Ian Anderson

Er sieht aus wie der Direx deiner Penne: anzuggewandet, patriarchalisch, furztrocken. Kerzengerade und mit im Schoß gefalteten Händen mustert er in einem Londoner Hotel-Tagungsraum die angereiste Journalistenschar mit der Mischung aus Pflichtbewusstsein und Desinteresse des Zeitgenossen, der wichtigere Dinge zu tun hat – erstens eine Fischfarm zu managen und zweitens seine geliebte alte Flöte zu entrosten. Ian Anderson und seine Band Jethro Tüll beehren uns mal wieder mit einer Tour, denn es gilt, das neue, computerfreundliche Album „j-tull.dot.com“ zu promoten. „Du solltest mal meine Website antesten“, sagt Anderson. Sollte man tatsächlich, denn man erfahrt so einiges über indische Curries.

In dem neuen Song „The Dog Years“ singst du: „rusted and ropy, dog-eared old copy, vintage and classic or just piain Jurassic, all words to describe me.“ Eine akkurate Beschreibung?

Absolut! Denn irgendwann kommt der Punkt in deinem Leben, wo dir klar wird, dass du rein physisch deine besten Tage hinter dir hast. Aber dir bleibt die kleine Genugtuung, dass du ja weiter gemacht hast, dass du noch da bist, und ’ne Menge anderer Leute es nicht sind. Wie in einer Dinosaurier-Mär ziehen wir immer noch in unserer eigenen kleinen Dinosaurier-Welt umher von ein paar anderen Dinosauriern abgesehen, ohne echte Konkurrenz. Gut, ich kam schon ins Grübeln, als ich hörte, dass Toto sich reformiert hätten und in einer Stadt in Deutschland einen Tag nach uns spielen und nur eine Woche später Deep Purple dort auftreten würden. Aber ängstigen tut mich das nicht.

Vor zwei Jahren bist Du 50 geworden. Hattest du je eine Midlife-crisis?

Nein, nur ein paar blöde physische Nackenschläge. So etwa 1984, als ich für ein paar Monate komplett meine Stimme verlor – eine seltsame Phase, dank derer ich musikalisch beinahe ein ganzes Jahr aussetzen musste, mich andererseits aber geschäftlich auf völlig neue Dinge konzentrieren konnte, wie z.B. die Fischfarm. Das nächste traumatische Erlebnis war mein Unfall in Peru, wo ich auf klitschnasser Bühne ausrutschte und mir einen Bänderriss zuzog. Ich musste im Rollstuhl weiter machen, ließ mich anschließend auch permanent untersuchen, doch keiner bemerkte das Blutgerinsel. Erst in Australien, ich war immer noch im Rollstuhl auf Tournee, entdeckte ein Arzt, dass dieses Blutgerinsel bis kurz vor meine Lunge gewandert war. Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte die Flöte für immer eingepackt, um als Playboy meine Tage mit den schnellsten Autos, den heißesten Bienen und den coolsten Drogen zu genießen. Doch als ich nach drei Monaten wieder laufen konnte, war ich sofort wieder am Start. O. K., ich hatte Glück, denn viele ehemalige Kollegen – Hendrix oder Brian Jones – starben sehr, sehr früh.

Beide, wie das Gros der Musiker der 60er und 70er Jahre, waren für ihren Drogenkonsum bekannt. Und du?

Ich bin all den Drogen aus dem Weg gegangen; ich hab bis dato noch nicht mal einen Joint geraucht, und mit LSD oder Kokain habe ich mich erst recht nicht eingelassen. Ich hatte immer einen Heidenbammel vor dem Zeug – Gott, ich war gerade mal 22, ab Jimi starb, und ich hatte eine Menge Gigs mit ihm gespielt. Von da an wollte ich schon gar nichts mehr mit dem Zeug zu tun haben. Aber versteh mich nicht falsch: Ich verdamme die Drogen nicht im geringsten. Sie müssen offensichtlich fantastisch sein, denn sonst würden nicht so viele Leute so viel Geld für sie hinlegen. Ich aber spar mir das Experiment für meine alten Tage auf, wenn ich weiß, dass ich ohnehin bald sterben werde und mir oder anderen keinen großen Schaden mehr zufügen kann.

In den Anfangsjahren Jethro Tulls, da sahst du mit deinem vergammelten Regenmantel, deinen langen Zotteln und dem Bart aber eher wie ein Prototyp des angeknallten Hippies aus.

Ich weiß, ich weiß. Die amerikanischen Bullen und Zöllner haben das ja auch so gesehen. Doch meine erste peinliche Leibesvisitation war auch die letzte. Erstens begrabbelten einen die Amis wirklich überall, und zweitens konnten sie mich und den Gochard-Jethro-Tull-Charakter am allerwenigsten voneinander trennen.

Was ist eigentlich die Entstehungsgeschichte des Gochard-Charakters?

Als ich mich im Winter ’67 mit ein paar anderen Musikern von Blackpool in Richtung Süden aufmachte, um mit Mick Abrahams eine Band zu formieren, da landeten wir irgendwann in einem ganz tristen Kaff. Zu viert pennten wir hier in einem lausigen Raum, der so kalt war, dass die drei anderen nach einer Woche ihre Karrieren auf Eis legten und heim zu Muttern eilten. Mein Vater aber hatte mir mit den Worten Junge, das wird ein harter Winter“ besagten alten Mantel überreicht. Was mich aber primär von einer Rückkehr abhielt, war die Vorstellung meine Eltern lamentieren zu hören: „Na, haben wir’s dir nicht gesagt? Wärst besser auf dem College geblieben!“ Stur machte ich also weiter, spielte in miesen, leeren Gubs und trug auch auf der Bühne meinen Mantel, denn die Kälte dieser Bude steckte mir permanent in den Knochen. Und so wurde der Mantel, zusammen mit dem Namen Jethro Tull (ein legendärer englischer Farmer des 18. Jahrhunderts), den sich mein offenbar geschichtskundiger Manager ausgedacht hatte, zu einem Trademark. Und das Flötenspiel auf einem Bein – natürliche Eingebung oder nur ein kalkuliertes Show-Element?

Anfangs spielte ich einbeinig nur die Mundharmonika, doch ab die Presse mich permanent Flöte auf einem Bein stehend spielen gesehen haben wollte, da musste ich diesem Image einfach gerecht werden. Und dabei blieb’s halt.

Der Titel des neuen Albums und einige der Songs verraten die Auseinandersetzung mit moderner Telekommunikation. Fasziniert oder beängstigt?

Sowohl als auch. Ich will nichts verpassen, aber nicht vereinnahmt werden. So wie ich ja keinen Führerschein habe, dennoch ein guter Fahrer bin.

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