Der Sturkopf: Zum 90. Geburtstag von Dieter Hallervorden

Dieter Hallervorden wird 90 – vom DDR-Flüchtling zum BRD-Komiker, Theaterleiter und kontroversen Kommentator des Zeitgeschehens

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Man tut Dieter Hallervorden nicht unrecht, wenn man einige Einlassungen seiner späten Jahre als unnötige Provokationen, ja Altersstarrsinn bezeichnet. Das Wettern über das Gendern, einen Offenen Brief zu Gaza und der Satz „Ich bringe die ,Romy‘ heim ins Reich!“ beim Österreichischen Fimpreis, den er für „Honig im Kopf“ gewonnen hatte, waren sogar seinem langmütigen Sohn Johannes ein wenig peinlich. Aber Hallervorden, geprägt durch die frühen Jahre der DDR, lässt sich nichts verbieten – und im Alter schon gar nicht.

Am 5. September 1935 wurde er in Dessau als Sohn eines Ingenieurs, der nach einer Krankheit beinamputiert war, geboren. Sehr genau erinnert er sich an die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg. Er studierte Romanistik an der Humboldt-Universität in Berlin und arbeitete als Dolmetscher. Schon damals nahm er kein Blatt vor den Mund und beklagte sich bei ausländischen Staatsgästen über die DDR. Eines Abends in Ostberlin sprach er freimütig mit einem Diplomaten und übersah, dass in der Blumendekoration ein Mikrofon versteckt war. Er flüchtete sofort über die damals noch offene Grenze in den Westen. In seiner Wohnung war bereits die Stasi.

In Westberlin, mittel- und arbeitslos, meldete er sich bei der Schauspiellehrerin Marlise Ludwig an, die vorerst kein Geld für seine Ausbildung verlangte – er solle es später zurückzahlen. Sie glaubte an Hallervordens Talent. Dort lernte er seine Frau Rotraud Schindler kennen, mit der er viele Jahre zusammenspielte. Und in Berlin das Kabarett „Die Wühlmäuse“ gründete. Zunächst blieben die meisten Plätze leerer, doch die kleine Truppe etablierte sich.

Frühe Jahre und Flucht aus der DDR

Im Jahr 1966 wurde Hallervorden von der Bühne weg verhaftet: Eine Prostituierte hatte ihn des Mordes bezichtigt. Hallervorden saß zwei Wochen im Gefängnis, bevor die Frau der Falschaussage überführt wurde. Er zürnte den Boulevardmedien.

In dem spektakulären Fernsehfilm „Das Millionenspiel“ gab Hallervorden 1970 den gedungenen Schurken, der vor laufender Kamera den Kandidaten erschießen soll. Dieter Thomas Heck spielte den Showmaster der zynischen Hatz. Zu Popularität gekommen, gab man Hallervorden 1975 zur besten Sendezeit die Sketch-Reihe „Nonstop Nonsens“. Der gespielte Witz und seine Figur Didi wurden sprichwörtlich. Unvergesslich bleiben sein „Palim, palim!“, die „Flasche Pommes“ und der Sketch über einen Auflauf auf der Straße, als Didi einen Passanten nach dem Mittelteil der Melodie von „Dr. Schiwago“ gefragt hat und schließlich immer mehr Umstehende das Lied summen. Es gibt noch immer Menschen, die diese Nummern nachahmen – obwohl Otto Waalkes konzediert, dass man Hallervorden unmöglich imitieren könne.

Von 1981 an war Didi der tolpatschige Held in Genre-Film-Parodien wie „Alles im Eimer“, „Didi – Der Doppelgänger“ und „Didi und die Rache der Enterbten“. In den 90er-Jahren reüssierte er bei Sat.1 mit „Hallervordens Spott-Light“, war kurze Zeit Gastgeber von „Verstehen Sie Spaß?“ Und um die Jahrtausendwende nicht sehr erfolgreich mit der Satire „Zebralla“. Er kaufte zu einem, Achtung: Spottpreis eine Insel mit Schloss in der Bretagne.

Vom TV-Star zum Theaterschauspieler

Im Jahr 2008 erwarb er das marode Schlosspark-Theater in Berlin-Steglitz, in dem er immer mal wieder selbst auftritt, zuletzt in „Der Geizige“. Nach seinem fulminanten Spiel als betagter Marathonläufer in „Sein letztes Rennen“ (2013) engagierte ihn Til Schweiger für „Honig im Kopf“ (2014), in dem er einen Alzheimerkranken darstellt. Jetzt endlich wurde er als Schauspieler ernst genommen, und jetzt kamen die Preise. Dieter Hallervorden war stolz wie Bolle.

Im Jahr 2022 heiratete der kregle Komödiant in dritter Ehe Christiane Zander, eine Stuntfrau. Schon in den Didi-Filmen machte Hallervorden seine Stunts gern selbst (und verletzte sich bei einer Auto-Karambolage schwer). Er hat Pläne.

Am Freitag (5.9.) wird der Sprachliebhaber, der Komiker, der große Schauspieler Dieter Hallervorden 90 Jahre alt.

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