Comic-Figur des Jahres 2019: Joker

Ein narzisstischer Soziopath wird zur populärsten Kino-Figur des Jahres

Was ist eigentlich das Problem des Jokers? Man kann diesen Film nicht begreifen, ohne zwei andere Filme zu kennen, beide von Martin Scorsese inszeniert: „Taxi Driver“ und „King Of Comedy“. In beiden spielt Robert de Niro verzweifelte Männer in New York. In „Taxi Driver“ von 1976 ist er Travis Bickle, ein einsamer Vietnam-Veteran, der eine Wahlkampfhelferin umwirbt, dann eine junge Prostituierte retten will und sich in einen bewaffneten Kämpfer verwandelt. In „King Of Comedy“ von 1982 ist er Rupert Pupkin, ein Kauz, der bei seiner Mutter lebt, den Late-Night-Entertainer Jerry Langford bewundert und armselige Witze auswendig lernt, um ins Fernsehen zu kommen, vergeblich. Bickle schießt schließlich in einem Stundenhotel um sich, Pupkin entführt den gar nicht witzigen Moderator und erzwingt seinen Fernsehauftritt.

„Joker“ – wie gefährlich ist dieser Film? Die Analyse:

Joaquin Phoenix als Joker ist eine Mischung aus beiden Figuren: ein armes Würstchen, das zur Bestie wird. Er tritt als Clown auf, wird von bramsigen Männern in der U-Bahn verprügelt und verspottet und verwandelt sich in einen Horrorclown mit Gefolgschaft. „Joker“ erzählt die alte Geschichte von der narzisstischen Kränkung des Sonderlings, der so lange Schläge bekommt, bis er sich rächt. Küchenpsychologisch deutet der Film die üblichen Möglichkeiten der Misere an: Die Mutter ist schuld, die Schule, und der Joker ist vielleicht schizophren, vielleicht manisch-depressiv. In seiner Maske ist er ein Jemand, nämlich ein Charismatiker. Die Pointe des Films ist, dass es viele wütende, desperate Jokers auf den Straßen gibt. Sie ventilieren ihr Unbehagen in der Gesellschaft („das System“) durch Gewalt.

Und die Schlangen vor den Kinos zeigen, dass der beleidigte Soziopath eine ungemein populäre Figur ist.

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