Mit Platz zum Atmen

Auf Pop-Umwegen hat die norwegische Sängerin Silje Nergaard zurück zum Jazz gefunden

Mit 16 wurde sie als „Norwegens neue Jazzstimme“ entdeckt. Einige Jahre später landete Silje Nergaard dann in den britischen Charts und auf Platz eins der japanischen Top Ten – mit Songs, bei denen von Jazz wenig zu spüren war. Und heute? „Habe ich das Gefühl, dass ich am Anfang meiner Karriere stehe.“ Silje sagt das nicht, um zu kokettieren. Sie hat den Umweg über diverse Popregionen gebraucht, weil sie vieles ausprobieren wollte und ihr Steely Dan mehr am Herzen lagen als Ella Fitzgerald.

„Nachträglich kommt mir das alles wie eine lange Aufwärmphase vor. Nur so konnte ich einen wirklich persönlichen Zugang gewinnen zu Songs wie „Bewitched, Bothered And Bewildered“. Den habe ich zum ersten Mal in einer Version des Pianisten Brad Mehldau gehört und war völlig fasziniert davon, wie leicht er bei aller Traurigkeit klang. Ich bin nicht interessiert an den großen, dramatischen Gesten. Mir ist es wichtiger, dass meine Musik noch Platz zum Atmen hat.“ Und den hat sie bei Nergaard neuerdings meistens.

Ob sie nun einen Song von Sting nachsingt oder eigenes Material zum Besten gibt, immer steht sie dabei Ricky Lee Jones oder Björk näher als Jazz-Divas wie Carmen McRae und Dee Dee Bridgewater. Coproduziert hat sie ihr neues Album „Port Of Call“ denn auch mit einem Popmusiker, dessen Beziehung zu Silje etwas kompliziert klingt: Er ist der Freund der Mutter des Babysitters im Hause Nergaard. Der heißt George Wadenius und ist vor allem als Gitarrist gefragt- bei Aretha Franklin, Dr. John und eben Steely Dan. „Ein großer Teil des Geldes ist in den Mix geflossen. Alar Suurna hat schon für Sting gearbeitet.“

Sorgfältig wie bei einer Pop-Produktion wurde ein intimer Sound geschaffen, der es Silje erlaubt, zu flüstern statt zu schreien. „Wir fühlen uns in Norwegen nun mal der Stille besonders nahe. Ich weiß: Melancholie, Stille, Weite – das sind alles weit verbreitete Skandinavien-Klischees. Trotzdem ist viel Wahres dran. Wenn du morgens in totaler Dunkelheit aufstehst und dir zwei Pullover anziehst, liegt dir ein Lächeln wohl nicht so nahe wie in Ländern, wo du das ganze Jahr am Strand verbringen kannst.“

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