Eric Pfeils Pop-Tagebuch: Bomben und Schwertfische

Lassen Sie uns mal positiv über Italien sprechen. Gerade jetzt. Dieses für Instabilitäten und Mumpitz so anfällige, gleichwohl bestrickend schöne Land voll wunderbarer Menschen hat es verdient.

Anfang August wurde für Ihren ergebenen Autor ein langgehegter Traum war: Ich besuchte ein Konzert des großen Antonello Venditti im toskanischen Küstenort Follonica. Venditti, ausgebildeter Anwalt und wichtigster Vertreter der Römischen Schule, zählt zu den großen Cantautori der Siebziger und Achtziger Jahre. Nach dem Tod seiner Weggefährten Pino Daniele aus Neapel und Lucio Dalla aus Bologna ist er neben Francesco de Gregori der letzte große Überlebende jener Ära.

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Und eine ziemliche Erscheinung: Während Venditti in den Siebzigern wie ein Hippie-Loddel ausschaute, erinnert sein heutiger Look – schwarzgefärbtes dünnes Haar, blaugetönte Verlaufsbrille – an einen kalabresischen Nachtclubbesitzer. Seine Stimme ist damals wie heute unfassbar, allerdings eine klare Geschmackssache: Venditti klingt wie ein extrem viriler Cat Stevens nach vier Litern Chianti.

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Vendittis Follonica-Konzert ist dann tatsächlich die erwartete Riesen-Show: Drei Stunden lang spielt sich der 70Jährige durch seine zahllosen Hits. Als zu Beginn Bilder römischer Studentenproteste über den Backdrop flimmern, beugt sich meine mir unbekannte italienische Sitznachbarin zu mir herüber: „Siamo noi“ („Das sind wir“), wispert sie. Den Versuch, ihr zu erklären, dass ich leider keine Vergangenheit als römischer Studentenprotestler der 70er vorzuweisen habe, verwerfe ich rasch, denn offenbar sind wir alle eine große Familie.

Und vorne passiert auch einfach zuviel: Venditti tischt groß auf und hat zwei komplette Backing-Bands mitgebracht. In der einen spielt Goblin-Bassist Fabio Pignatelli, den Venditti mit Verweis auf Dario Argentos Blutschleuder „Profondo Rosso“ vorstellt. Großer Ehrerbietungsapplaus! Am rechten Bühnenrand hält sich ein Saxophonist bereit: Er wird bei JEDEM Lied ein Saxophon-Solo spielen, das ist so bei Venditti, seit er sich Ende der 70er vom Piano-Barden zum Zuckerbäcker-Songschreiber umgemodelt hat. Saxophon muss sein. Ich unterstütze das ausdrücklich.

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Schon früh spielt er „Bomba o non bomba“, seinen Hit über eine mit Freunden unternommene Italienreise während des blutigen Terrors der brigade rosse. Bei ihrem Chronisten ist schon jetzt alles vorbei, ich kann nur schwer formulieren, was dieses shuffelnde Stück Liedermacher-Pop mit mir anrichtet.

Venditti geht es um alles

Kaum ist ein Song zu Ende, beginnt Venditti zu erzählen. Und er erzählt lang, so eine Ansage kann schon mal an die sechs Minuten dauern. Dabei kommt er vom Hölzchen aufs Stöckchen: Es geht um Emanzipation, Abtreibung, die bräsigen Toskaner, die Krise der italienischen PD, Andreotti, Salvinis Wahlkampf am Strand, immer wieder um Rom, Heroin (schlecht, la morte), Marihuana (gut, la festa) und vieles mehr. Nicht immer ist das Publikum seiner Meinung: Wiederholt setzt es Zwischenrufe, aber kaum stimmt Venditti den nächsten ewigen Hit an, geht ein Jauchzen durchs Rund und es wird verzückt mitgesungen. Daraufhin folgt die nächste sechsminütige Ansage.

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Als Venditti seine verstorbenen Kollegen Lucio Dalla und Pino Daniele erwähnt, setzt es Szenenapplaus. Einzelne Menschen stehen auf. Gegen halb 12 ist es dann vorbei. Venditti wirft einen Hut ins Publikum und geht rauchend ab. Ich sitze platt im Stuhl. Meine italienische Sitznachbarin lächelt mich versonnen an.

Vielleicht braucht Italien ja nur eine neue Generation guter Cantautori, und alles sähe schon wieder ein bisschen besser aus.

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