Paul McCartney: Wie das Landleben ihn nach den Beatles rettete
Hintergrund aus McCartneys Memoiren „Wings“: Der Weg vom Zusammenbruch zum Neustart auf der Schaffarm. Mehr im Artikel.
Sir Paul McCartney steht mit 83 Jahren wieder auf den großen Bühnen der USA. Seine aktuelle Tour wirkt wie ein Triumphzug durch die Jahrzehnte – ein Musiker, der sein Vermächtnis feiert, ohne in Nostalgie zu verfallen. Doch wer hätte Ende der 1960er Jahre gedacht, dass dieser Mann je wieder Freude an Musik oder gar am Leben finden würde?
Damals, 1969, war die Welt überzeugt, McCartney sei tot. Der Verschwörungsmythos „Paul is Dead“ machte in den USA Schlagzeilen: vermeintliche Botschaften auf Plattencovern, rückwärts gespielte Tonbänder, rätselhafte Symbolik auf Abbey Road. McCartney selbst – lebendig, aber am Boden zerstört – erfuhr davon eher beiläufig. „Ich war auf so viele Arten tot“, schreibt er heute fast schon amüsiert.
Diese Worte stammen aus seinem neuen Buch „Wings: The Story of a Band on the Run“, das kommende Woche in Großbritannien und eine Woche später in Deutschland erscheint. Es ist kein klassisches Rockstar-Memoir, sondern eine Reflexion über Verlust, Liebe und Neuanfang. Der „Guardian“ veröffentlichte vorab Auszüge daraus – und sie zeigen, wie tief McCartney 1969 fiel.
Der Zusammenbruch eines Beatle
„Ich war ein 27-jähriger Bald-Ex-Beatle“, erinnert sich Macca, „der in einem Meer aus rechtlichen und persönlichen Problemen unterzugehen drohte.“ Die Auflösung der Beatles, Streitigkeiten um das Management, kreative Spannungen mit John Lennon – all das traf den sonst so lebensfrohen Musiker mit voller Wucht.
„Ich brauchte einen kompletten Neuanfang“, schreibt er. Und dieser fand an einem unwahrscheinlichen Ort statt: auf einer abgelegenen Schaffarm in Schottland. Drei Jahre zuvor hatte McCartney sie auf Anraten seiner Buchhalter gekauft – ein Stück karges, windgepeitschtes Land, weit entfernt von Swinging London, Ruhm und Chaos.
Flucht aufs Land
„Rückblickend waren wir völlig unvorbereitet auf das Abenteuer“, sagt McCartney. Gemeinsam mit seiner Frau Linda zog er nach Kintyre, lernte, Zement zu mischen, Kartoffeln zu pflanzen – und Schafe zu scheren. Es war eine radikale Flucht aus der Welt der Popkultur in eine einfache, fast archaische Existenz.
Auch Linda McCartney, die 1998 verstorbene Fotografin und Musikerin, kommt in dem Buch zu Wort – in Form von Tagebuchzitaten und Interviews. Sie erinnert sich, wie ihr Mann eines Tages völlig verzweifelt sagte, sie müsse ihm „die Last von den Schultern nehmen“. Ihre spontane Antwort: „Welche Last? Ihr seid die Prinzen der Welt! Ihr seid die Beatles!“ Doch sie sah, dass der Ruhm keine Rettung war. McCartney trank, zog sich zurück, kämpfte mit Depressionen. „Man denkt bei den späten Beatles an Flower Power“, sagte Linda später, „aber diese Typen waren umgeben von Parasiten und Geiern.“
Neuanfang zwischen Schafen und Demos
Die Farm wurde ihr Zufluchtsort. Linda fotografierte, Paul bastelte an Songs – zunächst nur, um sich abzulenken. In den einfachen Tätigkeiten des Landlebens fand er Ruhe. „Schafschur als Therapie“, könnte man sagen.
Langsam kehrte die Kreativität zurück. McCartney nahm erste Demos auf, experimentierte mit einem Vierspurgerät in seiner Küche. 1970 veröffentlichte er schließlich „McCartney“, sein erstes Soloalbum – ein Werk, das viele Kritiker zunächst als roh und unfertig abtaten, das heute aber als frühes Beispiel des „Lo-Fi“-Pop gilt. Kurz darauf formte er mit Linda und Denny Laine die Band Wings, mit der er in den Siebzigern einige seiner größten Erfolge feierte: „Band on the Run“ (1973), „Venus and Mars“ (1975), „London Town“ (1978).
Rückblickend war die Zeit in Schottland kein Rückzug, sondern die Keimzelle eines neuen Lebensabschnitts.
Ein neuer Anfang
„Ich dachte lange, eines Tages würden ‚die Jungs‘ anrufen und sagen: ‚Zurück an die Arbeit!‘“, schreibt McCartney. „Aber das passierte nie. Also machte ich weiter – auf meine Weise.“
Heute wirkt McCartney entspannt, beinahe versöhnt mit der eigenen Vergangenheit. Der Mythos des „toten Paul“ ist nur noch eine Anekdote, seine Wiederauferstehung – musikalisch wie menschlich – jedoch real. „Ich habe damals gelernt, dass man selbst nach den größten Erfolgen noch einmal ganz von vorne anfangen kann“, sagt McCartney in einem aktuellen Interview. „Und dass das gar nichts Schlechtes ist.“
Info: „The Story of a Band on the Run“ erscheint am 10. November 2025 beim Verlag Allen Lane in Großbritannien und am 17. November bei C.H. Beck in Deutschland. Das Buch enthält zahlreiche bislang unveröffentlichte Fotos aus McCartneys privater Sammlung und beschreibt ausführlich die Entstehung der frühen Wings-Alben.