Schall und Wahn: Nachruf auf Phil Spector

Der größte und irrste aller Produzenten: Zum Tod von Phil Spector

Zu den Absonderlichkeiten des Phil Spector gehörte, dass er die einmal von ihm aufgenommenen Bänder nicht mehr hergab. Bei „Let It Be“ – zunächst „Get Back“ – von den Beatles verfügte er zu Paul McCartneys Unmut Streicher und Chöre bei diesen absichtlich schlicht gespielten Songs. McCartney konnte es nicht verhindern, denn John Lennon hatte sich mit Spector angefreundet, der von dem Manager Allen Klein engagiert worden war, seinerseits von Lennon protegiert. 1974 entführte Spector die Aufnahmen von „Rock’n’Roll“, Lennons Reminiszenz an die Songs seiner Jugend, die sie gemeinsam in Los Angeles produziert hatten – auf der dem späteren Album waren nur vier der Stücke; die anderen hatte Lennon noch einmal aufgenommen. Und bei „Death Of A Ladies‘ Man“ wurde Leonard Cohen 1977 aus dem Studio ausgeschlossen: Spector vollendete die Platte mit allem Bombast, zu dem er fähig war. Cohen hörte das Album erst, als alles fertig war.

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Phil Spector verstand sich als Produzent in jeder Bedeutung des Wortes. Am 26. Dezember 1939 als Harvey Phillip Spector in New York City geboren, gründete er 1958 die Teddy Bears. Schon die erste Single, „To Know Him Is To Love Him“, wurde ein Nummer-eins-Hit – der Titel war die Inschrift auf dem Grabstein von Spectors Vater. 1961 gründete er mit 21 Jahren Philles Records, produzierte die Crystals, die Ronettes und Ike und Tina Turner, arbeitet mit dem Songschreiber-Duo Ellie Greenwich und Jeff Barry, Lee Hazlewood und dem Arrangeur Jack Nitzsche, schrieb und produzierte „Be My Baby“ für die Ronettes und „Then He Kissed Me“ für die Crystals und nahm mit den Righteous Brothers „You’ve Lost That Lovin‘ Feeling“ und „Unchained Melody“ auf. Phil Spector war der „Tycoon of Teen“.

„Wall of Sound“

Seine „Wall of Sound“, der Hall, das Übereinanderschichten der Tonspuren und der schiere Pomp seiner Produktionen waren unverkennbar. Mit der „Wrecking Crew“, einem losen Verbund von Studiomusikern, verfügte er über die Instrumente, mit denen er sofort Aufnahmen machen konnte. Der Produzent als Alleinherrscher. 1966 nahm er mit Ike und Tina Turner „Rive Deep – Mountain High“ auf, seine beste Arbeit, wie er glaubte – doch der Song verfehlte die Wirkung in den USA (nicht aber in England).

Phil Spector heiratete 1967 Ronnie Bennett, die Sängerin der Ronettes (die sich 1972 wegen seelischer und physischer Gewalttaten von ihm scheiden ließ), zog sich angeblich aus dem Musikgeschäft zurück, erschien in einer Episode von „Bezaubernde Jeannie“ als Musikproduzent und in „Easy Rider“ als Drogendealer. 1969 war er wieder da und produzierte John Lennons Single „Instant Karma!“, dann „Let It Be“, John Lennons Alben „Plastic Ono Band“ und „Imagine“ und George Harrisons „All Things Must Pass“ (1971). Die Ähnlichkeit von „My Sweet Lord“ mit einem Song der Chiffons überhörte er, was Harrison eine Plagiatsklage einbrachte. Bei George Harrisons „Concert For Bangladesh“ war Spector 1971 der Toningenieur, der das Konzert auf Platte bannte. Bis Mitte der 70er-Jahre blieb er der Hausproduzent von Lennon wie Harrison und richtete 1975 Dions „Born To Be With You“ ein.

„Mug Shot “ von Phil Spector 2009, North Kern State Gefängnis in Delano, Kalifornien.

John Lennon und Leonard Cohen berichteten, dass der derangierte, betrunkene Spector im Studio mit Waffen auf Lampen schoss. Cohen hielt er einmal eine Pistole an den Kopf und sagte: „Ich liebe dich.“ Cohen sagte: „Das hoffe ich, Phil.“ Er überlebte, aber „Death Of A Ladies‘ Man“ wurde ein Desaster, von dem sich Cohen erholte – Spector nicht mehr. In David Mamets Film „Phil Spector“ spielt Al Pacino den erratischen Verrückten.

Der Disco-Sound, dem seine Aufnahmemethodik verwandt war, fand ohne Spector statt. 1980 produzierte er ausgerechnet „End Of The Century“ von den Ramones, einer Band, deren demonstrativer Dilettantismus bisher ohne Schimmer und Bombast ausgekommen war. Für Yoko Ono dirigierte er „Seasons Of Glass“, ihre Hommage an John Lennon. Im Jahr 2003 erschien – eine ironische Pointe – die Platte „Silence Is Easy“ der wenig bekannten britischen Band Starsailor, bei der Spector der Koproduzent war.

Am 3. Februar 2003 meldete Spectors Chauffeur sich von dessen Anwesen in Alhambra, Kalifornien, bei der Polizei: Spector hatte die Schauspielerin Lana Clarkson mit einem Revolverschuss in den Mund getötet. „I think I killed somebody“, sagte Spector angeblich; später bezeichnete er den Todesschuss als „accidental suicide“. Nachdem er 2007 zunächst freigesprochen wurde (ein Geschworener schloss sich dem Schuldspruch nicht an), wurde Phil Spector 2008 wegen Totschlags zu „19 Jahren bis lebenslänglich“ verurteilt. Er kam in ein kalifornisches Gefängnis. Dort, in Stockton, starb er gestern nach einer Covid-Erkrankung im Alter von 81 Jahren.

Handout Getty Images
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