TV-Fußnoten

Die besten neuen Serien 2015 – Kategorie: Thriller

In den vergangenen fünf Jahren ist die Serienproduktion explodiert, auch dank der neuen Streamingdienste. Längst sind die größten Regisseure und Schauspieler im TV zu sehen, und die Zuschauer haben die Qual der Wahl. ROLLING STONE hilft – und stellt die besten aktuellen Serien vor.

HAND OF GOD

Die spannendste neue Serie in diesem Jahr dreht sich um Wahn und Wahrheit, Religion und Korruption – und läuft im Netz. Der ROLLING STONE traf ihre Schauspieler und Macher.

Wo ist die Grenze? Das ist die größte von vielen Fragen, die „Hand Of God“ stellt. Leidenschaftlich oder schon besessen? Glaube oder Irrsinn? In der ersten Szene sieht man Pernell Harris (Ron Perlman) nackt in einem Springbrunnen, er spricht in Zungen. Nur ein Nervenzusammenbruch? Oder doch eine Erleuchtung? Fortan folgt der korrupte Richter seinen Visionen – er will Gerechtigkeit für seinen Sohn, der im Koma liegt. Für seine Schwiegertochter, die vergewaltigt wurde. Selbstjustiz oder Rache? Und welche Rolle spielt dabei die Kirchengemeinschaft namens Hand of God, was für krumme Geschäfte hat Harris mit dem Bürgermeister am Laufen? Warum ist die Edelprostituierte eigentlich die Einzige hier, die nicht egoistisch ist, und wie passt Harris’ knallharte Ehefrau, Crystal (Dana Delany), in dieses Spiel um Macht, Gewalt und Wiedergutmachung? Sie sehen schon: „Hand Of God“ ist keine gemütliche Serie, hier geht es in jeder Folge ums Ganze. Und sie stellt viele Fragen, gibt aber niemals einfache Antworten.

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Autor Ben Watkins hat mit Harris eine zwiespältige Figur erschaffen, einen faszinierenden Eiferer, dessen Kraft und Charisma man bewundern kann, aber auch fürchten muss. Genau das interessierte Ron Perlman sofort, als er das Drehbuch in die Hände bekam. „Ich konnte das Script gar nicht einordnen, es passt in keine Kategorie. Es zeigte eine Welt von Menschen, die in so vieler Hinsicht kämpfen.“ Regisseur Marc Forster ging es ähnlich: „Die Grundidee war einfach spannend. Jeder Künstler kennt das: Man glaubt so sehr an etwas, und alle anderen denken, man spinnt. Es ist eine Gratwanderung; hier wird sie offensichtlich auf die Spitze getrieben, aber wie weit kann man gehen? Das wollten wir herausfinden.“

Und so fand sich das Trio, das „Hand Of God“ schließlich umsetzte. Watkins rechnete damit, dass er Forster würde anbetteln müssen, weil der bisher ja eher Blockbuster gedreht hatte: „World War Z“, „Monster’s Ball“, den James-Bond-Film „Ein Quantum Trost“. Ihr erstes Treffen beschreibt Watkins so: „Wir sind in der Lobby zusammen in den Aufzug gestiegen, und als wir im fünften Stock ankamen, waren wir uns praktisch schon einig.“ Forster hatte schon länger Fernsehen machen wollen, fand aber alle Piloten, die ihm vorher angeboten worden waren, langweilig. Er sagte zu, und dann hatten sie auch noch Glück: Die beiden hörten, dass Ron Perlman bald wieder zur Verfügung stehen würde, nachdem er mit dem finsteren Motorradgangdrama „Sons Of Anarchy“ abgeschlossen hatte. Der Schauspieler erlebt gerade seinen zweiten Frühling – oder ist es schon der dritte? In den Achtzigern wurde er mit der Serie „Die Schöne und das Biest“ berühmt, es folgten viele weitere Rollen in Verkleidungen, darunter „Hellboy“. Aber erst durch „Sons Of Anarchy“ fiel Hollywood auf, dass der Mann gar keine Masken braucht – seine schiere Präsenz kann einem genug Angst einjagen. Perlman beschloss, auch als Produzent einzusteigen. Das Trio bot die Serie diversen Sendern an und entschied sich dann für Amazon – auch weil die ihre Piloten dem Publikum vorstellen, nicht nur einem Studioboss. Und weil sie keine faulen Kompromisse forderten, so Watkins: „Einige Sender wollten keine Serie, in der das Wort ,Gott‘ vorkommt. Einige wollten es weniger exzentrisch. Ich musste mich entscheiden, also habe ich mich für das entschieden, was mir Angst macht – das ist meistens das Richtige.“

Die großen Dramen spielen im Fernsehen: „Wenn ,Der Pate‘ heute gedreht würde, wäre er eine Serie.“

Die kreative Freiheit, die Streamingdienste und Pay-TV sich leisten können, weil sie nicht so quotenabhängig sind und weniger mainstream-orientiert denken können, zog auch Julian Morris an, der in „Hand Of God“ einen herrlich schmierig-schönen Pater spielt. „Die großen Serien, die heute entstehen, erinnern mich an das New Hollywood der 70er-Jahre. Wenn ,Der Pate‘
heute gedreht würde, wäre er eine Serie. Im Fernsehen gibt es die Dramen mit den großen Figuren, die besten Regisseure, die interessantesten Geschichten.“

Dass Perlman die Hauptrolle übernehmen würde, war klar. Die perfekte Besetzung für seine energische Ehefrau fand sich mit Dana Delany, die schon als Irre von nebenan bei den „Des-perate Housewives“ überzeugte und als patente Pathologin in „Body Of Proof“. Delany ist bekannt dafür, auch vielversprechende Angebote abzulehnen, wenn sie ihr gerade nicht passen – sie hätte einst Carrie Bradshaw in „Sex And The City“ werden können. „Ich erwarte viel: dreidimensionale Rollen, gute Drehbücher, ein spannendes Thema. Das lief nicht immer so, aber hin und wieder hatte ich Glück. Im Fernsehen war es für Frauen schon immer leichter, gute Rollen zu finden, als im Film. Und heute hat man noch viel mehr Wahlmöglichkeiten – und es gibt auch Platz für ältere Schauspieler.“

„Hand Of God“ ist ein gutes Beispiel dafür: Delany ist 59, Perlman 65. Die Frage, ob es ihm nicht manchmal zu viel wurde, Produzent und Schauspieler zu sein, beantwortet er mit einem vergnügten Schnauben. „Es war großartig, so viel Kontrolle zu haben! Das Team zusammenstellen zu können und die Bedingungen festzulegen, Kameraleute, Musik, Besetzung und so weiter. Das Schönste an der Serie war für mich, wie gut diese Teamarbeit funktioniert hat. Für uns waren die eineinhalb Jahre wie Flitterwochen. Jede Entscheidung wurde gemeinsam getroffen, jeder hörte dem anderen zu. Alle hatten Respekt voreinander, ein gemeinsames Ziel. Ganz anders als bei ,Sons Of Anarchy‘, wo es einen Boss gab und keiner ermutigt wurde, seine Meinung zu sagen.“ Er meint Kurt Sutter, den Erfinder und Produzenten der Serie, der sich im Laufe der Staffeln immer brutalere Szenen einfallen ließ, aber die Handlung und Charakterstudien leider aus den Augen verlor. Offensichtlich kein Mann, der für Kritik zugänglich ist. Perlman sagt es so: „Ich will ja nur, dass man gefragt und angehört wird, mehr nicht. Das Spannende am Schauspielern ist ja der Austausch, der meistens allerdings gar nicht stattfindet, weil der Regisseur in 90 Prozent der Fälle sagt: Prima, passt so! Manchmal trifft man einen, der gute Ideen hat und sie einem so vermittelt, dass alles viel besser wird. Und manchmal gibt dir einer so Anweisungen, dass du ihm das verdammte Gesicht einschlagen willst. Ich nenne jetzt keine Namen, Mr. Sutter!“

Mit Marc Forster waren die Dreharbeiten anscheinend entspannter. Alle sind sich einig, dass es am schönsten wäre, wenn Watkins alle Folgen schreiben und Forster alles drehen könnte. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Forster lieferte mit den ersten beiden Folgen die Blaupause und übergab dann an verschiedene Regisseure. Bei nur acht, neun Tagen für eine Folge traut sich kaum einer zu, das allein zu übernehmen. Forster behielt allerdings alles im Blick, die Serie trägt seine Handschrift genauso wie die von Watkins – auch wenn Delany ihm hin und wieder dazwischenpfuschte: „Ich habe einige Schimpfwörter rausgestrichen. Ich finde es ja gut, dass man heutzutage fluchen kann und nackt sein und all das, aber es muss auch einen Sinn haben. Manchmal musste ich nach dem Drehen richtig aufpassen, dass ich nicht weiter Leute anherrschte. Man gewöhnt sich an den harten Ton.“

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