicht durch die fortschreitende Kommerzialisierung ausgehöhlt? Wir haben uns ja daran gewöhnt, daß die Stones für VW und Microsoft singen. Doch sind Dir nicht die Haare zu Berge gestanden, als unlängst auch Dylan hinging und sein „The Times They Are-A Changin'“ an eine Bank verhökerte?

Nein. Ich bin sogar für eine solche Vermarktung.

Das mußt Du genauer erklären.

Es ist doch faszinierend zuzusehen, welchen Songs diese Form von Korruption nichts anhaben kann. Es gibt Werbespots, die ihre Musik restlos vereinnahmen. Aber es gibt andere Beispiele – etwa den Nike-Clip mit dem Beatles-Song „Revolution“. Als ich den Clip das erste Mal sah, dachte ich ganz spontan: „Mann, das ist ja klasse.“ Denn die Musik walzte die Werbebotschaft gnadenlos platt. Und sollte Dylan jemals im TV mit „Like A Rolling Stone“ für eine Rasiercreme werben, würden wir auch nur den Song hören.

Und anschließend rennen wir alle los und kaufen uns die Rasiercreme?

Nein, wir rennen alle los und kaufen eine Dylan-LP.

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