Wie Nicholas Sparks uns das Gruseln lehren will (und trotzdem eine Lovestory erzählt)

Nicholas Sparks wagt mit „Remain“ den Schritt ins Mystery-Genre – gemeinsam mit M. Night Shyamalan zwischen Liebe und Horror

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Nach 23 Liebesromanen, allesamt Bestseller, widmet sich Nicholas Sparks nun einem neuen Genre. Zumindest in Teilen. Auch in „Remain – Was von uns bleibt“ (Heyne) geht es um die Gefühle von Verbundenheit, die zwei Menschen empfinden, die scheinbar nicht zusammenpassen – aber sich aufeinander einlassen wollen. Doch geht es diesmal auch um böse Umtriebe. Das hat auch mit M. Night Shyamalan zu tun. Sparks hat das „Remain“-Projekt gemeinsam mit dem Horror-Regisseur („The Sixth Sense“, „Signs“) entwickelt – und Shyamalan bringt seine eigene Version der Story im kommenden Jahr in die Kinos. Ein Interview über Therapien, Ängste und den ultimativen Horror.

Mr. Sparks, Sie erzählen „Remain“ aus der Perspektive der zwei Protagonisten. Dem um seine Schwester trauernden Architekt Tate sowie der geheimnisvollen Wren, die seine neue Unterkunft in Cape Cod zu bewohnen scheint. Hatten Sie auch überlegt, sich auf eine der beiden Figuren als Erzählstimme zu beschränken?

Das war eine Entscheidung, die ich früh im Roman treffen musste, und ich hielt es für wichtig, dass der Leser beide Charaktere kennenlernt. Für wichtig, beide Perspektiven kennenzulernen, das Mindset beider zu verstehen. Es gibt viele Herausforderungen bei der Konstruktion einer übernatürlichen Liebesgeschichte, und was ich mir vor allem wünschte, war, dass meine Leser sich in die Idee verlieben, dass sich diese beiden besonderen Charaktere ineinander verlieben. Und um das zu erreichen, hielt ich es für wichtig, Tate und Wren erlebbar zu machen – sowohl durch Dialoge, als auch durch ihre Handlungen und Gedanken.

Es geht auch im einen Kriminalfall. Wie haben Sie den Whodunnit geplottet? Stand es früh fest, wen Sie zu Verdächtigen machen, für wen Sie falsche Fährten auslegen?

Darüber haben sich Night und ich sehr früh Gedanken gemacht. Stellen Sie sich das wie eine Münze mit zwei Seiten vor: Wir haben uns die Münze ausgedacht, aber Night hat eine Seite geprägt – sein Medium, den Film – und ich habe die andere Seite geprägt. Wir haben diese Geschichte also gemeinsam konzipiert. Wir waren uns die ganze Zeit sehr klar darüber, wie sich die Geschichte entwickelt und wie sie schließlich aufgelöst wird. Schon bevor ich das erste Wort geschrieben habe – und Knight auch, denn schon bevor er das erste Wort des Drehbuchs geschrieben hat, war ihm das Ende klar. Allerdings werde ich Ihnen nicht verraten, ob mein Ende mit dem Ende des Films übereinstimmt.

M. Night Shyamalan (li.) und Nicholas Sparks arbeiteten für „Remain“ zusammen

Ihr Buch erscheint jetzt, aber Shyamalans Film erst nächstes Jahr. Es muss also eine Herausforderung für ihn gewesen sein, Ihnen dieses Buch mit einem wahrscheinlich anderen Ende zu überlassen und trotzdem zu hoffen, Monate später das Publikum für seine Version zu begeistern.

Ich denke, das ist Teil des Spaßes, oder? Ein Teil des Spaßes an diesem ganzen Projekt ist, dass Nicholas Sparks und M. Night Shyamalan auf den ersten Blick überhaupt nicht viel gemeinsam haben. Und was, um alles in der Welt, soll deren gemeinsame Story sein? Ich denke, das ist Teil des Reizes, und ich hoffe, dass meine Leser es genießen werden. Vielleicht werden Leute, die mich noch nie gelesen haben, aber Fans von Night sind, es in die Hand nehmen und ausprobieren – und ich denke, sie werden es auch genießen.

Das Gleiche gilt für den Film. Vielleicht sind einige meiner Leser keine Fans von M. Night Shyamalan. Vielleicht mögen sie keine Horrorfilme oder gruselige Sachen. Aber vielleicht gehen einige von ihnen ins Kino. Night und ich haben darüber nachgedacht: Ja, das wird eine lustige Sache. Ist es möglich, eine Geschichte zu entwickeln, die sowohl meine Fans als auch seine Fans zufriedenstellt?

Wer hat wen zuerst kontaktiert?

Das kam auf die typische Hollywood-Art zustande. Ich habe Leute in Hollywood, Night hat Leute in Hollywood. Meine Leute begegneten seinen Leuten, und sie sagten: „Hey, wir sollten diese beiden zusammenbringen.“ Normalerweise passiert in neun von zehn oder 99 von 100 Fällen nichts. Das höre ich oft von Schauspielern, Regisseuren und Produzenten. Aber dieses Mal rief mich mein Kontakt in Hollywood an und sagte: „Okay, du wirst dich mit Night treffen.“ Der Plan für dieses Treffen im Mai 2023 war, dass ich mir eine originelle Geschichte ausdenken sollte, die sowohl als Roman als auch als Film funktionieren und beide Fangruppen zufriedenstellen würde. Er hatte die gleiche Aufgabe.

Sie haben ganz klassisch die Köpfe zusammengesteckt?

Als wir uns im Mai 2023 trafen, stellte ich ihm meine Geschichte vor. Ich sagte: „Das ist die Geschichte, die ich mir ausgedacht habe.“ Er erzählte mir seine, eine sehr kurze Geschichte. Und wir einigten uns darauf, seine Geschichte zu verfilmen. Ab da begannen wir, die Details auszuarbeiten: Wer ist Tate? Warum ist er in der Stadt? Hat er einen Freund? Wer sind die Figuren? Was treibt die Handlung an? Wir entschieden uns für ein Rätsel, legten Verdächtige fest – all das entstand im Mai 2023.

Und keiner von uns tat etwas damit, bis im August 2024. Da rief er mich an und sagte: „Weißt du noch die Geschichte, die wir uns ausgedacht haben? Ich glaube, das wird mein nächster Film. Ich werde das Drehbuch schreiben, produzieren und Regie führen.“ Ich sagte: „Okay, ich denke, ich werde einen Roman schreiben.“ Denn nach unserem ersten Treffen wussten wir nicht, wie die Zusammenarbeit aussehen würde. Würde ich eine Kurzgeschichte schreiben? Würde er sie nur produzieren? Oder würde er meine Kurzgeschichte adaptieren lassen? Wir wussten es nicht. Wir wollten herausfinden, ob wir zusammenarbeiten wollten oder ob es mehr Ärger als Nutzen bringen würde. Manchmal funktionieren Partnerschaften nicht gut.

Ich glaube, wir haben beide beschlossen: Ja, wir können zusammenarbeiten. Dann kam das Drehbuch, dann der Roman – und hier sind wir nun.

Nun, eines ist sicher: Das könnte einer der ersten Filme seit Jahren sein, in denen Jake Gyllenhaal sein Hemd mal nicht auszieht. 

Ich möchte keine Spoiler für den Film verraten. Ich sage nur: Jake (in der Rolle als Tate) und Phoebe (Dynevor, als Wren) haben eine tolle Chemie. Und der Film ist manchmal auch sehr sexy.

In vielen Horrorgeschichten sind die Gebäude selbst wie Charaktere. Wie Manderley in „Rebecca“ oder das Overlook-Hotel in „Shining“. Ihr Gebäude scheint aber kein Charakter zu sein, was sehr beruhigend ist. Es macht keinen Stress. Welche Elemente waren für Sie wichtig, um das Haus dennoch zu einem gruseligen Ort zu machen?

Zunächst wollten wir ein einladendes Erdgeschoss schaffen, wo sich die Figuren sicher fühlen können. Denn es ist schwer, sich zu verlieben, wenn man ständig Angst hat. Also brauchte es einen sicheren Bereich, in dem man sich entspannen konnte – nicht nur einen kleinen Schrank, sondern einen großen Bereich. Und dann musste es natürlich auch einen unheimlichen Bereich geben – kleiner, oben im Haus, nahe beim Schlafplatz, damit die Figuren die gruseligen Dinge bemerken. Die Kulisse war wichtig, weil die Liebesgeschichte real wirken musste. Ich wollte, dass die Leser sich in die Idee verlieben, dass diese beiden sich verlieben. Deshalb musste die Atmosphäre das unterstützen.

Auffallend ist, dass keine der Figuren wirklich infrage stellt, dass Tate auch Gespenster sehen kann. Sein Umfeld ist sehr unterstützend. Gab es einen Punkt, an dem Sie eine Figur einbauen wollten, die Tates geistige Gesundheit anzweifelt?

Sein Freund Oscar ist da ein guter Gegenpol. Zuerst stellt er noch Fragen, aber dann lässt er es sein. Er ahnt, dass Tate am Ende nicht glücklich sein würde. Die anderen wollen Tate glauben, und sie sind neugierig, weil sie so etwas noch nie erlebt haben. Das sorgte für Balance zwischen einem echten Freund und dem Verdacht, man könnte verrückt sein.

Tate trauert um seine Schwester. Ist dies von Ihrer eigenen Biografie inspiriert?

Ein wenig. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich mich fühlte, als ich meine Schwester verlor, auch wenn es schon 28 Jahre her ist. Ich erinnere mich an das letzte Gespräch, das wir hatten. Das kam mir in den Sinn, als ich diese Szene schrieb – ähnlich wie bei Tate und seiner Schwester Sylvia. Meine Schwester hatte einen Gehirntumor, wir wussten, dass es passieren würde, und hatten die Möglichkeit, Dinge zu sagen. Das war anders als bei meinen Eltern, die plötzlich starben – mein Vater bei einem Reitunfall, meine Mutter bei einem Autounfall. Natürlich hat man das Gefühl, dass es Dinge gab, die ungesagt geblieben sind, Dinge, die man gerne gesagt hätte. Dass man ihnen gerne gesagt hätte, dass man sie liebt. Mit meiner Schwester war es anders: Wir konnten uns alles sagen.

Tates Trauerbewältigung ist ungewöhnlich. Er versucht es mit Verhaltenstherapie, aber er findet Frieden eher im Spirituellen. Es wirkt so, als gäbe die Geschichte dem Leser die Option, auf Geister zu vertrauen statt auf Therapie. 

Ich würde ihre Sicht als Interpretation bezeichnen. Das eigentliche Thema, auf das Night und ich uns geeinigt haben, war: Nur wahre Liebe, das wirkliche Verlieben, ist der einzige Weg, um Tate und Wren zu retten. Liebe als Gegenmittel zur Trauer – das war das Thema. Ich wollte Tate tief fallen lassen und ihn die Möglichkeit bieten, geheilt zu werden.

Er sagt selbst, dass Wren ihm bei der Bewältigung seiner Depression hilft. Wren ist keine Therapeutin.

Sicher, absolut. Aber seine Rettung erfolgt nur über Wren. Ob auch seine Schwester damit zu tun hat? Ob er vollständig geheilt ist? Das sind Fragen, die gute Romane offenlassen. Bücher geben nicht alle Antworten – anders als Märchen. Aber auch da: „Sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ – heißt das wirklich, dass nie wieder etwas Schlimmes passierte? Gute Romane lassen Raum zum Nachdenken.

Es wird angedeutet, dass Tates Familie die Gabe hat, Tote zu sehen. Was hat Shyamalan gerade zu dieser Idee gesagt, die an seinen Film „The Sixth Sense“ erinnert?

Klar, das ist mein Augenzwinkern, eine klare Referenz an Shyamalan. Interessant ist, dass das Studio damals, als mein Roman „The Notebook“ verfilmt wurde, M. Night Shyamalan für einen Drehbuchentwurf anfragte. Aber er konnte nicht, weil er gerade „The Sixth Sense“ drehte.

In Ihrem Roman gibt es moderne Themen – Stalking und Gaslighting.

Ich achte darauf, gesellschaftliche Realität einzuflechten, je nach Zeit, in der die Geschichte spielt. Gleichzeitig versuche ich, ein offenes Ohr für das zu haben, was in der Welt vor sich geht. Das bedeutet, wenn ich einen Roman schreibe, der in der Vergangenheit spielt, wie „The Notebook“, versuche ich, diese Vergangenheit genau wiederzugeben. Und wenn ich einen Roman schreibe, der in der Gegenwart im Jahr 2024 spielt, spiegele ich etwas davon wider. Ich bin überzeugt, dass Emotionen sich viel langsamer entwickeln als Gesellschaft und Technik.

Wie meinen Sie das?

Liebe fühlt sich heute noch immer an wie vor 100 oder 10.000 Jahren. Die Gelegenheiten, sich zu verlieben, mögen sich geändert haben, aber die Emotion fühlt sich gleich an. Wenn es etwas gibt, das ich für wichtig halte, dann ist es zu erkennen, dass sich die Welt zwar immer schneller und ständig weiterentwickelt, die Menschen aber irgendwie weitermachen wie bisher, mit einer Amygdala, die genauso funktioniert wie vor 10.000 Jahren. Vor diesem Hintergrund versuche ich, alles wirklich Moderne auf ein Minimum zu beschränken. Denn ich finde, wenn man zu spezifisch ist, kann man sich selbst datieren.

Der Versuch, zeitlos zu sein.

Wenn man zum Beispiel auf einen bestimmten Song im Radio Bezug nimmt – man weiß, dass dieser Song entweder Jahrzehnte überdauern wird oder  in Vergessenheit gerät, oder? Das kann dazu führen, dass sich das Werk veraltet anfühlt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir noch eine Weile Mobiltelefone haben werden, und ich bin mir ziemlich sicher, dass es das Internet noch eine Weile geben wird. Aber was Facebook oder X oder Google angeht, wissen Sie … meine Güte, Facebook hatte schon MySpace ersetzt, das Friendster ersetzt hat. Irgendwann ist Facebook vielleicht weg.

Ich weiß noch nicht, was bald verschwunden ist, also werde ich auf Mobiltelefone Bezug nehmen. Das wird bleiben. Ich schreibe lieber von „sozialen Medien“ oder „dem Internet“ als von konkreten Plattformen. Wren etwa versteht nicht, warum Menschen Instagram nutzen, statt ein Buch aus der Bibliothek zu lesen. Sie steht gewissermaßen zwischen den Zeitaltern.

Hatten Sie beim Schreiben eine konkrete Geistergeschichte im Sinn?

Am interessantesten war die Tatsache, dass sich die Story wie Neuland anfühlte – obwohl es Geistergeschichten schon seit langer, langer Zeit gibt und die wohl berühmteste Geschichte überhaupt Charles Dickens‘ „A Christmas Carol“ ist. Scrooge wird an Heiligabend von Geistern heimgesucht, 1843 erschien die Geschichte, glaube ich. Und wie macht man Geister neu?

Haben Sie die Antwort darauf gefunden?

Unsere Methode jedenfalls war eine, die sich sehr frisch und sehr neu anfühlte. Ich habe das in keinem anderen Film gesehen, ich habe das in keiner anderen Fernsehsendung gesehen, ich habe das in keinem anderen Buch gelesen. Das ist also eines der Dinge, auf die ich am meisten stolz bin und die ich mag. Ja, man nimmt ein altes Konzept und lässt es völlig frisch und originell wirken.

Nicholas Sparks: „Remain  Was von uns bleibt“, 384 Seiten, 22 Euro

Welche Art Horror erschrickt Sie – Jump Scares, Psychothriller?

Langsam steigende Spannung gruselt mich mehr. Ein Jump Scare kann funktionieren – wie die berühmte Szene im „Weißen Hai“ mit dem Kopf, der unten rechts im Bild aus dem Boot herauslugt. Aber Spannung, die sich stetig steigert, ist für mich wirkungsvoller. So viele Leute machen heute Jump Scares, auf mich wirkt das nur noch so, als würden die meisten davon ineinander verschmelzen. Ich kann diese Filme nicht auseinanderhalten.

Bevor Sie diese spukige Geschichte schrieben, haben Sie Freunde oder Verleger um Rat gefragt, ob Sie das überhaupt tun sollten?

Ich sagte: „Oh, übrigens, ich schreibe das gerade, also wirst du diese Geschichte bekommen. Du wirst sie lieben. Mach dir keine Sorgen. Ich werde sie dir so schnell wie möglich zukommen lassen.“ Und so lief es dann auch ziemlich genau ab.

Sie gehen auf Lesereise. Sie posten Bilder von Drehorten. Sie wagen den sanften Genrewechsel. Ist das die aufregendste Zeit Ihrer Karriere?

Es fühlt sich an wie „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Ich bin auf meiner 25. Lesereise, mache Medienauftritte, signiere Bücher, reise von Stadt zu Stadt. Das habe ich schon oft gemacht. Natürlich ist es aufregend: Der Film ist abgedreht, jetzt in der Postproduktion. Ich bin sicher, dass die Leute ihn lieben werden – und hoffentlich auch den Roman.

Elizabeth Fisher Heyne
Heyne