Elon Musks Grokipedia ist Faktenverzerrung mit System
Warum der Tech-Milliardär die freie Enzyklopädie angreift und durch seine eigene, politisch gefärbte Alternative ersetzt.
„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Wikipedia! Ich bin so froh, dass es dich gibt“, schrieb Elon Musk noch im Januar 2021 zum 20-jährigen Jubiläum der Online-Enzyklopädie auf Twitter (inzwischen X). Damals klang er wie ein überzeugter Unterstützer eines der größten freien Wissensprojekte der Welt.
Doch nur wenige Jahre später präsentiert derselbe Mann eine eigene Version: Grokipedia – ein von Musks Firma xAI entwickeltes KI-Projekt, das etwa 900.000 Artikel umfasst. Es basiert auf Musks großem Sprachmodell Grok, das in seine Plattform X integriert ist.
Ein Angriff auf das Prinzip des freien Wissens
Grokipedia soll laut Musk eine „bessere, unvoreingenommene“ Alternative zu Wikipedia sein – eine, die von „Propaganda befreit“ sei. Doch schon ein kurzer Blick auf die Inhalte zeigt, dass viele Seiten wörtlich von Wikipedia kopiert wurden, während zentrale Themen, die Musk selbst betreffen, verändert oder verzerrt erscheinen.
So wird etwa seine eigene Biografie zu einem glanzvollen Selbstporträt umgeschrieben. Kritische Aspekte – etwa die Kontroverse um einen als Nazi-Gruß interpretierten Gestus – fehlen vollständig. Stattdessen finden sich zweifelhafte Eigenmythen über seine Arbeitsdisziplin („80 bis 100 Stunden pro Woche“) und Ernährungsgewohnheiten.
Vom Befürworter zum Feind Wikipedias
Musk hatte Wikipedia zunächst als „unersetzliches Werkzeug“ gelobt. Doch Ende 2021 begannen seine Beschwerden: Der Artikel über ihn sei ein „Müllcontainerbrand“, verfasst von Feinden. 2022 warf er der Plattform „linke Voreingenommenheit“ und zu große Nähe zu den Mainstream-Medien vor.
Mit der Übernahme von Twitter im Jahr 2023 und der Einführung der Community Notes stilisierte er sein eigenes Netzwerk schließlich als „zuverlässiger als Wikipedia“. Gleichzeitig verbreitete er Falschbehauptungen über die Wikimedia Foundation – etwa, sie hätte „kaum Betriebskosten“ und würde Spendengelder zweckentfremden.
Musk trieb seine Feindseligkeit in groteske Höhen, als er Wikipedia öffentlich eine Milliarde Dollar bot – unter der Bedingung, dass sie ihren Namen in „Dickipedia“ ändere. Zugleich diffamierte er die Plattform spöttisch als „Wokipedia“ – in Anlehnung an sein ideologisches Feindbild des „woke mind virus“.
Spätestens als Musk 2024 Donald Trump offen unterstützte, eskalierte die Situation. Er warf Wikipedia vor, „linke Aktivisten“ zu fördern und sich gegen rechte Desinformation zu stellen. Besonders erzürnte ihn eine Seite, die sich mit der Frage beschäftigte, ob Trump als Faschist bezeichnet werden könne.
Grokipedia: KI mit rechter Schlagseite
Grokipedia steht nun als technisches Produkt dieser Fehde – ein digitales Monument seines Egos. Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass Themen, die Musk ideologisch triggern, systematisch umgeschrieben wurden.
Beispiele:
- Pizzagate wird nicht mehr als Falschmeldung, sondern als „Hypothese“ dargestellt.
- Impfgegner-Aktivismus erscheint nicht als Desinformationsbewegung, sondern als legitime Kontroverse.
- Rechtsextreme Influencer wie Jack Posobiec oder Mike Cernovich werden nicht mehr als Verschwörungstheoretiker bezeichnet, sondern lediglich als Personen, die „von den Mainstream-Medien so genannt werden“.
Musk greift in Grokipedia auf altbekannte Verschwörungsnarrative zurück:
- Der Einfluss des jüdischen Investors George Soros wird als „Theorie“ behandelt, nicht als antisemitisches Konstrukt.
- Die rassistische „Great Replacement“-Verschwörung erscheint als angeblich „empirisch belegte Idee“.
- Das Wort „cisgender“ wird als „pathologisierende Sprache“ bezeichnet, mit Quellen aus rechtsextremen Foren.
- Die Seite über „Transgender“ spekuliert zudem, dass Geschlechtsidentitäten durch „soziale Ansteckung“ entstehen – eine These, die wissenschaftlich längst widerlegt ist.
Grokipedia ist weniger ein Wissensprojekt als ein Instrument politischer Manipulation. Es soll den Anschein objektiver Information erzeugen, während es systematisch eine autoritäre Weltsicht stärkt.
Im Gegensatz zu Wikipedia, das durch Konsens, Quellenprüfung und menschliche Moderation funktioniert, basiert Grokipedia auf einem automatisierten Nachbau der Realität, gefiltert durch Musks persönliche Feindbilder.
Was als „Revolution der Wahrheit“ verkauft wird, ist letztlich die algorithmische Verzerrung der Wirklichkeit.
Ein gefährlicher Präzedenzfall
Grokipedia steht exemplarisch für ein neues Kapitel im digitalen Zeitalter: die ideologische Kolonisierung von Wissen durch KI. Wenn mächtige Akteure beginnen, Informationssysteme nach Belieben umzuschreiben, verschwimmt die Grenze zwischen Realität, Meinung und Macht.
Elon Musk hat sich damit von einem Unterstützer freier Information zu einem Architekten digitaler Manipulation gewandelt – mit einem Projekt, das weniger Aufklärung als Kontrolle verspricht.