Good bye, Ich-Maschine!

Der Schriftsteller und Journalist Dietmar Dath ist einer der interessantesten Beobachter der popkulturellen Wirklichkeit. Doch mit der sogenannten Popliteratur hat er nur wenig gemein

Laut Wikipedia hat Dietmar Dath in den letzten zwölf Jahren 17 Bücher veröffentlicht. Gut, das Internetlexikon mag unzuverlässig sein, aber das sind die Erzähler in den Texten des 37-jährigen Autors manchmal auch. Nehmen wir zum Beispiel David Dalek, den Protagonisten der beiden, letzten bei Suhrkamp erschienenen Romane. In „Die salzweißen Augen“ schreibt er seiner großen Liebe aus Schulzeiten Briefe, in denen er vermeintlich seine Faszination für Heavy Metal, Zombie- und Pornofilme theoretisiert. in Wahrheit aber zur großen Lebensbeichte ansetzt. Im Dath-Roman „Dirac“ erfahren wir, wie Dalek an einem Buch über den britischen Quantenphysiker Paul Dirac schreibt, die wissenschaftliche Objektivität aber aufgrund sozialer Umstände immer wieder ins Wanken kommt. „Gesagt wird da, wenn auch oft indirekt und meistens ziemlich unwahr, immer dasselbe: ‚ich'“, beschreibt Dath die Perspektive seiner Romane im Vorwort zu „Heute keine Konferenz“, einer Sammlung seiner journalistischen Texte. Die meisten stammen aus der „FAZ“, bei der er die letzten sechs Jahre als Feuilletonredakteur tätig war. Und zwar anfangs für den Bereich „Physik“.

In besagtem Vorwort erläutert der Ex-„Spex“-Chefredakteur, bekennende Kommunist. „Jungle World“- und „Konkret“-Autor Dath, wie er Teil des „Apparates“ wurde und sich diesem – mit Aufgabe der Redakteurstätigkeit – nun wieder entzog. „Ein Bildungsromänchen“ hat er diese Erzählung vom Ich genannt. Und Erzählen ist die Methode, mit der er sich – ob als Journalist oder als Buchautor – der Welt nähert. Was ihn dabei so

einzigartig macht, ist vor allem sein Zugang zur Welt, der sich nicht nur von allen Schreibern des bürgerlichen Feuilletons, sondern auch der gesamten Pop-lntelligentsia unterscheidet. Wir haben es hier mit einem Autor zu tun, der neben den üblichen Verdächtigen aus Theorie, Popaffiner Literatur und Kopfmusik auch etwa Heavy Metal, Science Fiction und Horror in seine Reflexionen einbezieht, und sich statt an die biegsamen Kulturwissenschaften lieber an die harten Naturwissenschaften hält, wenn er aus wachen, bebrillten Augen in die Welt schaut.

„Ich bin insofern relativ weit weg von der Pop-Literatur, als die Pop-Literatur immer darüber schreibt, wie irgendwelche Sachen sind“, so Dath, „wie es zum Beispiel ist, Platten zu sammeln, in Berlin zu wohnen, 19 zu sein… Während mich viel mehr interessiert, wie es sein könnte. Also spekulative Sachen. Genres wie Horror, Science Fiction, Fantasy. Nur: Damit der Leser sich auf auf diese komischen, wirklichkeitsfernen Konstruktionen einlässt, müssen die Details drumherum stimmen.“

Und hier kommt etwa auch die Physik ins Spiel, deren Studium Dath nach kurzer Zeit abbrach, was er als „große Niederlagenerfahrung meines Lebens“ bezeichnet. „Disziplinen, die den Anspruch erheben, etwas Gültiges darüber zu sagen, wies wirklich ist, sind als als Trampolin oder als Squash-Wand absolut notwendig. Von festen Behauptungen kann man sich leichter ins Spekulative abstoßen als von vagen Vermutungen.“

Das ist auch die Bewegung, der Daths neuer Roman „Waffenwetter“ (Suhrkamp. 17,80 Euro) folgt. Er startet mit der ziemlich genauen Schilderung der Lebenswelt der 19-jährigen Ich-Erzählerin Claudia Starik. Sie macht Abitur und flüchtet sich vor ihrer affirmativen Familie und ihren aufgedrehten Freunden gern zu ihrem Großvater Konstantin, der Millionär und Kommunist ist und die clevere Enkelin – wie Großväter das seit Thomas Bernhard tun – mit den wichtigen Dingen des Lebens vertraut macht. Zur Belohnung fürs geschaffte Abitur lädt er sie auf eine Reise nach Alaska ein, um sich dort das amerikanische Forschungsprojekt HAARP (High Frequency Active Auroral Research Program) anzuschauen, bei dem hochfrequente elektromagnetische Wellen zur Untersuchung der oberen Atmosphäre eingesetzt werden. Viele Verschwörungstheorien ranken sich um dieses geheimnisvolle Unternehmen, und je näher Claudia und Konstantin dem vermeintlichen Gedankenmanipulationszentrum kommen, desto abstruser und komplexer wird die Handlung, desto babylonischer wuselt die Sprache umher.

In „Waffenwetter“ habe er Hauptfiguren gewählt, die der Leser nur schwer mit ihm identifizieren könne, so Dath. „Ich hoffe, es ist klar, dass es hier nicht um Confessional-Auto-Selbstthematisierungs-Literatur geht. Sondern: Folgende Figuren erleben Folgendes, aus dem und dem Grund und mit dem und dem Ergebnis.“

Insofern ist „Waffenwetter“ eine Emanzipation des Autors Dath von der vermeintlichen Objektivität der journalistischen Texte und der subjektiven, selbstbezogenen Perspektive seiner früheren Fiktionen. „Karl Kraus hat mal gesagt: „Selbstbespiegelung ist erlaubt, wenn das Selbst schön ist. Sie erwächst zur Pflicht, wenn der Spiegel gut ist. Gute Texte entstehen, wenn ich nah an dem bin, was ich gut kenne. Und das sind halt meine Probleme. Nur hat sich das in der objektiven Zeitungssituation auch als eine Einschränkung erwiesen. Zudem lässt sich der subjektive Ansatz leicht als Individualromantik missverstehen. Da habe ich nach einem Ausweg gesucht und das Autorenebenbild verschwinden lassen.“

In diesen Wochen erscheint übrigens beim Shaylon-Verlag „Das versteckte Sternbild“, der neue Roman eines gewissen David Dalek – versehen mit einem Vorwort von Dietmar Dath.

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