Dion

Mit den Belmonts hatte Dion DiMucci, Kind italienischer Einwanderer aus bescheidenen Verhältnissen, schon als 19-Jähriger große erfolge. Doch statt mit juvenilen Gassenhauern wie "Teenager In Love" weiterhin auf der Doo-Wop-Welle zu segeln, drängte es Dion bald zu Blues und Folk. Die British Invasion und Drogen-Exzesse beendeten 1964 beinahe seine Karriere, doch gegen Ende des Jahrzehnts gelang dem Sänger ein Comeback. Heute gilt Dion vielen als strahlender und stilbildender Vokalist der frühen Jahre.

Die Belmont Avenue in der Bronx war bunt und rund um die Uhr geschäftig. Ein Boulevard, der zum Flanieren einlud, mit Schaufenstern, an denen sich ganze Familien die Nasen plattdrückten, mit Eisdielen und chromblitzenden Straßenkreuzern, die im Schneckentempo am Randstein entlang schlichen, um bloß nicht übersehen zu werden. Auch Gauner zog es in die Belmont Avenue, wenn ihnen das anderswo ergaunerte Geld Löcher in die Taschen brannte. Das Leben hier schien leicht. Für Dion DiMucci war es die Grenze zu einer gefahrlosen Welt, die ihm so fremd war wie Urlaub oder Afrika.

Dions Welt lag nur ein paar Blocks entfernt, ein italienisches Viertel, wo Pasta und billiger Chianti ebenso zum Alltag gehörten wie Klappmesser und Schutzgelderpresser. Dions Eltern hatten noch dunkle Erinnerungen an die alte Heimat, doch waren sie so finster, dass nur innerhalb der nahen Verwandtschaft darüber gesprochen wurde, in Andeutungen, flüsternd. Als Kind wusste er die Angst in den Augen nicht zu deuten, doch sie war allgegenwärtig wie die Anrufung der Heiligen. Dabei sei das M-Wort, so Dion später, nie gefallen. Was Mafia und Kirche für die Welt der Erziehungsberechtigten waren, nicht negierbare Konstanten nämlich, waren Musik und Gewalt für die Jugend in der Bronx. Und beides fand auf der Straße statt.

Die erste Gang, der sich Dion an der Schwelle zum Teenager-Dasein anschloss, waren die Fordham Daggers. Zu ihrem Initiationsritus gehörte es, sich von allen Bandenmitgliedern dreimal in die Magengrube boxen zu lassen und hernach eine Stunde lang kopfüber in einem Abwassergully zu hängen. Kinderkram. Mit 15 wurde Dion von den Baldies rekrutiert, einer weitaus gefürchteteren Gang, die ihren Namen dem Kahlkopfadler verdankte, dem König irgendwelcher fernen Lüfte. „Ich war stolz darauf, den Baldies aufgefallen zu sein. Das hieß immerhin, dass man mich als hart und zuverlässig einstufte. Als Schlägertype, die ich in Wahrheit nie war, aber doch so gerne gewesen wäre.“ Fortan gab Dion also den Hartgesottenen, um die Revieransprüche der Baldies und die eigene Reputation zu wahren, gegen die Impenal Hoods oder die Italian Berettas. „Ich steckte voller Energie, war immer vorne mit dabei, wenn es galt“, wird der juvenile Delinquent wider Willen Dekaden später zu Protokoll geben, „aber im Grunde meines Herzens war ich kein Kämpfer, mir fehlte der Killerinstinkt. Etwas in mir hielt mich davon ab, mit letzter Kraft zuzuschlagen. Ich lebte ständig in Angst, meine mühsam aufgebaute Fassade der Gefährlichkeit könnte durchschaut werden. Dazuzugehören war schließlich alles, es bedeutete Rückhalt und Respekt.“

Doch es bedeutete auch, an Begräbnissen teilnehmen zu müssen, weil die mit Klingen und Schlagringen geführten Bandenkriege nicht ohne Opfer über die Bühne gingen. „West Sidc Story“ vermittle trotz choreografierter Tragik eine recht gute Vorstellung davon, so Dion, man müsse sich nur viel Blut und Tränen hinzudenken. Und den Zorn, der sich am Grab mit Scham und verletztem Stolz mische, eine Gemütswallung, die nicht hilfreich sei beim Versuch, Rachegedanken zu unterdrücken. Dion war 17, als er die Kraft fand, sich diesem fatalen Kreislauf endgültig zu entziehen. Seine eigentliche Berufung, das wusste er längst, war ohnehin die Musik.

Dion liebte Musik, nein: Er lebte sie. Was nicht schwer war, denn sie umgab ihn überall, drang aus dem Radio, aus den kleinen Läden, sie erklang an jeder Kreuzung, im D-Train, in Bussen. Es brauchte für gewöhnlich keine Instrumente, man sang a cappella. In der Tradition der Barbershop-Quartette, aber nicht in gestreiften Hemden und mit Strohhut. Die Jungs, die da an Straßenecken herumlungerten und sich vokalistisch spreizten, sahen aus wie die Mitglieder einer Gang. Und waren es nicht selten auch. Hautenge jeans, spitze Schuhe, die Haare mit Pomade gebändigt, Haltung und Sprache herausfordernd lässig. Während in den Bebop-Kellern Manhattans die Geburt des Cool gefeiert wurde, hob man in der Bronx ein anderes, nicht minder cooles Baby aus der Taufe: Doo-Wop. Als die 40er den 50er Jahren Platz machten, schien es, als hätte jeder Block in der Bronx eine eigene Gesangsgruppe ins Rennen um die Gunst der Nachbarschaft geschickt, vor allem freilich um die Gunst der Girls.

Dion war noch zu jung, um das hormonell gesteuerte Gockeln der geschlechtsreifen Stimmwunder in seiner Unabänderlichkeit zu begreifen, als er 1949, gerade zehn Jahre alt, seine erste Gitarre geschenkt bekam. Eine Gibson, der er schon bald genug Akkorde zu entlocken wusste, um die Songs von Hank Williams zu begleiten, die das Radio ihm offenbarte. „Hanks Songs und seine Stimme brachten etwas in mir zum Klingen, was ganz unbeschreiblich war“, berichtete Dion später, „Hank enthralled me, filled me with wonder.“

Ebenso prägend sollte sich eine andere Offenbarung erweisen, die der Teenager dem Radio verdankte: Blues. Dion hörte Jimmy Reed und Muddy Waters, freundete sich mit einem viel älteren Schwarzen an, der sich als Hausmeister verdingt hatte und in seiner Kellerwohnung Gitarre spielte. Und das wunderbarste überhaupt besaß: einen Plattenspieler nebst Schallplatten von John Lee Hooker und Howlin‘ Wolf. Dion verbrachte viel Zeit dort, saugte den Blues in sich auf. „Ich wusste es nicht, aber ich legte damit die Fundamente für mein Musikgefühl“, urteilt er heute. „Hank plus Howlin‘ Wolf ergaben zusammen das, was dann Rock’n’Roll genannt wurde. Für mich eine schlüssigere Gleichung als jede mathematische Formel, mit der ich mich je abgequält habe.“

Kein Wunder mithin, dass Dions erste ernsthafte Versuche, eigene Musik zu machen, im Spannungsfeld zwischen Country und Blues angesiedelt waren. Mit zwölf war er noch mit seinem Vater aufgetreten, der sich als puppenspielender Kleinkünstler ein Zubrot verdiente. Keine zwei Jahre später wagte sich der Spross schon allein auf kleine Bühnen. Dion sang leidenschaftlich gern, verstand sich auf mehrstimmigen Satzgesang, zelebrierte mit ein paar Freunden Doo-Wop. in der U-Bahn, am Strand von Coney Island oder vor Candystores. Doch intonierten sie nicht die populären Genre-Klassiker, sondern ließen ihre vokale Verve solchen Rhythm & Blues-Heulern wie „Shotgun Boogie“ und „Stagger Lee“ angedeihen. Musik, die der Baldies würdig war, scharf und aggressiv. Dann ereilten den jungen Di-Mucci kurz hintereinander zwei Naturereignisse, die seine Musikwelt erschütterten. Der Stimmbruch und Elvis.

An die tiefergelegte Stimme gewöhnte sich der Sänger schnell, sein Tenor entpuppte sich als ungeheuer wandlungsfähig und sollte zahllose Bewunderer finden. Bob Dylan würde dem Zauber von Dions Stimme erliegen, „longing, excited and entranced“. Bruce Springsteen würde von ihrer „mythischen Macht“ schwärmen, die ihn bei jedem Hören „emporhob und davontrug“. Und Lou Reed, der anlässlich der Aufnahme Dions in die Rock’n’Roll Hall Of Fame 1989 die Laudatio hielt, steigerte sich sich in einen poetischen Rausch, dem der Kater einer Eindeutschung erspart bleiben möge: „He could do all the turns, Stretch those syllables so ertortlessly, soar so high he could reach the sky and dance there among the stars forever.“

Doch so weit sind wir noch nicht, zurück zu Elvis. In dessen Musik all das aufgehoben war, was auch Dion verinnerlicht hatte. Honky Tonk, Blues, Hillbilly, Gospel. Die Karten wurden am Mississippi nur anders gemischt als am East River. Dion war elektrisiert von Rockabilly, ohne zu wissen, dass man diesen konvulsiven Schluckauf zu impulsiven Zuckungen so nannte. Er fügte Tempo, Twang und Drawl des Memphis-Sound den vielen anderen Einflüssen hinzu, die er absorbiert hatte. Und ergänzte seine Gesangstechnik um ein paar Kniffe aus Elvis‘ Trickkiste, genauso wie er es mit den Flexionen von Robert Johnson. Louis Prima und Frank Sinatra getan hatte. Oder mit denen des Kantors in der Synagoge nebenan. Dion sog Musikstile auf wie ein Schwamm. Andere Teenager ließen sich von der Jukebox die aktuellsten Lieblingshits servieren, Dion wählte lieber Titel, die er noch nicht kannte.

Die Leute in seiner Nachbarschaft glaubten an den jungen DiMucci. Einer, der so singen konnte, sagten sie, müsse ja früher oder später entdeckt werden. Wenn nur die Konkurrenz nicht so zahlreich gewesen wäre. „Every street corner in the Bronx had a gang of layabout harmony experts“, erinnert sich Dion, „it was real crowded.“ Im Sommer 1957 war es so weit, die Gebrüder Schwartz luden Dion ins Studio, im September erschien auf Mohawk seine erste Single titeis „The Chosen Few“. Den bereits fertigen Background hatten die Timberlanes geliefert, eine eher betuliche Gruppe, die Dion nie zu Gesicht bekam. Die Single floppte gründlich, und es kostete den Gesangskünstler daher nicht viel Mühe, die Plattenlirma von der Notwendigkeit zu überzeugen, eine Gruppe zu formieren, die den Zeichen der Zeit nicht verständnislos begegnete. Dion bekam freie Hand und formierte seine Wunsch-Crew aus den beiden Tenören Angelo D’Aleo und Freddie Milano sowie dem Bariton Carlo Mastrangelo. „Sie waren fabelhaft“, so Dion im Gespräch, „und sie hauen die richtige Attitüde.“ Einen Namen hatte er flugs gefunden, die Flaniermeile stand Pate: Dion & The Belmonts.

Nun ging es schnell. Ganze drei Takes brauchte das intuitiv brillierende Team, dann war „I Wonder Why“ im Kasten. Zwei Minuten und neunzehn Sekunden einer unerhörten Mixtur aus Doo-Wop-Tradition und Teen-Appeal, geboren in der Enge der Bronx, auf dem Sprung in die weite Welt. Die Mafiosi, die an Dions Tür klopften, weil sie ein Geschäft witterten, bei dem sie abkassieren wollten, trollten sich kopfschüttelnd, nachdem sie „1 Wonder Why“ gehört hatten. Mit diesem überdrehten Zeug, so gaben die unauffälligen Herren Dion unmissverständlich zu verstehen, sei nun wirklich nichts zu verdienen. Ein paar Wochen später, im Mai ’58, enterte „I Wonder Why“ die US-Charts auf Laurie Records, ein Label, das eigens für Dion & The Belmonts gestartet wurde. New York City hatte eine neue Attraktion. „Wc were a big deal, people were yelling at us out of the Windows“, berichtet Dion, „it was terribly exciting. And it was only the beginning.“

Wenige Wochen später hätte die Karriere der Bronx-Harmorusts beinahe schon ein jähes, tragisches Ende genommen, bei einer Package-Tour. Wäre Dion nicht so knausnggewesen, eine Eigenschaft, die ihm die Mutter vorgelebt hatte, in Zeiten notorischer Knappheit. Jedenfalls schien ihm der Preis von 36 Dollar für ein Flugticket von Clear Lake, Iowa nach Fargo ein zu stolzer, weshalb er beschloss, im Bus zu reisen und den rür ihn reservierten Sitz abzugeben an einen, der überdies kränklich war und die Offerte zu schätzen wusste: Ritchie Valens. Die Maschine stürzte ab und riss neben Valens auch Buddy Holly und The Big Bopper in den Tod. Dion war untröstlich, als er im Bus-Depot von Fargo die schreckliche Nachricht erhielt, machte sich Vorwürfe und wurde fortan von Schuldgefühlen geplagt. Ein Trauma, so mutmaßt er, das nicht unwesentlich zu jenem Suchtverhalten beitrug, das seine Karriere zerstören sollte.

Das Ende für Dion & The Belmonts kam dann doch, nach gerade zwei J ahren. Die es freilich in sich hatten. Musikalisch, weil nach ein paar leidlich erfolgreichen Balladen der ganz große Durchbruch mit einem so universellen Bekenntnis aus romantischer Verwirrung und süßem Verlangen gelang, zu einer absolut unwiderstehlichen Melodie, dass daraus ein Tcen-Evergreen wurde. Ganze Generationen von Backfischen schmachteten zu ,A Teenager In Love“, was nicht nur dem Songwnter-Gespann Doc Pomus und Mort Shuman erkleckliche Einkünfte bescherte, sondern auch die Bankkonten von Dion und seinen Belmonts auf das Angenehmste polsterte.

Dem Aufstieg folgte der Fall. D’Aleo war inzwischen eingezogen worden, Dions immer heftiger werdende Flirts mit Drogen hatten ihn zu periodischen Pausen gezwungen, die er im Hospital verbrachte, und Laurie versuchte, das verbleibende Trio aut Schmalz einzuschwören. Mit zwei Argumenten, die Dion nicht zu entkräften vermochte. Erstens wurde „Where And When“, ein sanftes Ruhekissen von einer Single, noch erfolgreicher als „A Teenagcr In Love“. Und zweitens schien das Geschäft mit schmusigen Balladen krisensicherer als der naturgemäß volatile Tecn-Markt. „Die wollten, dass wir die Musik unserer Väter machen“, schimpft Dion, „aber ich war 19, verdammt.“ Gene Schwartz hatte kein Einsehen. Diese Rock’n’Roll-Mode, da war er sich sicher, hatte keine Zukunft. Seine Empfehlung, stattdessen auf“.seriöse“ und „dauerhafte“ Musik zu setsen, stieß bei Dion auf erbitterten Widerstand, fand indes Gehör bei Freddie und Carlo. Bronx-South-Rollies. Italian Rat-Pack-Crooning. Ein musikalischer Interessenkonflikt, der nicht zu lösen war. Die Emotionen kochten hoch, die Fetzen flogen, man trennte sich. Nicht eben in Freundschaft, aber ganz im Sinne

des Managements. Denn man hatte nun zwei heiße Eisen im Feuer, konnte den fotogenen Dion zum Teen-Idol schmieden und die klassische, inzwischen erwachsene Doo-Wop-Klientel mit den Belmonts bedienen.

Den längeren Strohhalm hatte Dion gezogen, die Strecke seiner Solo-Hits reichte bis ins Jahr 1963, virtuos alle denkbaren Molltöne auf der Boy-Girl-KJaviatur zum Klingen bringend. Einmal noch gab er überzeugend den „Loncly Teenager“, bevor er in Rollen schlüpfte, die ungleich dramatischer angelegt waren. „She took my love. then ran around/With every single guy in town“, beklagte Dion in „Runaround Sue“ die Treulosigkeit eines Flittchens, um dann den Spieß umzudrehen: „I’m the type of guy who’ll never settle down“, prahlt er in „The Wanderer“ als gewissenloser Herzensbrecher: „I love ‚em and I leave ‚em.“

Musikalisch waren diese Pop-Statements süperb inszeniert, Dions Stimme spielte ihre Wandlungsfähigkeit souverän aus. Es waren die Del-Satins, die seinerzeit anonym den Chorälen Rahmen lieferten für Dions lässig verschliffene Silben in „Sue“, es war nichts anderes als weißer Rhythm fe? Blues, wie er in „The Wanderer“ den Sexualprotz heraushängen ließ. Die folgenden Hits variierten das Thema nur, sorgten indes für Dauer-Präsenz in den Charts. Das Jahr 1963- Dion war inzwischen zu Columbia gewechselt – gewährte ihm noch sechs Hits, vom bluesigen Rocker „Ruby Baby“ bis zum pfiffigen Pop von „Drip Drop“. Dann kamen die Briten.f Dem ab Anfang ’64 epidemisch grassierenden Virus der Beatlemania gegenüber zeigte sich Dion immun. „Sie waren okay, aber ich hasste, wofür sie standen“, so seine Erklärung, „diese Niedlichkeiten über die Freuden des Händchenhaltens mochten pubertierende Mädchen in Verzückung versetzen, aber ich war Mitte 20. Ich wusste Bescheid. Meine Band waren die Stones, mit ihnen verband mich eine ganze Menge, nicht zuletzt die musikalische Herkunft, der Blues.“

Wohin Dion, ermutigt von John Hammond, zurückkehrte. Nicht aus Frustration, weil er der British Invasion ohnehin nichts kommerziell Konkurrenzfähiges entgegensetzen konnte. Das auch. Doch hatte Dions musikalische Rolle rückwärts existenzicllere Ursachen. Seelenpein und Sucht. Was unmittelbar zusammenhing. Dion hing an der Nadel, hatte Brücken zu alten Weggefährten abgebrochen, vernachlässigte Frau und Töchter, fühlte sich verloren. Seine Blues-Singles jener Jahre lassen das ahnen, Flipsides wie das selbstanklagendc „The Road I’m On“ lassen wenig Raum für Interpretation. Columbia verlor das Interesse am Künstler Dion, dessen Aufnahmen nun immer seltener veröffentlicht wurden und immer öfter im Archiv verschwanden. DiMucci verbrachte viel Zeit im Village, trug nun Bart, spielte mit Folkies wie Tim Hardin. Was auch musikalisch abfärbte. Auftritte zu akustischer Gitarre und Harmonica fanden freundlichen Widerhall, man begegnete ihm zunehmend wieder mit Respekt. „Es erforderte dennoch einen ungeheuren Energieaufwand von meiner Seite und die tätige Hilfe meiner Familie und der wenigen Freunde, die mir geblieben waren“, so Dion, „um mich aus diesem Sumpf zu befreien.“

Ende 1968 wurde für die Beharrlichkeit und Ernsthaftigkeit, mit der Dion dem Folk fernab des Showbiz frönte, endlich eine Dividende ausgeschüttet. In Form von vier Millionen verkaufter Singles der Pastorale ,Abraham, Martin fef’John“, fußend auf dem Vorbildcharakter der guten Amerikaner Lincoln, King und Kennedy, unterlegt mit Kirchenorgel und Klarinetten. Ein Song mit Moral mithin, in den dankbar einstimmte, wer in dieser Zeit bürgerrechtsbewegt unterwegs war. Es sollte Dions letzter Hit sein, doch er bescherte ihm ein neues Publikum und einen recht lukrativen Deal mit den Gebrüdern Warner, die ihn als Singer-Songwriter vermarkteten. Zwar erreichte keines seiner folgenden Alben die Umsätze eines James Taylor, doch wurden sie von der Kritik immerhin nebeneinander auf Augenhöhe verhandelt.

Was Dion damals bewog, sich von Phil Spector produzieren zu lassen, weiß er heute nicht mehr. Nur, dass er vor Angst kaum einen Ton herausbrachte. „There were guns all over the place“, erinnert er sich, „those sessions were insane.“ Dennoch sei es ihm eine Ehre gewesen, den Studio-Despoten 1989 in die Rock’n’Roll Hall Of Fame einzuführen. Im selben Jahr, als er selbst seinen Platz in besagter Walhalla einnehmen durfte. Im selben Jahr auch, als er sich mit der von Dave Edmunds beaufsichtigten LP „To Franke“ und insbesondere deren Standout-Track „King Of The New York Streets“ wieder im schnöden, Mammon-motivierten Musikbetrieb zurückmeldete. Wie so mancher berühmtere Kollege hatte sich DiMucci in den 80er Jahren dem Jesus-Kult ergeben und nur noch missionarisch musiziert. Fünf Alben legen christliches Zeugnis von dieser Bekehrung ab, fürwahr abschreckend.

Stockkatholisch ist der bald 69-Jährige freilich immer noch, doch hat er in den letzten Jahren wieder die Kurve zu weltlicher Musik gekriegt, genauer, zum Blues. So schließt sich ein Kreis, der vor einem Plattenspieler im Kellergeschoss eines Mietshauses in der Bronx begann, vor sechs Jahrzehnten. „Bronx In Blue“ und „So?i Of Sip James“ heißen programmatisch Dions letzte Platten, die von der Patina auf seiner noch immer ausdrucksstarken Stimme leben, ¿weniger von der allzu gepflegten Begleitung. „Ich mag Blues auf diese weiße Art“, sagt er defensiv, „ich käme nie auf die Idee, mit Howlin‘ Wolf in Konkurrenz zu treten. Mein Blues ist da bescheiden, aber das, ¿wovon er erzählt, hat immerhin mein Leben bestimmt und das Leben anderer wenigstens ein wenig berührt.“

Here’s my story, sad but true…

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