Interview mit Karen Duve: Wie ich Olaf Scholz zum Bundeskanzler machte

Als 2016 ihr dystopischer Roman „Macht“ erschien, musste die Autorin viel Kritik einstecken. Gerade mal fünf Jahre später ist vieles davon wahr geworden. It’s the end oft he world, wie Karen-Duve-Leser es schon kennen

Am Tag der Vereidigung von Olaf Scholz als Bundeskanzler, hatte ich ein Déjà-Vu-Erlebnis: Bundeskanzler Olaf Scholz, das kennst du doch irgendwo her. Der war doch schon mal … Und dann fiel es mir ein: In Karen Duves Roman „Macht“ von 2016 gibt es auch einen Bundeskanzler, der Olaf Scholz heißt. Er ist der Chef einer ansonsten von Frauen besetzten feministischen Regierung. Das Ganze spielt im Jahr 2031. Wer wählen will, muss sich vorher einer psychologischen Beurteilung unterziehen, wer Fleisch essen will, muss sogenannte CO2-Punkte bezahlen. Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Mann, der sich vom herrschenden Staatsfeminismus unterdrückt fühlt, und seine Ex-Frau Christine, ehemalige Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Kraftwerkstilllegung und Atommüllentsorgung, im Keller gefangen hält, um an ihr seine gewaltvollen Männlichkeitsfantasien auszuleben. Dabei gehörte er mal zu den Guten, war Greenpeace-Aktivist und Vegetarier – aber nur so lange, bis klar wurde, dass die Erde eh nicht mehr zu retten ist und die Klimakatastrophe unmittelbar bevorsteht.

Bei Erscheinen fiel „Macht“ bei der Kritik großenteils durch – zu krude, zu gewalttätig, zu eindimensional und auf den billigen Lacher (Olaf Scholz als Bundeskanzler!) aus. Wenn man diesen bösen und wütenden Roman heute liest, wirkt er regelrecht visionär. Die Dringlichkeit mit der wir fünf Jahre später Themen wie Feminismus und Klimaschutz diskutieren, hat Karen Duve schon vorausgesehen.

Glaubst du, dass der Roman heute besser aufgenommen würde? Damals gab es ja für deine Verhältnisse viele kritische Stimmen.

Karen Duve: Ja, und viele haben es daraufhin dann gar nicht erst in die Hand genommen, das hat mich ein bisschen verbittert damals und ich dachte: Irgh, die haben mir das alles versaut. Aber ehrlich gesagt glaube ich inzwischen, das wäre auch sonst kein Erfolg geworden. Das ist finster und bösartig. Das macht den meisten Leuten keinen Spaß, sowas zu lesen.

Lohnt sich aber doch. Immerhin hast du den neuen Bundeskanzler vorausgesehen.

Aber nicht, weil ich so hellsichtig bin. Er war mein Wunsch-Bundeskanzler. Das mache ich immer so, wenn ich schreibe: Wenn ich beispielsweise ein love interest erfinde– damit ist jetzt nicht Olaf Scholz gemeint – verpasse ich dem natürlich ein Aussehen, das ich selber toll finde. Bei Arno Schmidt zum Beispiel sind die Frauen immer einsachtzig und ganz dünn und flachbrüstig. Wenn die Zukunft schon so gräßlich war, sollte wenigstens Olaf Scholz Bundeskanzler sein. Ich dachte also nicht: Es kann gar nicht anders kommen. Ich dachte: Das wäre gut.

Warum dachtest du das?

Er war immer ein super Bürgermeister in Hamburg.

Sehen ja viele anders, wenn man etwa an den G20-Gipfel denkt.

Das war ja ein Jahr später. Aber ich halte auch jetzt noch viel von ihm, trotz der Fehler. Hinterher sind ja immer alle schlauer. Mir ist wichtiger, dass der nächste Bundeskanzler klar im Kopf und grundsätzlich integer ist. Olaf Scholz wird die Position nicht zur Selbstdarstellung nutzen oder sich selbst bereichern. Das ist jemand, der verwalten und gestalten will. Und das ist schon ne ganze Menge, wenn man bedenkt, was sich sonst schon für Leute für diesen Posten beworben haben.

Der SPD ging es 2016 nicht so gut. Die Umfragewerte waren bundesweit im Keller. Als ich damals bei dir von einem „Bundeskanzler Olaf Scholz“ gelesen habe, wirkte das auf mich eher wie ein komischer Effekt.

Ja, das haben viele so gelesen. War aber gar nicht so gemeint. Auch wenn ich es jetzt viel lieber gesehen hätte, wenn wir zum ersten Mal einen grünen Bundeskanzler gehabt hätten. Ich benutze jetzt absichtlich die männliche Form. Da ist eine historische Gelegenheit vertan worden.

Die Kanzlerschaft Scholz war nicht das einzige, was du vorhergesehen hast. Auch die Zuspitzung der Klimakrise ist ein wesentliches Thema in „Macht“.

So schnell hatte ich auch nicht damit gerechnet. Ich habe mich ja damals daran gehalten, was Wissenschaftler so vorhergesagt haben und dann noch eingerechnet, dass die mit ihren Prognosen immer zu spät liegen. Alles, was Klimaexperten so vorhergesagt haben, ist bisher immer mindestens zehn Jahre früher eingetreten. Und dann habe ich gedacht: Okay, dann müsste das, was 2050 eintreten soll, schon 2040 passiert sein. Und weil da noch eine zunehmende Beschleunigung drinliegen dürfte, setze ich den Zeitpunkt mal auf 2031. Dass solche Zustände noch früher eintreffen könnten, hat auch mein Vorstellungsvermögen überstiegen.

Ich habe neulich den Essay „Wo bin ich?“ des französischen Soziologen und Philosophen Bruno Latour über den Lockdown gelesen. Er sieht den Lockdown darin quasi als Übung für die Zeit, in der die die Auswirkungen des Klimawandels immer drastischer werden und die sogenannte kritische Zone, in der der Mensch leben kann, immer kleiner wird. Dann müssen wir immer in unserem Bau bleiben, wie die Termiten.

Ja, so wird es kommen. Oder man bewegt sich in klimatisierten Tunneln bis zum nächsten klimatisierten Einkaufszentrum. Vor allem ist die Pandemie aber auch eine ganz böse Vorwegnahme davon, wie wir demnächst daran scheitern werden, den Klimawandel aufzuhalten. Maßnahmen werden erst dann durchgesetzt, wenn auch die ganz großen Deppen den Ernst der Lage begriffen haben. Vorher kann man nichts machen – erst recht nicht im Wahljahr. Und dann ist es zu spät. Wenn sie nur lange genug dauert, hält man die Katastrophe irgendwann für Normalität. Oder stutzt noch jemand, wenn jeden Tag in den Nachrichten von drei verschiedenen Unwetterkatastrophen berichtet wird und jede Woche ein neuer Hitzerekord oder Tornado-Rekord aufgestellt wird. Jetzt 30 Tornados. Und Kabeljau gibt’s halt nicht mehr. Hat’s den denn jemals gegeben? Achso. Ja. Hm.

Etwas ganz Ähnliches ist ja passiert im Hinblick auf den von dir vorhergesehenen Staatsfeminismus. Den gibt es zwar nicht —

(Lacht)

… aber was es gibt, seit der MeToo-Bewegung, die ungefähr anderthalb Jahre nach „Macht“ begann, ist auch hier eine neue Dringlichkeit mit der Themen wie Feminismus und Sexismus diskutiert werden.

Aber schlagartig. Jahrzehntelang hat man Spielfilme geguckt, in denen es als sympathisch und lustig dargestellt wurde, wenn im Altenheim der Opa der Pflegerin ein bisschen am Busen fummelte. Und – zack! – plötzlich kommt MeToo und allen fällt es wie Schuppen von den Augen, dass sowas eigentlich ziemlich widerlich ist. Was für eine Erleichterung! Ich hätte dieses Gefühl gern noch länger ausgekostet, aber fast übergangslos habe ich mich dann plötzlich selber in der Schusslinie gefühlt.

Wie meinst du das?

Diese Sensibilisierungen kamen ja alle gleichzeitig – Sexismus, Rassismus, Gendern. Es schadet gar nicht, vorher mal nachzudenken, bevor man spricht. Nur bringt es eben auch nicht besonders viel Spaß, wenn man dabei entdecken muss, dass man nicht ganz so tolerant und aufgeschlossen ist, wie man das immer von sich geglaubt hat. Das kratzt am Selbstbild. Aber man kann sich ja wenigstens Mühe geben. Ich bin mir nicht sicher, ob es Sinn macht, das N-Wort auch dann zu vermeiden, wenn man über diesen Begriff spricht. Aber solange ich mir eben auch nicht sicher bin, dass es keinen Sinn macht, sage ich vorsichtshalber: „das N-Wort“. Ich bin allerdings der Meinung, dass man über alles diskutieren darf. Gerade bei Genderfragen – das ist Neuland. Da wissen wir doch alle noch gar nicht, wie das laufen könnte, und wo da die Fallen sind. Da kann sich nicht eine kleine Gruppe hinstellen und sagen: Wir machen das jetzt so und so und Einwände darf es nicht geben.

Du meinst, es ist ein Prozess, bis alle auf die gleiche Art sensibilisiert sind. Man kann das nicht per Gesetz beschließen.

Doch, das kann man. Aber jedes Gesetz darf auch wieder hinterfragt werden. In meiner Jugend durften Frauen nicht Tischler werden, weil ihreDaumen dafür nicht groß genug wären, und sie durften nicht Busfahrerin werden, weil sie angeblich nicht vier Stunden durchhalten könnten, ohne aufs Klo zu gehen. Ich empfand das damals auch als Zumutung, dass über so’n Tüdelüt ernsthaft diskutiert wurde. Aber jetzt stehe ich selber da, und vielleicht sind meine Sorgen und Fragen genauso borniert, und da würde ich es begrüßen, wenn man mich nicht anschreit oder shitstormt, sondern argumentativ überzeugt.

Karen Duves Roman „Macht“ erschien 2016 im Galiani Verlag.

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