Interview zu „Babylon Berlin“, Staffel 4: „Die Nazis sind nicht immer die anderen“

Mit den Regisseuren Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten sowie Darstellerin Liv Lisa Fries (Lotte) haben wir über die neue Staffel gesprochen.

Weltwirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Nazis, die offen auf der Straße randalieren: In der vierten Staffel von „Babylon Berlin” sind die Goldenen Zwanziger endgültig vorbei. Wir haben mit den Regisseuren Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten sowie Darstellerin Liv Lisa Fries (Lotte) über die neue Staffel, den Aufstieg des Nationalsozialismus und Tanzmarathons mitten im sozialen Elend gesprochen.

Die Interviews mit den Regisseuren und Liv Lisa Fries wurden getrennt geführt.

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Die 4. Staffel setzt ein Jahr nach dem Ende der 3. an, jetzt ist es Silvester 1930/1931. Wie hat sich das Berlin der Serie in der Zwischenzeit verändert?
Achim von Borries: Wir enden ja in der letzten Staffel mit dem Börsencrash 1929, das war fundamental für die Weimarer Republik. Es gab eine Massenarbeitslosigkeit und eine Armut unvorstellbaren Ausmaßes. Die zarten Blüten dieser Republik, die wir vorher zeigen konnten, sind verwelkt. Die parlamentarische Demokratie ist am Ende, sie war durch Präsidialerlasse ausgehebelt. Das ist natürlich ein Riesenunterschied. Es ist aber auch wichtig zu sagen: Die Nazis sind noch nicht an der Macht. Dennoch konnten Auseinandersetzungen wie der Kudammkrawall 1931 geschehen, noch unter der demokratisch organisierten Polizei und eigentlich noch in einem Rechtsstaat. Diese Erosion des Rechtsstaats beschäftigt uns auch im Verlauf der Staffel.

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Die Nationalsozialisten spielen in dieser Staffel erstmals eine zentrale Rolle. War es Absicht, dieses Thema nicht von Beginn der Serie an zu sehr ins Zentrum zu rücken und auch andere Facetten der Weimarer Gesellschaft zu zeigen?
Henk Handloegten: Wir waren immer entschlossen, ihnen erstmal nicht so viel Raum zu geben. Denn in der Auseinandersetzung damals – die natürlich immer auch eine Interpretation ist, wir waren ja leider nicht in der Zeitmaschine und haben uns dahin katapultiert – sieht man, dass die wirkliche politische Wahrnehmung der Nazis vor 1930 sehr gering war. Die Wahlergebnisse waren eigentlich erbärmlich, bis 1929 waren das kaum wahrnehmbare Resultate. Und das hat sich dann diametral geändert, entlang der sich entfesselnden Krise der Weltwirtschaft und natürlich auch der Ängste, die in der Bevölkerung wuchsen.

„Wir wollen in dieser Serie auch erzählen, dass der Nationalsozialismus nicht einfach so aus dem Nichts hereingebrochen ist, sondern von innen kommt. Und das betrifft auch Figuren, die man liebgewonnen hat.“

Wie wirkt sich dieser langsame Aufstieg des Nationalsozialismus auf die Figuren aus?
Achim von Borries: Wir wollen in dieser Serie auch erzählen, dass der Nationalsozialismus nicht einfach so aus dem Nichts hereingebrochen ist, sondern von innen kommt. Und das betrifft auch Figuren, die man liebgewonnen hat. Denn so war es 1933 oder 1938, ganz viele Menschen, wie wir sie auch in „Babylon“ sehen, hätten für Hitler gestimmt oder waren dem Nationalsozialismus gegenüber positiv eingestellt. Es gibt auch in unserem Figurenpanoptikum ganz viele, die das ganz sicher nicht gemacht hätten. Die wären vielleicht auch 1939 nicht mehr am Leben. Das Wichtige an einem Thema wie der Darstellung des Nationalsozialismus ist, es sich einzugestehen: Es sind nicht nur die anderen. Normalerweise sind in Filmen oder Erzählungen die Nazis immer die anderen. Das wollten wir nie und haben immer versucht, es anders zu erzählen.

Frau Fries, wo steht Charlotte Ritter in dieser Staffel?
Liv Lisa Fries: Es gibt wieder mehr Tanzen, das finde ich toll, das gab es ja in der letzten Staffel fast gar nicht. Charlotte wird wieder aktiver. Und öffnet sich auch mehr, kann mehr Nähe und Verletzlichkeit zulassen. Ich finde, wir kehren etwas zurück zu der Charlotte in den ersten zwei Staffeln, und das finde ich toll. Ich bin wahnsinnig stolz darauf, Teil dieser Serie zu sein. Gar nicht unbedingt als einzelnes Individuum, sondern wirklich darüber, wie das als Gesamtkonglomerat funktioniert. Alle Figuren sind wichtig. In einer Episode ist zum Beispiel Wegener, der Assistent [des Industriellen Alfred] Nyssen im Vordergrund. Das finde ich das Schöne bei Babylon, dass man sich so sehr den Figuren widmet.

Hat sich Ihr Blick auf die Weimarer Republik verändert, seit Sie mit der Serie begonnen haben?
Achim von Borries: Total. Auch auf die Stadt. Wir sind ja alle zugezogen und machen mit der Serie eine Liebeserklärung an unsere Wahlheimat. Auch wenn ich seit dreißig Jahren in Berlin lebe, ist mir diese Stadt plötzlich so nahegekommen, weil man ihre Vergangenheit kennenlernt. Und was die Weimarer Republik betrifft, hatte ich diese früher abgespeichert als Versuch einer ersten deutschen Demokratie. Aber diese Zeit war für Deutschland auch der Aufbruch in die Moderne. Deutschland explodierte nach dem Krieg wie ein Kessel, in allen Künsten, in der Wissenschaft, vom Film bis zur Musik. Ehrlich gesagt macht es auch wahnsinnig Spaß, diese Welt auferstehen zu lassen und darin einzutauchen.

„Die Leute haben sich dem Vergnügen hingegeben, in einer wahnhaften Hoffnung, dass dies die Katastrophe bezwingen kann. Sie sind mit dem letzten Groschen noch zu den Tanztees gerannt, obwohl sie sich kaum noch das Essen leisten konnten.“

Der Titelsong der Staffel ist „Ein Tag wie Gold“, in dem Max Raabe singt: „Was kümmern mich Bilanzen, lass uns tanzen“. Was drückt dieser Titel aus?
Achim von Borries: Wenn man sich sagt, das ist der Hit der Stunde, dann ist ganz schön etwas Abgründiges drin. Galgenhumor, in dem sich aus unserer Sicht die Energie der späten Weimarer Jahre spiegelt. Die Leute haben sich dem Vergnügen hingegeben, in einer wahnhaften Hoffnung, dass dies die Katastrophe bezwingen kann. Sie sind mit dem letzten Groschen noch zu den Tanztees gerannt, obwohl sie sich kaum noch das Essen leisten konnten. Das ist ein faszinierender Widerspruch, und der Song illustriert den hingebungsvoll.
Liv Lisa Fries: „Ein Tag wie Gold“ finde ich schon wirklich sehr, sehr gut. „Was kümmern mich Bilanzen, lass uns tanzen“ – sehr gut. Ich bin Fan.

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Herr Tykwer, was war die größte Regie-Herausforderung beim Drehen der neuen Staffel?
Tom Tykwer: Für mich waren das diese ganzen Veranstaltungen des Tanzmarathons, die auch ein Symbol der späten Weimarer Jahre sind. Es beginnt als große Tanzveranstaltung, auf die sich jeder freut, wo jeder mit Verve loslegt, und dann wird das aber immer mehr zum Überlebenskampf, zum bitteren Überlebenskampf. Deshalb sind die Leute ja hingegangen, sie haben ihr Leben riskiert, um am Schluss mit Tausend Reichsmark nach Hause zu gehen.
Liv Lisa Fries: Es war unglaublich anstrengend. Ich würde sagen, man sieht es am Ende gar nicht in der Serie, wie anstrengend es war. Ich habe dafür wahnsinnig viel trainiert, wir hatten unglaublich viel Tanzunterricht. Aber diese ganze Sequenz ist wirklich toll.

Die neue Staffel ist eine Adaption von Volker Kutschers drittem Gereon-Rath-Krimi „Goldstein“. Eine wichtige Rolle spielt die gleichnamige Figur Goldstein, gespielt vom israelischen Schauspieler Mark Ivanir. Was ist das für ein Mensch?
Tom Tykwer: Vor allen Dingen ist es ein jüdischer Mensch, der aus Amerika kommt und gleichzeitig noch einmal das Gangsterfilmgenre in die Stadt trägt, das ja in der Stadt auch schon vor sich hin brodelt. Er hat sich stark von seinen Wurzeln entfernt, und wird durch die Geschichte dorthin zurückgeführt. Das hat uns eine große Gelegenheit geschenkt, einen Lebensraum, ein Umfeld zu besuchen und zu beleuchten, das in Berlin damals eine große Rolle gespielt hat, nämlich die jüdischen Lebenswelten. Also das osteuropäische Judentum mit Wurzeln in Krakau, in Czernowitz, in Lemberg, in der heutigen Ukraine, in Odessa, die überall ihre Ghettos und Schtetl hatten. Das war in Berlin das Scheunenviertel, ein elementarer Raum in der Stadt. Es wurde seitdem erst dem Erdboden gleichgemacht und heute gentrifiziert. Kaum etwas ist von dem Geist, der damals in der historischen Mitte Berlins herrschte, übrig geblieben. Und den wollten wir aufleben lassen.

Eine größere Rolle bekommt in dieser Staffel Toni (Irene Böhm), die Schwester von Charlotte Ritter. Sie übernimmt die Rolle einer im Roman „Goldstein“ Alex genannten Figur. Herr Handloegten, war das schon lange geplant?
Henk Handloegten: Wir haben natürlich gehofft, irgendwann „Goldstein“ zu adaptieren. Deswegen waren wir relativ zurückhaltend, was diese jüdisch-orthodoxe Welt anbelangt. Wir wussten, irgendwann kommen wir dahin, mit der Figur Goldstein. Und das war bei Toni ähnlich. Wir wussten, dass sich da zwei Figuren aufeinander zubewegen, die Figur Alex aus dem Roman von Kutscher, und dann eben unsere Toni. Und das haben wir in Staffel drei schon mitbedacht, dass sie dann ausreißt und wegrennt von zu Hause und auf der Straße lebt. Außerdem ist Irene Böhm so eine tolle Schauspielerin – geworden. Sie war ja erst nur ein Kind, das mitgespielt hat, und jetzt ist sie wirklich eine Schauspielerin.
Liv Lisa Fries: Sie ist jetzt eine eigenständige junge Frau. Es war super. Ich mag Irene [Böhm] wahnsinnig gerne. Sie ist sehr präzise, und es ist schön zu sehen, wie sie groß wird, wie sie auch viel erfahrener wird, aber bei sich bleibt.

„Man wäre zu dieser Zeit gerne Frau Behnke.“

Gibt es Figuren, deren Entwicklung sie überrascht hat?
Henk Handloegten: Ich bin ein großer Fan von unserer Perspektive auf die Menschen aus dem Adels- und Industriellenbereich, die sich in diese Hybris, diese völlige Selbstüberschätzung hineinkatapultiert haben. Wir finden, das kann man gar nicht drastisch und verrückt genug erzählen. Was Nyssen und Helga da für uns darbieten hat selbst uns wirklich noch überrascht. Wir versuchen ja keinen Geschichtsunterricht zu machen. Wenn wir etwas erzählen wollen, was geschichtlich interessant ist, müssen wir das mit Protagonisten verknüpfen. Und da wir eine ganze Menge haben, haben wir es immer geschafft, auch dem Wahnsinn ein Gesicht und der Figur einen Namen zu geben. Es gibt aber auch eine andere Figur, die sich in eine Richtung entwickelt, die bei Volker Kutscher nicht so angelegt war, und das ist die Witwe Behnke. Sie tut auf eine unglaublich ernste Art, wirklich mit einem heiligen Ernst, das Rechte, und wächst über sich hinaus. Man wäre zu dieser Zeit gerne Frau Behnke.

Haben Sie einen Lieblingscharakter, außer Lotte?
Liv Lisa Fries: Ich mag die Behnke natürlich sehr gerne, Fritzi Haberlandts Charakter, und ich mag auch Karl Markovics [als Journalist Samuel Kattelbach]. Bei den beiden zu Hause, da komme ich richtig an, das hat Witz, das finde ich sehr schön.

Im Vergleich zur Situation vor 5 Jahren, als die erste Staffel begann, gibt es heute eine regelrechte Schwemme an Serien. Ist es schwieriger geworden, sich da durchzusetzen?
Tom Tykwer: Wir hatten offensichtlich einen guten Zeitpunkt gewählt, um loszulegen, weil man damals noch eine richtige Markierung setzen konnte. Darüber bin ich ganz froh. Bei der vierten Staffel hat uns beschäftigt, dass viele Serien im Laufe der Zeit einen gewissen Verschleiß haben, weil das Thema vielleicht doch nur für eine oder zwei Staffeln reichte. Da ist bei uns ja sowohl historisch als auch durch das Kutscher-Universum, das Gegenteil der Fall. Und wir hatten uns fest vorgenommen, dass diese Staffel auch einen Intensitätsgewinn erzeugen muss, dass nach zehn Minuten klar ist, das muss man sich zu Ende angucken. Und ich persönlich empfinde es so, dass das gelungen ist.

Merkt man als Darsteller*in eine eigene Handschrift der drei Regisseure?
Liv Lisa Fries:
Alle verfolgen natürlich eine bestimmte Vision, aber man merkt Unterschiede darin, wie sie arbeiten. Sie haben ja auch alle eigene Kameramänner und Teams. Es ist immer eine andere Herangehensweise, aber immer interessant und inspirierend. Wie ein Farbkasten. Jetzt nehmen wir noch etwas von der Farbe, ein bisschen lila, und dann wieder grün. Es ist interessant, wie die unterschiedlichen Regisseure auch unterschiedliche Farben der Figur hervorheben.

Haben Sie Wünsche für die kommende Staffel oder Staffeln?
Liv Lisa Fries: Eigentlich nicht. Ich mag meinen Beruf auch, weil ich mich über die Inspiration von außen freue. Was ich will, kann ich ja in meinem Leben machen. Ich freue mich darüber, andere Impulse zu bekommen und finde es immer extrem inspirierend, was die drei [Regisseure] entwickeln. Ich lese das ja auch und gestalte das auch zuweilen mit und sage, was mir noch fehlt, oder wo ich noch Entwicklungsbedarf sehe, aber grundsätzlich vertraue ich den dreien extrem in der Entwicklung, und das hat sich bisher auch immer ausgezahlt.

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