TV-Fußnoten

Die besten neuen Netz-Serien, Teil 2: „Sense8″ und Transparent“

Seit dem spektakulären Auftritt von Laverne Cox in "Orange Is The New Black" sind Transsexuelle die neuen Heldinnen im Fernsehen. Jetzt gibt es gleich zwei großartige Serien, die mit alten Konventionen brechen.

Was kann man von einer Serie der Wachowskis erwarten? Die Geschwister wurden berühmt mit der futuristischen „Matrix“-Trilogie, drehten mit dem bildgewaltigen „Cloud Atlas“ weiter ab und setzten mit der Sci-Fi-Spinnerei „Jupiter Ascending“ noch einen drauf. Umso überraschender ist erst mal der heimelige Vorspann von „Sense8“ (Netflix) – er sieht aus wie Werbung für eine wunderbare Welt. Lichter, Farben, Wolkenkratzer, Naturwunder: In all ihrer bunten Schönheit wird die Erde gezeigt – und dann zerlegt sie sich in acht Einzelschicksale, die nicht ganz so herrlich sind.

„Sense8“ ist dann doch ein typisches Wachowskis-Werk: Daryl Hannah läuft als erleuchtete „Angel“ somnambul durch irreal wirkende Ruinen und erschießt sich schließlich, Jonas (Naveen Andrews, einst Said in „Lost“) kann sie nicht retten. Er besucht dann andere Leute, die er „Erwachte“ nennt (im Original „sensates“) und die offensichtlich etwas verbindet – globale Empathie, neurologische Schwingungen, irgendein Spinnkram halt. Über Weltmeere hinweg können diese Acht spüren und schließlich auch erleben, was die sieben anderen jeweils empfinden und tun. Es wurde kaum etwas ausgelassen bei der Suche nach möglichst unterschiedlichen Orten, die alle genau so aussehen, wie sich Lieschen Müller die große Welt vorstellt: In Seoul kämpft sich die verzweifelte Kickboxerin Sun Bak (Doona Bae) durch, in Nairobi das busfahrende Muttersöhnchen Capheus (Aml Ameen) – Korea wirkt anstrengend, Kenia schmuddelig. In Mumbai wartet Kala Dandekar (Tina Desai) auf ihre Hochzeit – reinstes Bollywood, nur ohne Liebe. Davon gibt es dafür in Mexiko Stadt mit dem schwulen Schauspieler Lito Rodriguez (Miguel Angel Silvestre) mehr als genug. In London nimmt die DJane Riley Blue (Tuppence Middleton) viele Drogen, in Chicago läuft der Polizist Will Gorski (Brian J. Smith) Bösewichten hinterher. In Berlin ist Wolfgang Bogdanow (Max Riemelt) in krumme Geschäfte verwickelt, während in San Francisco die interessanteste Geschichte spielt – dort fürchtet die transsexuelle Bloggerin Nomi Marks (Jamie Clayton) um ihr Leben oder zumindest ihren Verstand.

ACHT SCHICKSALE, EINIGE KLISCHEES, VIEL SPANNUNG

Bedrohlich wirkt diese unbegreifliche Verbindung zwischen all den unterschiedlichen Leuten vor allem, weil – zumindest anfangs – keiner das Leben der anderen versteht. Wie auch? Wie soll ein amerikanischer Cop wissen, was in den Büros von Korea so los ist? Wie soll ein liederlicher Deutscher verstehen, was eine traditionsbewusste Inderin fühlt? Am Ende geht das natürlich doch, weil – und das ist die zutiefst humanistische Botschaft der Wachowskis – wir alle Menschen sind, und alle wollen sich irgendwie durchwursteln durch dieses Chaos, das sich Leben nennt. Bei aller Klischeehaftigkeit kann man sich der Dynamik von „Sense8“ kaum entziehen. Am schönsten blitzen die kleinen Hoffnungsschimmer in  der vierten Folge auf, bei der Tom Tykwer Regie führte. Da gibt es einige Szenen, in der alle den alten 4-Non-Blondes-Kracher „What’s Up?“ hören und für kurze Momente glücklich sind: „I  realized quickly when I knew I should/  That the world was made of this brotherhood of man/ For whatever that means.“ Was es bedeutet? Das ist – wie immer bei den Wachowskis – nicht ganz klar. Aber solange Unsinn so spannend erzählt wird, soll uns das recht sein. (War bei einer der besten Serien aller Zeiten, „Lost“, ja auch nicht anders.)

EIN FAMILIENSCHICKSAL, KAUM KLISCHEES

Näher an der Realität und doch (oder gerade deshalb) noch beeindruckender ist Jill Soloways „Transparent“ (Amazon Prime Instant Video). Professor Mort Pfefferman (Jeffrey Tambor) hat das Schlimmste überstanden – er ist in Rente, seine drei Kinder sind erwachsen, er könnte in Ruhe alt werden. Aber Mort will endlich so leben, wie er es sich immer gewünscht hat – als Frau. Also wird aus Mort Maura, und natürlich sorgt das in seiner Umgebung für Aufregung. Es ist Soloways Verdienst, dass sie nie auf billige Effekte setzt, ihre Figuren nicht bloßstellt und auf eher leise Art versucht, Verständnis zu erzeugen – mit viel Witz und guten Dialogen obendrein.

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In Rückblenden erfährt man, dass Mort schon seit den 90er-Jahren als Teilzeit-Maura unterwegs ist, seine Ex-Frau Shelly (Judith Light) hat sich inzwischen damit abgefunden. Schlimm sind die egoistischen Kinder, die sich nur um sich selbst drehen und die Toleranz, die sie selbst einfordern, Maura gegenüber nicht aufbringen können. Die Älteste, Sarah (Amy Landecker), ist mit ihrer eigenen Ehe überfordert, der oberflächliche Josh (Jay Duplass) kriegt gleich gar keine Beziehung hin – und welche Defizite Nesthäkchen Ali (Gaby Hoffmann) hat, ist kaum aufzählbar. Freilich gelingt es auch Maura oft nicht, wirklich ehrlich und offen zu sein, alle lavieren zwischen kleineren und größeren Geheimnissen hin zu her. Eine typische Familie also – nur hier mit einem Vater, der Fummel trägt und bei einer Show namens „Trans Got Talent“ sehr anrührend „Somebody I Used To Know“ singt.

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