Lambchop: Profis mit undefiniertem Handicap

Jahrelang hatten die Mitglieder von Lambchop ihre Band eher als Freizeitspaß verstanden, nun setzt sich allmählich die professionelle Perspektive durch

Damit das klar ist: Kurt Wagner hat immer noch keinen Werbedeal mit einer Tierfutter-Genossenschaft abgeschlossen. Auch wenn er selbst an diesem kalten Dezembertag in Berlin wieder diese Baseball-Kappe mit der Kuh präferiert, die angeblich „meine Glatze warm hält“. Ein gewisses sentimentales Element – ein Stück Heimat in der Ferne – leugnet der Lambchop-Chef zwar nicht, doch sonst habe die Wahl seiner liebsten Kopfbedeckung „rein praktische Gründe, auch wenn es jetzt fast schon wie ein Mode-Statement aussieht“.

Mit der Mode geht der Mann aus Nashville, wenn Lambchop jetzt parallel gleich zwei Platten veröffentlichen, ohne diese als Doppel-Album zu deklarieren – was aufgesetzt wirken muss. Denn wer wird „Aw Cmon“ nicht im Kontext von „No You Cmon“ hören? „Scheint jetzt plötzlich chic geworden zu sein“, sagt Wagner nur und verweist auf Outkast. Sein role model sei aber „eher Tom Waits“ gewesen. „Schien mir eine tolle Idee zu sein, wenn man genug Material als Basis hat. Was bei mir der Fall war, nachdem ein Konzept stand.“

Das Konzept war dies: einen Song pro Tag schreiben egal wie, egal was. Er scheint überrascht ob meiner Anmerkung, sein persönliches Carpe diem sei prinzipiell auch die Basis des kommerziellen Nashville-Betriebs. „Das stimmt schon, aber ich war mir dessen nicht bewusst. Für mich war es einfach eine praktische Struktur, in der ich meine Linse schärfer stellen konnte. Ich musste dem ersten Impuls folgen. Es war immer so ein Gefühl wie am Tag vor Weihnachten: Morgen packst du wieder ein Geschenk aus! Ich konnte es kaum erwarten, mich morgens mit meinem Kaffee hinzusetzen. Wenn am Ende des Tages dann was Gutes rauskam – toll! Wenn nicht, war morgen ein neuer Tag. Zudem musste ich mich nicht mehr sechs Monate mit halbfertigen Songs rumquälen.“

Die besten Resultate, so Wagner, hätten sich eingestellt, wenn er „fast drei Monate am Stück“ durchschrieb. „Da war es dann frustrierend, wenn ich wieder pausieren musste, um mich um andere Dinge zu kümmern.“ Denn er ist ja nach wie vor auch Manager seiner Band. Auf die Frage, warum denn ob stetig gewachsener (Europa-) Nachfrage nicht endlich ein Profi für diese Belange angeheuert werde, antwortet Wagner, dass er das „liebend gerne tun würde“. Dann lacht er heiser und sagt: „Wenn ein Freund in Frage kommt, denke ich immer: Was für ein furchtbarer Job! Und wenn’s ein Unbekannter ist, denke ich, dass er uns einfach nicht gut genug versteht, um nicht nach ein paar Wochen durchzudrehen.“ Wieder dieses heisere Lachen.

Eine durchaus willkommene Abwechslung war indes die Offerte des San Francisco Film Festival, einen Live-Score zu F.W. Murnaus Stummfilm „Sunrise“ (1927) aufzuführen. „Ich wusste ja nicht, wohin dieser ein-Song-pro-Tag-Kram führen würde“, erklärt Wagner. „So konnte ich Material ausprobieren, Ideen realisieren, aber auf andere Art und Weise. Sonst kommt das Studio zwischen Schreiben und Shows. Jetzt nahmen wir Stücke auf, die wir schon für den Soundtrack gespielt hatten. Das hat den Sound beeinflusst und war effektiver. Wir haben für beide Platten weniger Zeit gebraucht als sonst für eine.“

Zehn Jahre nach ihrem Debüt „I Hope You’re Sitting Down“ also doch noch eine zumindest semiprofessionelle Band geworden. Den Wert des Projekts als soziales Feierabend-Kollektiv habe diese Entwicklung aber kaum tangiert, glaubt Wagner. Und wenn, dann positiv. „Denn es hat uns mit der Frage konfrontiert, was wir wirklich mit der Band beabsichtigen. Dass wir gewillt sind zu akzeptieren, dass wir jetzt professionell Musik machen, auch wenn einige immer noch andere Jobs machen. Diese Klärung war wichtig und nicht so beängstigend, wie ich gedacht hatte. Da schwang dann auch ein gewisser Stolz mit: Ja, wir sind tatsächlich in der Lage dazu.“

Dennoch: Manchmal vermisst Kurt Wagner seinen alten Job. Nicht, weil er sich als Fußbodenverleger gern noch mehr Rückenschmerzen holen würde, sondern weil „ich die Balance mochte, die er meinem Leben gab. Es hatte nichts mit Musik zu tun. Jetzt lebe ich in dieser einen großen Lambchop-Welt. Was auch langweilig und ein bisschen zu Kurt-zentrisch sein kann. Außerdem ist der Gedanke, man könne von dem leben, was man liebt, ja auch ein bisschen furchterregend.“ Noch einmal das heisere Lachen. „Denn es gibt ja nicht viele Fälle, wo sowas auch ein Happy-End hat. Deshalb blieb ich lieber beim Vorwort hängen und vermied es lange, mit dem Buch wirklich anzufangen. Denn da kommt irgendwann unweigerlich das letzte Kapitel „Aw Cmon“/“No You Cmon“ dürfte es nicht betitelt sein – auch wenn die Alben zuweilen wie ein schöner Epilog auf sämtliche Lambchop-Errungenschaften klingen. „Ja, sie klingen wie eine Zwischenbilanz“, nickt Wagner. „Die Alben zuletzt machten jeweils ein Statement in Richtung eines bestimmten Sounds. Diese kombinieren alles und bringen mich zugleich ein bisschen aus dem Blickpunkt. Es ist eher ein Statement der ganzen Band.“ Damit es auch außerhalb des Probenraums nicht allzu Kurt-zentrisch wird, sucht Wagner Ablenkung im Kino. Und neuerdings auch auf dem Golfplatz, wo er den Schläger mit Undefiniertem Handicap schwingt. „Ich bin furchtbar“, sagt er natürlich. „Nach zwei Monaten wollte ich schon aufhören, nachdem ich mal mit einem Schlag ins Loch getroffen hatte. Mehr kann man ja nicht schaffen.“

Kurios ist diese Wendung allemal: Als Teenager wurde Kurt Wagner regelmäßig vom Sport suspendiert. Wegen zu langer Haare. Davon ist heute nichts mehr geblieben, unter dem Käppi mit der Kuh.

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