Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten

Bob Dylan, U2, The Cure, Smashing Pumpkins, U2, Beatles. Dies sind die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten

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Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten

The Who: „Quadrophenia“ (1973)

Eine Mod-Sinfonie, die nicht nach Mods klingt, aber den Geist der stilbewussten Jugendbewegung perfekt einfängt. Was auch am Booklet liegt, das Jimmy, Hauptfigur dieser Adoleszenz-Tragödie in depressiven Fotos inszeniert. Parka, Vespa, Brighton! Durchtanzte Nächte, Elternhaus-Enge, Wochenend-Randale! Vier Jahre nach „Tommy“ schrieb Pete Townshend ein vergleichbar ambitioniertes Opus: Die widerstreitenden Persönlichkeiten seiner verkrachten Band sollten in der Figur Jimmy zusammenfinden. Das Doppelalbum übertrifft die Idee, vom stürmenden „The Real Me“ bis zum Überwältigungs-Finale „Love, Reign O’er Me“, der definitiven, regenumtosten Larger-than-life-Rockballade. SZ

Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten

Genesis: „The Lamb Lies Down On Broadway“ (1974)

Die Abenteuer eines puerto-ricanischen Jungen, der sich durch New York City schlägt, wurde Peter Gabriels surreales Vermächtnis, von dem Genesis eher widerwillig zehrten. Man muss die Alben unter der Ägide von Phil Collins nicht verachten, um den Stellenwert des Konzeptwerks zu ermessen. Dem Zauber dieser Prog-Rock-Oper, die sich in hochmelodiösen Miniaturen tarnt, erliegen auch Menschen, die sonst bei der bloßen Erwähnung des Genres Anzeichen von Schüttelfrost zeigen. In Stücken wie „Carpet Crawl“ und „Lilywhite Lilith“ fällt das Versponnene, das der britischen Folkmusik eingeschrieben ist, in eins mit Glam-Rock-Theatralik und hymnischer Pop-Kunst. 

Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten

Electric Light Orchestra: „Out Of The Blue“ (1977)

Im Jahr des ersten „Star Wars“-Films erschien aus heiterem Himmel ein zweites Raumschiff: Jeff Lynne hatte in München ein sozusagen galaktisches Doppelalbum aufgenommen. „Out Of The Blue“ ist keine Rock-Oper – Lynne hatte die kreativste Zeit seines Lebens und einfach sehr viele Lieder. Mit seinem Meisterstück treibt er den ELO-Sound – Beatles-Harmonieverliebtheit, überbordende Streicher, Kopfstimmen, Grandezza, Grandezza, Grandezza – auf die Spitze. Nicht alles ist unsterblich, aber vieles: das wundervolle „Sweet Talkin’ Woman“, das naiv marschierende „Mr. Blue Sky“, das cineastische „Standin’ In The Rain“ und natürlich der Synthie-getriebene Disco’n’Roll „Turn To Stone“.

Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten

Marvin Gaye: „Here, My Dear“ (1978)

„Somebody tell me, please/ Why do I have to pay attorney fees?“ In dieser hochmodernen Blueszeile aus „Is That Enough“ steckt die Seele dieses Break-up-Albums. Marvin Gaye war einen weiten Weg gegangen, vom besten Sixties-Startplatz als Motowns Sam Cooke über den Inner-City-Hippie zum Sexgroover und hier nun Scheidungsgrübler, der die Alimente an seine Frau Anna Gordy mit dem vorletzten Album für die Plattenfirma seines Schwagers Berry zahlt. Ein guter Grund, es gleich doppelt anzulegen. Damals ein Flop, hebt es der Beziehungskisten-Realismus aus der Zeit heraus. Und musikalisch wächst aus dem zärtlich frustrierten bis bitteren Wäschewaschen ein sehr tiefgehender Soul.

Die 50 besten Doppel-Alben aller Zeiten

Stevie Wonder: „Songs In The Key Of Life“ (1976)

Verworfene Auswanderungspläne (Ghana), ein neuer 37-Millionen-Dollar-Deal, eine Plattenfirma (Motown), die „We’re Almost Finished“-T-Shirts unters Volk wirft, als Stevie Wonder doch noch mal länger im Studio verschwindet: So war das, als „Songs In The Key Of Life“ Ende September 1976 endlich veröffentlicht wurde. Selten, vielleicht nie, wurde jegliche Erwartung weniger enttäuscht.

Denn Wonder lieferte nicht nur einen Bestseller (14 Wochen US-Nummer 1, dritter „Album of the Year“-Grammy in Folge), sondern auch gut 104 Minuten Musik, die genau den Albumtitel treffen. 21 Songs durchdringen Schlüsselmomente menschlicher Existenz: Freude und Schmerz, Liebe und Hass, Geburt und Tod, Sehnsucht nach Transzendenz, Erkenntnis, Gerechtigkeit. Manches hat auch Komik, aus Verzweiflung geboren: wenn er Reißaus Richtung „Saturn“ nehmen will, wo der Schnee orange ist, die Menschen 205 Jahre alt werden und Autos überflüssig sind, „’cause we’ve learned to fly“. Oder wenn ein klassisches Synthesizermotiv den Streifzug durchs „Village Ghetto Land“ satirisch grundiert.

Musikalisch ist „Songs In The Key Of Life“ ein Füllhorn, das afro-amerikanische Musik auf den Punkt bringt: mit der Kindheitsode „I Wish“, dem Ellington-Tribute „Sir Duke“, der brodelnden Geschichtslektion „Black Man“, mit „As“, das Song und Funk-Jam ausbalanciert. Zugleich weist Wonder darüber hinaus. Wie unerhört etwa Harp und Harfe in „It’s Magic“ zusammenfinden!

Beschwört Wonder die Liebe hier eher abstrakt, durchdringen andere Songs alles Zwischenmenschliche

Viele Tracks hat Wonder (fast) im Alleingang eingespielt, unterstützt von Nathan Watts (Bass), Greg Phillinganes (Keys), Mike Sembello (Gitarre). Dazu Gäste wie Herbie Hancock („As“) und George Benson („Another Star“). Retrospektiv erstaunt, dass Wonder in diesem kreativen Wirbelsturm nicht selbst fortgefegt wurde. Doch er konnte sich auf seine Gabe verlassen, Text und Musik so ineinanderzufügen, dass sich das Schwere oft leichter anfühlt, als es ist, und das Leichte nie banal. Wie peinlich kann es werden, die Überwältigung angesichts der Geburt des eigenen Kindes zu vertonen! „Isn’t She Lovely“ aber bringt die schiere Freude des Moments einfach zum Klingen, unverfälscht und ansteckend, statt sie mit Botschaft zu behelligen.

Botschaft kann Wonder natürlich auch. „Love’s In Need Of Love Today“ klingt heute noch bitter aktueller als damals und ist auch deshalb so gut, weil es nach gut sieben Minuten dann doch noch richtig endet, nach ewig langer Ad-lib-Strecke, von der man aber keine Sekunde missen möchte. Beschwört Wonder die Liebe hier eher abstrakt, durchdringen andere Songs alles Zwischenmenschliche: „Joy Inside My Tears“, „Ordinary Pain“ oder das bittere „All Day Sucker“. Letzteres, ein herrlich verzinktes Funk-Stück, war wie das eingangs erwähnte „Saturn“ in der Original-Vinylversion des Albums noch auf einer Bonus-7inch-Single mit vier Tracks untergebracht. Es gibt ja gute bis sehr gute Doppelalben, die noch besser wären, hätte man ihre Essenz auf ein einfaches Werk herunterkonzentriert. „Songs In The Key Of Life“ gehört gewiss nicht dazu.