Will Oldham – Das Projekt Palace Music ist aufgelöst

Das Projekt Palace Music ist aufgelöst, doch der ingeniöse Songschreiber WILL OLDHAM setzt seine seltsamen Exursionen in die Ungewißheit nun allein fort.

Bei der ersten Begegnung eilte ihm der Ruf der Merkwürdigkeit voraus: Er soll Peter Handke lesen und die Filme von Wim Wenders schätzen; das Songwriting von Neil Young sei ihm zu autobiographisch; nach dem Pinkeln betätige er nicht die Klospülung und wasche sich nicht die Hände. Da hatte Will Oldham, 22 Jahre alt, eben unter dem Namen Palace Brothers das Album „There Is No-One What Will Take Care Of You“ veröffentlicht, eine Sensation für Experten. Wenn Sex und Drogen nicht mehr helfen und man sein Leben in den Sand gesetzt hat, dann beginnt diese Musik, frohlockte ein Rezensent.

Weil Sex und Drogen grade mal nicht zur Hand waren, machte sich der Reporter auf den Weg zum ersten Konzert des mysteriösen Mannes in Deutschland. Die Intensität war schwer zu ertragen, als Oldham auf einem Schemel seine Leidenslieder murmelte und jaulte. Eine schäbige Pelzjacke trug er wohl; später lernte man auch noch einen schmutzigen Anorak und einen roten Pullover kennen. Nun, Oldham sieht noch immer aus wie ein verstörtes Kind – und so benahm er sich am Abend in einem thailändischen Restaurant, wo er seinen nachgereisten Mitspieler begrüßte, indem er „Ommmmm“ summte und sich eine gefaltete Serviette auf den Kopf setzte. Eine Suppenschüssel, die vom Kellner vorzeitig abserviert werden sollte, wurde von ihm brüsk aufgehalten und ausgelöffelt. Ein Hungerkünstler.

Man kann Will Oldham zu seiner Kunst befragen, doch kargere Antworten gibt es nicht. Mit der Zeit merkt man, daß er sich nicht verweigert, sondern daß er nicht darüber sprechen kann. Die üblichen Verdächtigungen des Musik-Zirkulationsagenten (Hank Williams? Carter Family? Bob Dylan? Neil Young? Nick Drake?) laufen ins Leere, denn Will Oldham hört all diese Musik gar nicht. „Orgelmusik“ nannte er willkürlich als eine Inspiration – ebensogut hätte er „Gregorianische Gesänge“ sagen können oder „Gebetsmühle“. Seine Songs haben die Amerikaner unter „Appalachian Music“ subsunuert, was zwar tnusikhistorisch schlau, ansonsten aber Quatsch ist Oldham saugt alles auf, er stößt aber auch alles ab. Und am liebsten stößt er vor den Kopf.

Vor vier Jahren wohnte er in einer Garage in seiner Heimatstadt Louisville, Kentucky. Dort hat er tatsächlich auch Eltern und einen Bruder, der ihn manchmal dilettierend am Baß begleitet hat. Bevor Will die Gitarre spielen konnte und nachdem er vom Schnupper-Studium der Biologie (oder dergleichen) genug hatte, ging er in einem wahnhaften Anfall nach Hollywood und agierte sogar in einem Film. Bis heute fasziniert ihn das Kino – zu einem obskuren französischen Film komponierte er einen kleinen Soundtrack, und die Frau, die er kürzlich geheiratet hat, verfaßt Drehbücher. „I Am A Cinematographer“ singt er auf seinem zweiten Album, und gnadenloser als Oldham beobachtet wohl kaum jemand die Menschen. So linkisch und hilflos er sich gibt, so schneidend ist seine Geistesgegenwart, so bitter sein Humor. „I fell apart“, entgegnet Will Oldham wie selbstverständlich auf die Frage, wie es ihm denn so gehe. Und seine Hochzeit womöglich ein Zeichen der Hoffnung? „Es gibt glückliche Momente und unglückliche, weißt du“, belehrt er den Befrager. Also gut, dann lassen wir das doch. Palace Brothers, Palace und Palace Music gibt es nicht mehr. Ohnehin haben diese Titel stets nur notdürftig verdeckt, daß Oldham niemals demokratisch mit einer Band arbeiten würde. Die konzertante Aufführung der immergleichen Songs ist ihm ein Greuel, weshalb die Musiker ebenso gewechselt werden wie die Formen. Da lärmt es im Konzert plötzlich elektrifiziert wie beim Hardcore – allein, Oldham kann nicht richtig spielen. Singen sowieso nicht Er winselt aus dem schwarzen Loch der Existenz, und seine tröstliche Nachricht lautet: „If there is no one, no one can hurt you.“ Eine tiefe Angst peinigt diesen Flüchtling, der Anfang 1994 eine Reise durch Rußland machte und kein Zuhause mehr hatte. Sein letztes Hab und Gut hatte er irgendwo eingelagert; auf seiner ausgebreiteten Decke auf dem Boden lag neben allerlei gesammeltem Krimskrams Nabokovs „Despair“. Seine Bekanntschaft mit einer wuchtigen russischen Opernsängerin ist auf einem Foto dokumentiert, das auf der Cover-Rückseite seines schönsten Werks, „Hope“, zu sehen ist. Die anmutige Brumme hat ihn beeindruckt – ebenso wie eine exilpolnische Promoterin, die sich des vermeintlich verlorenen Landstreichers angenommen hatte und in deren Hütte er Aufnahme fand. Doch das Verhältnis blieb platonisch.

Was macht er denn nun? Vor ein paar Wochen war er erstmals allein unterwegs und spielte in Iowa. Erst im Sommer will er wieder Songs schreiben – derweil ist auf seinem Haus-Label Drag City bereits die erste Single unter seinem Namen erschienen. Für Interviews steht er aber nicht mehr zur Verfügung: Wie „in einer Falle“ habe er sich gefühlt, als er in einem Kölner Lokal anläßlich von „Viva Last Blues“ den Fragen ausgesetzt wurde. Und tatsächlich verfällt Oldham in bleiernes Schweigen oder entsetzliches Gestotter, sobald er etwa nach den Unterschieden zwischen seiner und der Arbeit Bill Callahans gefragt wird: Vieles gefalle ihm an Smog-Liedern nicht, doch „wir sind Freunde“. Muß eine Bombenstimmung sein, wenn die beiden zusammensitzen. Schließlich gelingt Oldham unvermutet doch die letztgültige Formulierung: „Bill schreibt Songs, weil er allein sein will; ich schreibe Songs, um nicht allein zu sein.“

Sein Schaffen: ein einziger Versuch, mit der Welt in Kommunikation zu treten. Man möchte weinen, wenn die Anstrengung in fahrig zerstückten Sätzen scheitert. Wir wollen doch alle nur geliebt werden das allerdings ist Will Oldham schmerzlicher bewußt als anderen Menschen. Die Gewißheit, daß kein Gott sei, kann den Atheisten nicht mehr schrecken. In dem unvergeßlichen Song JRiding“ dankt er deshalb dem gütigen Schöpfer, nicht zuletzt für die geliebte Schwester Lisa: „And all my life I owe to Him.“

Da hilft nicht mal Beten.

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