Der Aufstand der Safttrinker – No Future und New Wave in Deutschland: JÜRGEN TEIPEL hat für seinen DokuRoman über 100 Punk-Protagonisten interviewt. Sie konnten sich erinnern

Can waren schon 1970 Punk, sagt Holger Czukay, weil sie volle Hallen leerspielten. Roxy Music waren’s auch, glaubt Nina Hagen, die wiederum viele „Rockpalast“-Zuschauer für die Pionierin halten, weil sie den neuen Stil bis in die Wohnzimmer brachte. Vielleicht waren auch Faust die erste Punk-Band, mit ihren Presslufthämmern und Flipper-Automaten. Die vier von Kraftwerk waren es jedenfalls nicht. Als sie im Juni 1978 das Carschhaus-Festival in Düsseldorf besuchen wollten, wurden sie von einer Horde Punks aus der Halle gejagt. Man habe die boring oldfarts vertrieben, meldete der Anführer stolz.

Es ging dabei nicht mal um ein musikalisches Feindbild, mehr um die falschen Krawatten und Ausgeh-Lokale. Um die schwierige Balance zwischen neuen und alten Ideologien, die alle Pop-Revolutionen prägt Nachdem vor kurzem endlich Jon Savages britische Punk-Bilanz „England’s Dreaming“ bei uns erschienen ist, kommt nun „Verschwende deine Jugend“ (Suhrkamp-Yerlag), der deutsche Gegenpart, ein Lückenschließer der Geschichtsschreibung. Mit einer beeindruckenden Menge an Material, das der freie Journalist Jürgen Teipel aus über 100 Interviews in knapp vier Jahren mitgebracht hat Die Nähe zum Gegenstand hat Teipel (der unter anderem für „Die Zeit“, die „Neue Zürcher Zeitung“ und den ROLLING STONE schreibt) durch die eigene Punk- und New Wave-Vergangenheit Anstatt aus dem eigenen Winkel die Analyse zu liefern, arrangiert er ausschließlich Original-Zitate und erwähnt sicherheitshalber im Vorwort, wen er aus Zeit- und Platzgründen alles nicht berücksichtigen konnte.

Die lustigen Musikanten Nena und Markus werden hier höchstens jugendliche Besucher von „Neue deutsche Welle“-Revival-Partys vermissen. Noch bevor sich die Major-Labels andeutungsweise für die Bewegung interessierten, war in Düsseldorf, später Berlin und Hamburg so viel passiert, dass es den größten Teil des Buches locker füllt. 1977 waren die Bands Male und Charley’s Girls die ersten, die das Ramones-Debüt nicht nur cool fanden, sondern als Aufforderung verstanden. Von lebensverändernden Reisen nach London und New York erzählen die damaligen Protagonisten, von Kartoffelpuffern, mit denen sie faulsäckige Superstars in der Kölner Rheinhalle bewarfen, und natürlich vom Hass auf Hippies und politische Korrektheit. Wie in England, Punk als Nicht-Ideologie, als Verkleidungsspiel. Der bedröhnte Sid Vicious wurde für die hellwachen Düsseldorfer Gründer zum Negativ-Beispiel: „Wir waren die Safttrinker“, sagt Peter Hein, der als Sänger von nacheinander Charley’s Girls, Mittagspause, Fehlfarben und Family 5 am roten Faden der Geschichte hängt. Wer sich durch die Widersprüchlichkeiten und Redundanzen kämpft, die in knapp 360 Seiten voll Zeugenaussagen stecken, wird mit dem maximal differenzierten Bild belohnt: Die provokanten Spiele mit Nazi-Symbolik verloren für einige Ur-Punks den Witz, als DAF-Gründer Gabi Delgado ernsthaft im Uniformenwahn zu schwelgen schien. In Berlin war Blixa Bargeld so sehr um authentische Formen bemüht, dass er die erste Single der Einstürzenden Neubauten im Inneren einer Autobahnbrücke aufnahm – zeitgleich trieben Der Plan mit ihrer durchdachten Pop-Art die Verfremdung auf die Spitze. Gegen die drei Akkorde der Ramones (die man längst als verkappte Rocker entlarvt hatte) setzte Harry Rag von S.Y.P.H. die „Ein-Akkord-Power“. Was schon wieder ein wenig nach Hippie stank.

Dass die diffuse, in sich zerstrittene Bewegung vor allem durch die Definitionsmacht der Presse zusammengehalten wurde, mit der die deutschen Punks teils souverän spielten, wird in Teipels Buch ebenso deutlich wie der Unterschied zur subversiven Musikszene der Gegenwart: Damals spielte man eben nicht nur für die bereits Bekehrten. Die Suche nach Hörbeispielen für die aufregenden Jahre ist heute allerdings schwierig – der Preis einer strikt unabhängigen Veröffentlichungspolitik. Der Sound des Jetzt, unwiederbringlich vorbei. Wahrscheinlich wollten sie das so.

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