Der kleine Punk-Laden von nebenan

Sie sahen nicht gerade aus wie CIA-Agenten. Doch bei den Typen, die eines Tages unvermutet in dem kleinen Plattenladen im Hamburger Schanzenviertel auftauchten, handelte es sich auch nicht um die übliche Kundschaft Das war Ekkehard Friedrich, dem 30jährigen Besitzer von „Vince Lombardy Highschool Records“, bereits klar, kaum daß sie den düsteren Raum unter der S-Bahnbrikke betreten hatten. Von seinem Platz hinter der Kasse beobachtete er, wie sie sich aufmerksam die Cover-Rückseiten durchlasen, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Zivile Bullen auf der Suche nach der deutschen Version von Ice-Ts „Copkiller“. Mit Prall!, einer anderen Band, die in dem nur 16 Quadratmeter großen Laden gelegentlich die Zeit totschlug, hatten sich die Rap-Metal-Punks The Bronx Boys eine von Friedrich finanzierte Single geteilt Auf der einen Seite dröhnten Proll! (die heute Prollhead!) heißem „Auf Typen wie dich kann ich nicht!“ Und auf der anderen betätigten sich die Bronx Boys als Bodycount „Leichenzähler“. Es war nur ein Spaß, doch jetzt schien die Sache außer Kontrolle zu geraten. Bereits bei der Foto-Session für das Platten-Cover hatten die Bronx Boys Bekanntschaft mit der Staats Green Day & Co. mögen ihn Karstadt-kompatibel gemacht haben, doch DER PUNK geht woanders ab Der kleine Punk gewalt gemacht Bewaffnet mit Gotcha-Knarren und Spielzeug-Kalaschnikows hatten sie in einem Hinterhof des Karo-Viertels wie Gangstas posiert, als ein Bulle plötzlich in die Aufnahmen geplatzt war. Mit gezückter Waffe hatte der-im Glauben, eine echte Gang vor sich zu haben-sie aufgefordert, sich mit erhobenen Händen an die Wand zu stellen. Gutgemeinte Hinweise, daß ihre Waffen doch nur aus Plastik seien, empfand der durchgeknallte Bulle jedoch nur als Ablenkungsmanöver. Die Situation eskalierte dramatisch, und die Band fürchtete schon, Hauptdarsteller in einem schlechten Witz zu sein, als ein Mobiles Einsatzkommando auf der Bildfläche erschien – und den Spuk beendete. Als die ProU!/Bronx-Boys-Single dann auf dem Label von Vince Lombardy Highschool Records so heißt die Schule im Ramones-Film „Rock’n’Roll Highschool“ erschienen war, hatte es erneut Ärger gegeben. Diesmal mit autonomen Frauen, die sich empörten, daß die Bronx Boys darauf zur Gewalt gegen Frauen aufriefen: „Leichenzähler, fick deine Mutter!“ Friedrichs klappriges Auto verzierten sie mit Parolen: „Wir kriegen dich.“ Weitergehenden Forderungen („Schwanz ab!“) ließen sie allerdings keine Taten folgen. Nun also auch noch die Bullen. Doch diesmal hatte Friedrich Glück. Sie schnallten nicht, daß es sich beim „Leichenzähler“ um den gesuchten „Copkiller“ handelte, und verschwanden wieder, ohne sich jemals wieder zu melden. Gott hab sie selig. Seit der Gründung vor sieben Jahren ist der „Vince Lombarde-Laden so was wie das Wohnzimmer von Hamburgs Schmuddelkindern und Straßenrockern. Ekkehard Friedrich hatte 1978, beim Rasenmähen, erstmals eine Sex-PistolsScheibe gehört – und ist seitdem infiziert Das Gymnasium verließ er vorzeitig, um künftig mit Independent-Singles und Vinyl-Raritäten zu handeln. Als er dann den winzigen Laden eröffnete, bemerkte er schon bald, daß viele seiner Kunden nur darauf warteten, endlich entdeckt zu werden. Friedrichs gründete einen „Singlesverein“ und produzierte die Bands, die in seinem Laden abhingen. Unter dem Motto „Hasch stoppt Hass-Alkohol killt!“ veröffentlichte er schließlich im vergangenen Jahr einen Picture-Disc-Sampler, für den ROLLDVG STONE-Zeichner Sebastian Krüger das Front-Cover beisteuerte. In einschlägigen Kreisen avancierte die Antwort auf Rostock und das Cannabis-Verbot zur teuer gehandelten Kultscheibe. Darauf enthalten war auch ein Song der Bronx Boys, nach dem Zivilbullen, siehe oben, bereits im Jahr zuvor gefahndet hatten: „Kuhmörder“ – die deutsche Version von „Copkiller“. In Hamburger Platt und inspiriert von der fieberhaften Suche der Bullen, drohten die Boys ihren „Freunden vom Hamburger Acker“: „Wenn noch mal einer von euch Döspaddels einen von uns an den Karren pißt, nur weil er falsch gedüngt oder „ne Zottelmiene hat, geile Mucke dudelt oder Schnaps brennt, wird’s Zeit, den Bambule-Spaten auszubuddeln. Dann gibt’s ’nen Satz Ringe in die Nase, die Eierauf den Amboß, Hammer drauf, und ab dafür!“ Und dann bretterten sie drauflos, als wären die Ramones in einen Jungbrunnen gefallen. So ein geiles Kettensägen-Gitarren-Massaker hatte schon lange niemand mehr produziert, dagegen hörten sich selbst die deutschen Ur-Punk-Bands Abwärts und Slime wie Chorknaben an. Mittlerweile ist Punk mal wieder das nächste große Ding. Green Day plazierten sich nach der Schlammschlacht von Woodstock wochenlang in den deutschen Top Ten, Oflspring folgten im Windschatten. Die loten Hosen machen ein wöchentliches Punk-Special auf „Radio Fritz“ in Potsdam; die Metronome vertreibt „Musik für Arschlöcher“ der Kreuzberger Polit-Punks Terrorgruppe. Und Virgin veröffentlichte unlängst einen Tribute-Samplet, auf dem Lucilectric, Extrabreit und die Ärzte (unter dem Namen „2 fickende Hunde“) die Songs des ersten – und einzigen – Prollhead !-Albums covern. Daß Prollhead! inzwischen zur Industrie abgewandert sind, nimmt Friedrich ihnen nicht einmal übel auch wenn er sich von ihnen „angeschissen“ fühlt, weil sie ihn mitten in den Aufnahmen, vor allem aber auf den Studiokosten hätten sitzen lassen. Mehr als ein Sprungbrett kann der Ein-Mann-Betrieb Vince Lombardy eben nicht sein. Das wissen auch die Bronx Boys, die ebenfalls auf einen Deal mit einer majorCompany aus sind und sich vom Indie-Labe! Vince Lombard) einen PR-Schub erhoffen. Bevor sie sich Bronx Boys die fünf Schmuddelrocker in Hamburger Punk-Bands wie den Razors, den Buttocks, Blumen am Arsch der Hölle oder Ramones ’77. Einige der Herrschaften waren bereits Punks, als Green Day noch in den Kindergarten gingen. Und als Nina Hagen auf Ibiza ihre Punk-Hochzeit mit Iroquois zelebrierte, und der ihr auf dem Höhepunkt des Festes fast die Zunge abgebissen hätte, waten sie live dabei Auf ihrem Debütalbum klingen die Punk-Veteranen jedoch wie frisch durch den Fleischwolf gedreht In guter alter Punk-Tradition spotten sie über Ayrton Senna („Immer an der Wand lang – Schumacher lebt“) oder die Rinderseuche BSE: „eine lustige Tanzkrankheit“. »m gegenwärtigen Punk-Boom profitiert Vince Lombardy allerdings nur wenig. Nach einem Umzug ist der Laden jetzt zwar 48 statt 16 qm groß, und der Label-Name ziert neuerdings auch die Trikots des FC St Pauli (wenngleich nur die der dritten Herren). An den Wänden hängen noch immer die Plakate vom ’81er Konzert der „Damned“ in der Hamburger Markthalle, Original-Ausgaben von Mark Perrys legendärem Fanzine „Sniffin‘ Glue“ und längst vergriffene Singles von den Rezillos. Aus den Boxen dröhnt noch immer Punk-Rock der härteren Sorte. Doch seit es CDs von Green Day sogar bei Karstadt gibt, fragt Friedrich sich schon mal, warum er eigentlich noch Platten produziert, wo doch ohnehin alle Bands am liebsten zu einer major Company gehen würden. So wie Noise Annoys, von denen er mehr Platten verkauft hat als später Virgin Records. Oder wie Prollhead!, die von den Ärzten abgeworben wurden, dann aber doch wieder bei einem Independent-Label landeten. Irgendwie ist die Luft etwas raus. Selbst die Cops lassen sich nicht mehr blicken. J3

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