Das letzte Hossa der Schunkeltruppen

Mit DIETER THOMAS KUHN tritt die Galionsfignr des Schlager-Revivals ab. Die Medien haben die zum Kult gehypte Sparte längst aufgegeben, der Kachwuchs ist farbloser denn je

Stephan Remmler hat gelogen damals. Oder, bleiben wir fair: Der sympathische neue deutsche Wellenreiter, auch wenn er nach dem Begräbnis von Trio gefahrlich nah der seichten Schlager-Gefilde surfte, hat’s kaum besser wissen können. Nicht nur die Wurst hat, gegenüber allem Anderen, zwei Enden. Just gegen Ende des Millenniums hin teilt ihr Schicksal ausgerechnet jene brummkreiselheitere Musik, die in den Siebzigern jeder vernunftbegabte Mensch hassen musste und erst rund 25 Jahre später mit kekkem Lächeln und ein wenig Stolz um die Mundwinkel zu seinen Favoriten zählen durfte. Denn gemeinsam mit einigen oder mehreren betagten Rechnern wird am Jahrtausendwechsel auch der deutsche Schlager abstürzen, zum zweiten MaL Und nicht einmal Dieter Thomas Heck steht als Retter parat Sein Vornamens-Vetter auch nicht. Ginge es nach Dieter Thomas Kuhn, dem schwäbischen Groupie-König und Sonnenblumen-Anbeter, dann würden er und seine Musiker zum Jahresende ein letztes Mal zu Vorreitern werden: „Ich persönlich fand’s schon ziemlich schön“, grient Deutschlands reizendste Fönwelle, „wenn mit meinem Abschied auch das ganze Schlager-Revival nachließe. Das würde mich in dem, was ich die letzten sieben Jahre so gemacht habe, doch bestätigen.“ Die Genugtuung sei ihm gegönnt, natürlich. Was aber war es bloß, das Kuhn, Kollege Hörn und in ihrem Gefolge etliche Newcomer gemacht haben und sogar die faltenreichen und mehrheitlich totgeglaubten Heroen von der ersten Schmalzwelle wieder ans Licht lockte? Und warum ist den Anhängern dieses zweiten Schlagerfrühlings wieder kein Sommer, geschweige denn Herbst und Winter ihrer endlich salonfähig gewordenen Leidenschaft vergönnt? Vorausgesetzt einmal, Kuhn gibt Schlaghosen und Satinrevers doch nicht allzu voreilig in die Akkleidersammlung, muss ergo fortan und vielleicht noch für Jahrzehnte die Kollegen auf ihren unendliehen Triumphzügen hinter dem Banner deutschen Liedgutes ertragen.

Immerhin gleicht die zwar nach Jahren junge, allerdings in der Zeitrechnung der Pop-Industrie gemessen ungeahnt resistente Renaissance ja nicht jener Fieberkurve, die zu Beginn der Achtziger von der Neuen Deutschen Welle in die Bilanzen der Companies gezeichnet wurde. Mitlaufet; Trittbrettfahrer und mit der heißen Nadel gestrickte Sampler hin oder her: Kuhn wie Hörn haben sich ihren Status als glanzvolles Zweigestirn der Schunkeltruppenbetreuung mindestens so hart erarbeitet und ertingelt wie Joe Cocker die Gewissheit, schwarzen Blues singen zu können. JDieses Revival“, doziert Kuhn, „ist ohne Grund von manchen Leuten zum Hype erklärt worden. Die Musiker und Fans haben sich von einer Eigendynamik treiben lassen, die nicht von außen kam, sondern aus Spaß an dieser Musik heraus entstanden ist“

Ausgerechnet profaner Spaß also vor zwölf Jahren unter imagebewussten Szenegängern noch so populär wie ein Brandfleck in ihrer Armani-Jacke, soll eben diese in plumpbunte Nyltesthemden und zu den ollen Kamellen eines Michael Holm oder Jürgen Drews gar auf die Tanzflächen getrieben haben? Dass Soziologen, mit dem Phänomen überraschend vor dessen Ende befässt, noch andere Erklärungen bis hin zu einer rezessionsbedingten Abkehr von bedeutungsschweren Klängen (denen also, die sie selber hörten) einfielen, weiß auch Kuhn, „aber wir fanden diese Verrenkungen im Feuilleton immer witzig, weil es den Verfassern ausnahmsweise nicht gelungen ist, das ganze Vergnügen zu zerreden.“

Daran könnte jene Institution eine gehörige Mitschuld tragen, der Kuhn selbst sehr gut gelaunt nur skeptisch begegnet „Das Fernsehen“, so sagt er, „verdummt die Leute. Sie kennen kein anderes Fenster zur Welt mehr, und du kannst ihnen inzwischen alles vorsetzen. Sendungen wie ,Peep‘ braucht man doch nur, weil es sie gibt. Aber sie erschaffen heute Kultfiguren, die vor 20 Jahren nirgendwo eine Chance gehabt hätten.“ Diesem Schicksal glaubt Dieter Thomas Kuhn entgangen zu sein – vielleicht der einzige Streitpunkt mit seinen Fans. Doch der Mann weiß Argumente zu nennen: Anders als sein „überhaupt nicht zu beneidender Kollege“ Guildo Hörn habe er sich „nie in die schlimmste vorstellbare Werbekampagne einbinden lassen, die es je im deutschen Popgeschäft gegeben hat.“ Zwölf Millionen Bundesbürger hätten damals mitgefiebert und Guildos siebten Platz im Grand Prix d’Eurovision bejubelt wie einen Sieg: „Aber kein Schwein hat deshalb hinterher sein Album gekauft. Der war für die Leute doch bloß als Figur, nicht aber wegen seiner Arbeit bekannt“, toVOLKS MUSIK

tal frustrierend müsse das gewesen sein. „So ist das eben mit dem Kult. Der ist unheimlich kurzlebig.“

Ein guter Grund für ihn und seine Band, die „schönsten Jahre unseres Lebens“ nun frühzeitig mit einem Finale zu krönen. Kuhn würde das zwar nie so sagen, schenkt solchen Vermutungen allerdings die nötige Nahrung. „Wir haben – und daran glaube ich fest – an einem Stück Musikgeschichte mitge schrieben, aber das müssen wir jetzt auch so stehen lassen, weil es sonst kaputt gemacht wird.“ Außerdem habe er absolut gar keine Lust, „erst an der Reaktion der Fans zu merken, dass meine Zeit abgelaufen ist. Da lasse ich mich lieber noch ein letztes Mal richtig toll bejubeln und sage adieu.“

Was aber wird dann aus dem Schlager? Die Tatsache, dass Guildo Hörn und seine orthopädischen Strümpfe nicht, wie bereits vermeldet, dem Beispiel des Kollegen folgen werden, sondern im Oktober eine neue Platte veröffentlichen, kann dieses Genre kaum alleine retten. Denn dem, meint Kuhn, geht es nach dem Revival „kein Stück besser als zuvor.“ Nur weil jetzt ein paar Leute mehr wüssten, dass der Schlager der Siebziger „ein paar schöne Songs hervorgebracht hat, ist der Nachwuchs doch nicht besser geworden. Der junge deutsche Schlager, wenn er denn überhaupt irgendwo zur Kenntnis genommen wird, ist farbloser denn je, weil er mit dem Revival absolut gar nichts zu tun hat.“ Wenn schon Rundfunksender wie etwa das Hamburger Alsterradio, bis vor kurzem als Schlagerbastion geliebt und verschrien, auf großformatigen Plakaten zukünftig „0 °/o Schlager“ versprächen, „dann erkennt man doch, wie groß noch das Vertrauen in die Zukunft dieser Sparte ist.“

Nur das Publikum sträubt sich noch gegen die Kompostierung seiner gerade liebgewonnenen Helden und marschiert als Armee von 300 000 über die Hamburger Schlager-Parade oder ersteht sächsische Kleinodien wie „ö La Palöma Bianca“ zu Gold-Ehren. Und jetzt dürfen sie sogar zu Pilgern werden und das Tübinger Stadtmuseum zu ihrem Wallfahrtsort ernennen. Dort nämlich gastiert ab sofort eine Dieter-Thomas-Kuhn-Ausstellung mit den Insignien des Barden, inbegriffen einer vollkostümierten Wachsfigur des sangestüchtigen Schwaben. Der wird sich demnächst erst einmal seinem Friseur anvertrauen und dann kurzgeschoren neuen Taten kühn entgegenschreitt-n. „Zwar wird es schwierig“, grinst Kuhn, „mich selbst zu übertreffen. Aber wer weiß, vielleicht setzen wir ja noch eins drauf.“ Ein drittes Schlager-Revival anno 2010?

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