John und Yoko – letzte Bilder einer Liebe

Am 9. Oktober wäre John Lennon 75 Jahre alt geworden. Und vor etwas mehr als 35 Jahren begannen John Lennon und Yoko Ono mit den Aufnahmen zu einem neuen Album, „Double Fantasy“. Erstmals wurden private Fotos jener Monate veröffentlicht - Dokumente eines Neuanfangs, den die Todesschüsse vom 8. Dezember 1980 jäh zerstörten

Ich stellte mir die Menschen in meinem Alter vor, die jetzt 30 oder 40 sind – für sie singe ich

Auf dem Album sind einige der besten Stücke enthalten, die John Lennon nach „Plastic Ono Band“ schrieb – hätten „I’m Stepping Out“, „Nobody Told Me“, „I Don’t Wanna Face It“ und „Borrowed Time“ die Platte ergänzt, wäre es ein großartiges, wenn auch gar nicht modernes Rock-Album geworden. Yokos eklektische, teils rhythmisch-treibende, teils pompös-sentimentale Stücke haben die größtmögliche Distanz zu Lennons schnodderigen Gitarren-Attacken. Albert Goldman nennt „(Just Like) Starting Over“ einen „Rückgriff auf den alten Stil“, „eine verkrampfte und aufgemotzte Lappalie“ – doch das Stück ist vielmehr eine rührende Reminiszenz an die frühen Tage des Rock’n’Roll.

Auf der „Stripped Down“-Fassung von „Double Fantasy“, die von Hall und Produktionsschwulst befreit wurde, hört man eingangs eine Stimme: „This is for Gene, Eddie and Elvis.“ Und Lennon ruft: „And Buddy!“ Vincent, Cochran, Presley und Holly also.

Ein Mann der 50er-Jahre nimmt zu Beginn der 80er-Jahre neue Songs auf, er mag seine Stimme nicht, er nutzt die Möglichkeiten der Tontechnik und der besten Studiomusiker. Lennons offiziöse Absichtserklärung, die man in dem Dokumentarfilm „Imagine“ hören kann, lautete: „Als ich mit Yoko sang und arbeitete, stellte ich mir all die Menschen in meinem Alter vor, die jetzt 30 oder 40 sind, genau wie ich, und die Frau und Kinder haben und die alles gemeinsam durchgemacht haben. Für sie singe ich. Ich frage: ,Hier bin ich, wie geht es euch? Wie ist eure Beziehung? Habt ihr alles überstanden? Waren die Siebziger nicht schrecklich? Lasst es uns in den Achtzigern gut machen, denn wir haben es noch immer in der Hand.“

Lennons Lieder waren immer Momentaufnahmen, Tagebuchnotizen, Selbsttherapie. Er verglich seine Arbeit mit dem Journalismus (und las begeistert Zeitungen), aber kein Journalismus hat solche Strahlkraft: Das schizoide, zugleich ängstliche, verzagte und größenwahnsinnige Genie schrieb im unmittelbaren Zugriff auf das traumähnliche Unbewusste die Meisterwerke „Strawberry Fields Forever“, „Lucy In The Sky With Diamonds“, „Happiness Is A Warm Gun“, „I’m So Tired“, „Across The Universe“, (einen Teil von) „A Day In The Life“ und „#9 Dream“. Mit absolut luzidem Bewusstsein gelangen Lennon zartbittere Songs wie „Julia“, „Sexy Sadie“ und „Working Class Hero“. Als populistischer Sentimentalist und Pamphletist verfasste er „All You Need Is Love“, „Give Peace A Chance“ und „Imag-ine“. Und mit höhnischer Verzweiflung ätzte er „God“, „Mother“, „Woman Is The Nigger Of The World“ und „How Do You Sleep?“.

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Lennons Songs von „Double Fantasy“ (und „Milk And Honey“) sind von ergreifender Schlichtheit – Lennon war stets unglücklich über George Martins Arrangement für „Strawberry Fields Forever“, das er als zartes Lied konzipiert hatte. Im Gespräch mit Andy Peebles sagte John: „Latent habe ich noch immer das Gefühl, ein Macho sein zu müssen – Butch Cassidy oder der harte Lennon in der Lederjacke. In Wirklichkeit bin ich sehr romantisch und war es immer. ,Woman‘ kommt mir vor wie eine Achtziger-Jahre-Version von ,Girl‘, ich nenne es den Beatles-Track. Auf den Bermudas dämmerte mir plötzlich, was Frauen bedeuten, nicht als Sex-Objekt oder als Mutter, sondern nur durch ihren Beitrag. Was ich über die Frau denke, kann ich nicht besser ausdrücken, als ich es in diesem Lied getan habe. Es ist für Yoko, aber es gilt allen Frauen.“

Peebles erwähnt daraufhin den englischen Radio-DJ John Peel, und Lennon, der seit neun Jahren nicht in England war, sagt: „Ah, John … Er hat jetzt keine Haare mehr …“ Am Ende des Gesprächs grüßte Lennon „alle Engländer und Waliser, Schotten und Iren“, die der BBC zuhörten: „Piep, piep, tut, tut.“ Am frühen Morgen des 7. Dezember 1980 verabschiedete sich Andy Peebles vor dem Restaurant Mr. Chow von John und Yoko.

David Chapman erschießt John Lennon

Am späten Abend des 8. Dezember stieg John mit Yoko aus der Limousine und ging zum Eingang des Dakota. Dort wartete seit Stunden Mark David Chapman, dem er mittags ein Autogramm auf die Plattenhülle von „Double Fantasy“ geschrieben hatte. Der geisteskranke Soziopath gab fünf Schüsse aus einem Revolver auf John Lennon ab, der sich die Stufen zum Foyer des Dakota hinaufschleppte, wo das Kassettengerät und Bänder, die er getragen hatte, zu Boden fielen. Chapman identifizierte sich angeblich mit Holden Caulfield, dem Helden von J. D. Salingers Roman „Der Fänger im Roggen“, der die Rettung der Kinder vor dem Erwachsenwerden imaginiert, und bezichtigte Lennon später diffus des Verrats, weil er ein reicher Rockstar war – behauptete aber zugleich, vom Satan zu dem Mord getrieben worden zu sein.

Als Rettungswagen und Polizei eintrafen, stand der junge Mann ruhig vor dem Dakota-Gebäude und las in dem Buch. Der Polizist Steve Spiro schob Chapman auf den Rücksitz des Einsatzwagens. „Ist Ihnen klar, was Sie getan haben?“, fragte er. Chapman sagte: „Hören Sie, es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass er ein Freund von Ihnen war.“

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