Die Lust am Lärm

Rock gegen den neuen Turbokapitalismus: Der Dokumentarfilm "Beijing Bubbles" beleuchtet die chinesische Gegenkultur

China ist nicht so recht zu fassen. 1,3 Milliarden Einwohner, fünf Mal so viele wie in den flächenmäßig vergleichbaren USA. Erst 3500 Jahre Hochkultur, dann Mao Tse-tungs Kulturrevolution, jetzt Exportmaschine, Königreich der Grauexporte und Schattenindustrien. Bilder und Fakten kennt man. Der Text dazu, zum einstimmigen Mitsingen: Würden alle Chinesen gleichzeitig von einem ein Meter hohen Tisch springen, so würde das in Amerika Erdbeben verursachen, bei denen ganze Städte in Schutt und Asche versinken. Das Remake davon (ohne Copyright, auch made in the west), auch zum Mitsingen, liest sich im Karaoke-Kanon westlicher Wahrnehmung so: Der Globalisierungs-Player China könnte Wall Street und andere Börsen und Märkte versenken… Abseits von düsteren Vorhersagen in Massenmedien, plus in der „Süddeutschen Zeitung“ gelegentlich ein Kniefall vor der Megalopolis Shanghai, bleibt festzuhalten, dass viele Chinesen gar keinen einen Meter hohen Tisch besitzen.

Einen vollkommen anderen Blick auf Teilaspekte im Reich der Mitte gibt nun „Beijing Bubbles“: Zwei Filmemacher nahmen eine Kamera, trafen eine Band, sprachen und lauschten, trafen deren Fans – und entdeckten so eine Szene, die in ihrer wilden und naiven und epigonenhaften und originellen Vielfalt ein ganz anderes China offenbart. „Der Anstoß“, so Susanne Messmer, „kam bei uns von so einem Medieninteresse: Ich bin ja Journalistin, war Redakteurin bei der ,taz‘, und ich las immer diese ‚Spiegel‘-Aufmacher über ‚Die gelbe Gefahr‘, der Kommunismus wird uns überrollen und so weiter. Immer mit Fotos von diesen Büroleuten in ihren Büros, und alles immer gleichförmig. Statt blauen Mao-Uniformen jetzt graue Büro-Uniformen. Kein Individualismus und so weiter. Ich hatte mich viel mit chinesischem Film befasst und dachte, das kann doch nicht alles sein. Deswegen China. Ich hatte das Gefühl, was hier vorherrscht, ist ein Klischee. Ein sehr exotisches Klischee. So was kommt ja auch gut an, einfach seiner Fremdheit wegen: ein Land, in dem es keinen Individualismus gibt: Hu, wie gruselig! Medial läuft so was wunderbar.“

Messmer und der als Filmer bereits erfahrenere George Lindt nahmen sich also eine Kamera und drehten nach dem Dominoprinzip: folgten dem einen in die Wohnung, anderen zum Konzert, zur Mutter, Meditation usw. Statt offizieller Filmförderung also Dispo-Filmkredit. Statt Drehgenehmigung: mit versteckter Kamera oder getarnt als Tourist. „Mit unserem Equipment waren wir auf dem Platz des Himmlischen Friedens echt total die Modernisierungsverlierer: Die chinesischen Touristen hatten alle die neuesten High-Density-Kameras.“

Durch diese Herangehensweise, den Zoom auf subkulturelle Nischen gerichtet, haben sie eine Kultur weitab jeder Mitte eingefangen. Sie zeigen Musiker, die teilweise mit Eltern in hinterste Provinzen verbannt worden waren – und die sich nun, zurück in Peking, weigern, am Turbokapitalismus teilzunehmen. Außenseiter, die von ihrem Leben mehr wollen als Karriere und Geld; die sich entschieden haben gegen Aufstieg, für Ausstieg. „Aus der offiziellen Perspektive sind die nicht gefährlich“, beurteilen die Filmemacher Statements über Inneres Exil, Lust am Lärm, Suche nach Stille, Vorlieben für Culture Club und The Smiths. „Doch wenn jemand sagt, Arbeiten ist scheiße, Bildung ist blöd, ich hab keine Lust zu studieren, auch nicht die Chance dazu, dann ist das für in der Kulturrevolution aufgewachsene Leute der absolute Wahnsinn. Dass jemand freiwillig sagt, er will nicht studieren, ich will für meine Miete schnorren gehen, ich will nur singen und trinken und ficken: Das ist aus dortiger Sicht unfassbar.“

So gelingt es dem Film, aus zwei Paradoxien – das Unfassbare aus unserer und aus deren Sicht – zu einem aufregenden Gesamtbild zu verschmelzen. Die Nähte, wo das zusammengeführt wird, bleiben grob und rauh. Punk sei Dank. Doch so griffig „Punk in Peking“ klingen würde, so schrill das Plakat mit Joyside-Sänger und Freundin auch ist: Der Film „Beijing Bubbles“ (Untertitel: „Punk und Rock in Chinas Hauptstadt“) hat zwar Look und Feel des DIY-Verfahrens, Filmer und Bands eint das Feeling von Aufbruch und No Budget, doch musikalisch sind die fünf porträtierten Bands nicht unter einen Hut zu bringen. Optisch machen Joyside am meisten her, ein Transen-Bastard, Zwitter aus New York Dolls-Garderobe, Iggy Pop und Dee Dee Ramones Jeans, verquirlt mit Jim Morrison und Bukowskis Nihilismus (erstes Album: „Drunk Is Beautiful“); eigener die Girl-Band Hang On The Box, deren Schicksal so sehr an ihrer starken Frontfrau hängt („Auf die Bühne pinkeln: mache ich nicht mehr… Was Peaches macht, finde ich echt cool“), dass das Line-up seit Dreh-Ende einige Mutationen durchlaufen hat; New Pants so eine Art New Kids On A Green Day; Sha Zi in ihrem Crossover vergleichbar mit den besten Acts in Fatih Akins „Crossing The Bridge“; und, heimliches Highlight, T9: eine mit Grunge und RATM gestartete Band, deren Leader sich seiner mongolischen Wurzeln besinnt und nun statt auf Englisch mit Obertongesang auch mehrstimmig und mit geschlossenem Mund singt! „Beijing Bubbles“ ist ein schräger Film über eine vor Leben pochende und blubbernde Szene. Reaktionen darauf waren auf Film-Festivals unterschiedlich: „In New York wurde unheimlich viel gelacht. Am Spektakulärsten waren neben der Vorführung im MoMA die in Thessaloniki: Zwei Shows mit 350 Besuchern, viele Punks, von denen wir danach in Beschlag genommen, fast gekidnappt wurden… Damit wir mal was über sie machen! Das war wild. Da haben die Leute also auch noch mitten im Kino Plakate geklaut… Ganz anders Israel, wo wir lange Gespräche bis in die Morgenstunden führten, und Hamburg: Da war das Publikum so ernst wie nirgendwo sonst.“ Vielleicht hätte man denen das am Ende des Films zu erkennende Konzertplakat Joysides präsentieren sollen: „We don’t have the fashion you are hunting for. We only want your cash.“

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