Luc Bessons „Dracula“: Der neue Vampir, die alte Keynote
Luc Besson kehrt mit einem barocken, religiös-aufgeladenen „Dracula“ zurück – zwischen Camp, Gothic und düsterer Liebestragödie
Mina Harker ist keine feministische Figur. Gefangen im viktorianischen Frauenbild ist sie Gattin, moralische Stütze und reines, Männer inspirierendes Wesen. Eine einzige Regel bricht Mina. Sie verlässt ihren Verlobten Jonathan für einen hypersexuellen Dämon, der sie allein deshalb begehrt, weil sie ihn an eine frühere Liebe erinnert. Mina bleibt dem Schurken nach dessen Tod treu. Luc Bessons satirischer „Dracula“ folgt Bram Stokers in seiner Zeit gefangenen Roman, in dem eine Sklavin dem Blutsauger auf ewig gehorcht – Bessons Film-Untertitel lautet ausgerechnet „A Love Story“.
Zwischen Camp und Klassiker
In der Verkörperung Caleb Landry Jones‘ sieht der Vampir mal aus wie Gary Oldmans alte, faltige Weißmotte aus Coppolas „Dracula“ von 1992, dann, von Opferblut durchpumpt, wie ein Space-Freak aus Bessons „Fünftem Element“, für das Jean-Paul Gaultier die Kostüme entwarf. Besson ist ein Stilist der 80er- und 90er-Schule und legt seine Vogueing-Motive camp an. Dracula wird von Nonnen, die sich lüstern aufgetürmt haben, emporgehoben – ein Orgienbild wie bei Madonnas theatralisch-religiöser „Blond Ambition“-Tour, orchestriert von Gaultier.
Die Moderne interessiert Besson nicht, deshalb wirkt sein „Dracula“ neben den anderen beiden Vampir-Filmen des Jahres 2025, Ryan Cooglers Südstaaten-Rassismus-Drama „Sinners“ sowie Robert Eggers‘ „Nosferatu“, in dem eine weit kompetentere Mina den Vampir allein ausschaltet, geradezu formatiert.
Altmodische Treue zu Stoker
Wie eng an Stoker muss man bleiben? „Spider-Man“ macht es anders: Jede Spidey-Neuerzählung folgt inzwischen der Regel, nie wieder von Neuem den Mord an Onkel Ben zu schildern, weil diese Origin Story heute jeder kennt. Besson jedoch inszeniert (wie Eggers) noch die Transsilvanien-Reise Jonathan Harkers ins Dracula-Schloss samt verlegenem Mahl am Dracula-Esstisch, Schnitt in den Finger, Verwunderung ob des Kaufs einer ungesehenen Immobilie, „Hört ihr sie, die Kinder der Nacht?“-Key-Note und Flucht aus dem Fenster.
Dazu erdachte Sätze erkennt man an ihrer Schlichtheit: „Gottes Wege sind unergründlich“, „Ich werde das Gefühl nicht los, als wäre ich verkehrt in dieser Zeit“, „Sie werden lernen, was es heißt, einen Grafen zu wecken!“
Waltz gegen den Blutsauger
Dabei ist Bessons „Dracula“ im unerschlossenen Herzen ein religions- und zukunftskritischer Film („Gott und der Teufel sind dasselbe, zwei Kräfte, die sich bekämpfen“) und wird bis zum Untergang der Menschheit in spätestens 100 Jahren an Aktualität nicht verlieren. Als Van-Helsing-Figur kämpft Christoph Waltz gegen den Vampir. Wird man ihn irgendwann bitte synchronisieren?
Mit seinem zweiten Tarantino-Darsteller-Oscar vor 12 Jahren hat er das 10-Sekunden-Zwiegespräch perfektioniert, also innerhalb nur eines Satzes auf Drohungen Selbstironie folgen zu lassen. Waltz säuselt sich mit Schneekoppenstimme durch sämtliche Filme und spricht selbst im Angesicht gefährlichster Gegner wie James Bond noch immer so, als laufe er ausgebüxten Katzen hinterher. „Och, guck. Da wir haben ihn ja!“ ruft er Dracula entgegen.
Liebe, Opfer und Verdammnis
Für den Abgang des Vampirs hat Luc Besson eine Überraschung parat. Sie widmet sich der ewigen Frage, was man bereit ist, für Liebe zu tun. Ein selbstloser Dracula trifft eine Entscheidung. Hoffentlich aus eigenen Stücken und nicht, weil er Waltz zugehört hat – „Sie ist deine Erlösung – aber Du bist ihre Verdammnis!“.