Geheimer Romantiker

In „"Der seltsame Fall des Benjamin Button" erzählt Regisseur David Fincher erstmals eine Liebesgeschichte.

Es gibt vieles im gegenwärtigen Filmbetrieb, was David Fincher im Gespräch ganz; nebenbei mit maliziöser Verachtung straft. Eitle und egomane Filmstars etwa, die vor der Kamera zu quälen er für seine erste Bürgerpflicht hält. Oder das mehrheitlich denkfaule Publikum dieser Tage – wobei ihm Zeitgenossen lieber sind, die seine Filme schrecklich finden, aber wenigstens die Idee dahinter verstehen, als jene Zuschauer, „who love my work without having a tucking clue“. Und natürlich profitgierige Finanziers wie Rupert Murdoch, dessen Fox-Studios er zur öffentlichen Empörung des Moguls einst die pure Provokation „Fight Club“ unterjubeln konnte.

Doch was dieser mit Vergnügen undiplomatische Filmemacher wahrlich aus vollem Herzen hasst, das ist – das Filmemachen. Den physischen Aspekt, wohlgemerkt. „Ich verbringe mein halbes Leben damit.

Crews beim Auf- und Abbauen zuzusehen“, stöhnt der Regisseur, „und wer immer sagt, dass er gern Filme dreht, der lügt. Oder er begreift die Kompromisse nicht, die er bei der Umsetzung von Ideen unweigerlich machen muss.“ Von Phasen der Vorproduktion indes kann er nicht genug bekommen und ist in der Branche darum mindestens so berühmt für Dutzende Stoffe, die es nicht zur Drehreife schafften, wie für seine sieben realisierten Arbeiten. Erwünschte selbst, er wäre effizienter, doch er liebt es einfach zu sehr, über Subtexte zu sinnieren und beim Spielen mit Kostümen, Make-up und Effekten „die visuelle Landschaft einer Geschichte zu erforschen“.

Dafür nimmt der ursprünglich mit Werbespots und Videoclips zu Ruhm gekommene Kalifornier bis heute zahlreiche PR-Jobs an, bevorzugt anonym. Die Kurzfilmchen ermöglichen ihm stilistische Probeläufe für größere Aufgaben und finanzielle Unabhängigkeit. Auch seinen Traum, eines Tages mit den eng befreundeten Kollegen Steven Soderbergh, Spike Jonze, Sam Mendes und Alexander Payne unter dem Dach der gemeinsamen Firma F-64 als Kreativ-Kollektiv Investionsfonds abseits der mächtigen Hollywood-Studios aufzulegen und autark zu arbeiten, hat er noch nicht aufgegeben. Einstweilen aber muss auch Fincher monatelang um Budgets, Drehtage und Ressourcen kämpfen wie jeder Novize: „Und dann stehe ich am Ende am Set und habe nur verdammte 14 Stunden, um eine kurze Sequenz zu inszenieren, in die schon hunderte Stunden des Nachdenkens investiert wurden.“

Dass er die unerbittlich tickende Uhr für den gefährlichsten Gegner vollendeter Glückseligkeit hält, mutet nur sinnig an eingedenk Finchers neuem Film „Der seltsame Fall des Benjamin Button“. Als Oscar-Favorit bereits gehandelt, bevor das Werk auch nur eine Seele gesehen hatte, ist „Button“ tatsächlich ein von profunder Melancholie und epischer Erzähllust getragenes Juwel über einen in sich gekehrten Beobachter der Zeitläufte geworden, der in der körperlichen Verfassung eines Greises geboren wird und sein langes, bewegtes Leben rückwärts alternd verbringt, bis sein Licht als Baby verlischt. Allenthalben herrscht nun gewisses Erstaunen, dass solch eine anrührende Fabel, in deren Zentrum die Liebe zwischen der Titelngur (Brad Pitt) und einer Ballerina (Cate Blanchett) steht, ausgerechnet von David Fincher kommt. Dem Mann mithin, dessen Sinn für Romantik bislang in den Sexszenen von „Fight Club“ (O-Ton Helena Bonham Carter damals: „Ich will eine Abtreibung von dir“) gipfelte.

Angesprochen auf diese Diskrepanz lächelt Fincher nur so geduldig wie vor Jahresfrist bei unserem Gespräch zu „Zodiac“, als er die Meinung von Kritikern für „gönnerhaft“ hielt, die ihm attestiert hatten, „erwachsen“ geworden zu sein. Ganz so, als habe er bis dahin bloß die Teletubbies inszeniert und nicht die explodierenden Lebenssysteme gestandener Wohlstandsbürger in „The Game“ oder „Panic Room“ gezeigt.“.Wenn Sie so wollen“, erklärt Fincher, „war ich persönlich immer schon ein closet romantic, aber ich hatte kein Interesse an Hollywoods standardisierten Liebesgeschichten für Teenager. Ich nenne das die ewig gleiche Ballade der gegenseitigen Abhängigkeit. Es gibt solche Beziehungen, aber ich könnte mir nichts Ungesunderes vorstellen als zwei Menschen, die glauben, ohne einander nicht existieren zu können. Das ist ein krankes und unreifes Verhältnis, während mich an der Liebesgeschichte von .Benjamin Button‘ vor allem überzeugte, dass die beiden getrennt voneinander wachsen und glücklich werden können. Die Dramaturgie bringt sie mehrfach zusammen, gewiss, doch stark macht sie erst ihre Individualität, nicht die Symbiose.“

Bei aller Sanftheit und Intimität, die dieses 130-Millionen-Dollar-Projekt wohl zum teuersten Kunstfilm des Kinos diesseits von Stanley Kubrick und Terrence Malick macht, ist Finchers Handschrift deutlich unter der Patina von 144 Minuten Bildern erlesener Schönheit spürbar. Von seinem skandalumtosten Debüt „Alien 3“ über den Nihilismus-Chic in „Fight Club“ bis zu der Obsessions-Studie „Zodiac“ hat er stets extrem stilisierte Oberflächenwelten geschaffen, die von der lauernden Dunkelheit brutal penetriert wurden und verdrängte Urängste sichtbar machten. Weil die Stories im Genre-Gewand daherkamen, schlug dem Regisseur neben kultischer Verehrung auch der,.Stil über Inhalt“-Vorwurf entgegen, mit dem sich schon gleichrangige Meister wie Ridley Scott und Michael Mann herumschlagen mussten. Um so drolliger, dass Fincher nun auch zum Darling der avancierten Kritik avanciert, obwohl „Benjamin Button“ dem selben Muster folgt und nichts weniger als die Angst vor dem Tod enttabuisieren will. „Als junger Mann lebte ich nahe eines Altersheimes“, erinnert sich Fincher, „und sah jedes Mal um vier Uhr morgens, wenn ich zu einem Werbedreh aufbrach, wie klammheimlich die Leichen verstorbener Anwohner weggekarrt wurden. Wir Amerikaner haben ein absurdes Verhältnis zum Tod und sprechen panisch vom tragischen Verlust eines Lebens, anstatt das Sterben als eine uns alle verbindende Erfahrung zu würdigen. Es ist für jeden leicht, die Geburt eines Kindes zu feiern und Champagnerkorken knallen zu lassen. Aber es ist kein geringerer, nur eben ein ungleich schwierigerer Ausdruck von tiefster Liebe, für jemanden da zu sein, der dem Tode geweiht ist und ihm in seinem letzten Moment in die Augen Zu blicken. Es gibt Leute, die halten Benjamin für eine zu passive, gar stoische Figur, doch ich sehe das völlig anders. Weil er fälschlich für einen alten Mann gehalten wird, wächst er in einem Altersheim in New Orleans auf und ist sich von Kleinauf der Natur der Sterblichkeit bewusst. Das gibt ihm Ruhe und die Klarheit, jeden Moment seines Lebens zu genießen. Und wenn dieses Bewusstsein für unser aller Qualität der Zeit im Angesicht des Todes nicht in jedem Winkel dieses Filmes steckt, dann habe ich meinen Job nicht gemacht.“

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