Ohne Angst vorm Rollenmodell avancieren SLEATER-KINNEY zu Riot Grrrls-Stars

Der Ruhm ist kein Segen, wenn er ganz unverhofft auf dich fällt. Die Drummerin Janet Weiss hat nichts dagegen, als Rollenmodell gehandelt zu werden, um jungen Frauen zu zeigen, welches Potential in ihnen steckt Das geht auch für die Sängerin Conn Tucker in Ordnung, aber daß jetzt alle Welt glaubt, sich ein Bild von ihr machen zu können, bedrückt sie nun. Distanz kann nicht schaden. Mit der aber hat, in anderer Hinsicht Gitarristin Carrie Brownstein nichts im Sinn: „Es ging uns ja auch immer darum, den Abstand zu anderen zu überwinden.“

Eine komische Zeit ist das für die nachdenklichen jungen Frauen von Sleater-Kinney, die sich gerade in einem Cafe in New Yorks Upper West Side darüber Gedanken machen, wie sie mit dem Wirbel umgehen sollen, der zur Zeit um sie veranstaltet wird. An dem hegen sie gehörig Zweifel, auch wenn sie nicht den leisesten an ihrer Musik zulassen. Das Konzert am Abend zuvor war eine extreme Erfahrung: Mädchen quetschten sich an die Absperrgitter vor der Bühne und schrien „I love you!“. Und wollte CNN heute nicht auch noch ein Interview machen?

Für Sleater-Kinney, die die konsequenteste Rockmusik spielen, die zur Zeit von jungen Menschen in Amerika gemacht wird, kommen die Umarmungsversuche des Mainstreams ganz unverhofft Fotosessions verpassen sie gerne mal, und die Scheck-Schwenker der Majors haben sie letztes Jahr abblitzen lassen. Ihr Album „Dig Me Out“ haben die drei jetzt in den USA auf dem radikalen Indie „Kill Rock Stars“ veröffentlicht, jener Adresse, bei der auch die Musikerinnen veröffentlichen, die unterm Banner „Riot Grrrls“ für Diskussionsstoffgesorgt haben. Das ist die Heimat von Sleater-Kinney, die wie Bikini Kill und Team Dresch aus dem Nordwesten Amerikas stammen.

Nicht alle Ideen ihrer alten Gefährtinnen teilt Corin Tucker: „Es gibt so viele schöne Dinge, die nicht zugelassen wurden. Klar, auch ich hasse den Rock’n’Roll für die Klischees, die er produziert, gleichzeitig beschert er einem eine einzigartige Erfahrung.“ Sleater-Kinneys Unternehmen ist es, genuin weibliche Sprache im Rock zu formulieren. Abgrenzung muß dazu nicht angestrebt werden, weil sie sich bei Gelingen von alleine einstellen wird.

Ich erinnere mich genau, wie ich die Band vor einem Jahr in einem New Yorker Club gesehen habe, damals noch mit anderer Schlagzeugerin. Ihre Songs, in denen es meist um die Liebe zwischen Frauen geht, waren nicht an mich adressiert Sie schienen mir jedoch aufregender ab alles, was es, um im Bild zu bleiben, momentan auf mich abgesehen hatte. Brownstein ließ lustvoll die Arme über die Gitarrensaiten kreisen – eine unglaublich coole, weil selbstverständliche Performerin. Tucker stand starr vor dem Mikro und flutete mit ihrem Vibrato den Gub. Sleater-Kinney wollten nichts von mir, aber ihre Songs überwältigten mich, weil nichts an ihnen geplant war.

Was nicht heißt, sie seien unüberlegt. Sleater-Kinney reflektieren in den schönsten Songs von „Dig Me Out“ auch immer ihre Musik. Ein Titel heißt „Words And Guitar“. Denn dieses, in den höchsten Frequenzen flirrende Gitarren und eine raumnehmende Stimme, ist sie: die letzte definitive Möglichkeit der Selbstvergewisserung.

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