Everything Is Recorded
„Temporary“ – Smoothe Trauer
XL/Beggars (VÖ: 28.2.)
Produzent Richard Russell bittet zum Stuhlkreis ins Studio.
Richard Russell hat sich als (Co-)Produzent von Gil Scott-Herons „I’m New Here“ (2010) und Bobby Womacks „The Bravest Man In The Universe“ (2012) einen Namen gemacht. Zudem kann er als Mitbetreiber des renommierten Labels XL Recordings auf ein riesiges Netzwerk zugreifen. Schon seine ersten beiden Alben unter dem Projektnamen Everything Is Recorded profitierten davon. „Temporary“ ist nun wiederum eine dieser Featuring-Orgien, die seit geraumer Zeit zum Einmaleins im Pop-Mainstream gehören. Und doch klingt das Werk nicht wie die typische Aktionärsversammlung von Superstars, sondern verblüffend homogen. Die textliche Klammer bilden Tod und Trauer, die musikalische vor allem Folk.
Die textliche Klammer bilden Tod und Trauer, die musikalische vor allem Folk
Russell liebt ungewöhnliche Konstellationen. In dem mit Vinyl-Knistern überzuckerten „My And Me“ geben sich unter anderem Sampha und Alabaster DePlume die Klinke in die Hand, verschmelzen Flöten und Soul-Chöre. Die andächtige Lagerfeuerballade „Porcupine Tattoo“ vereint Bill Callahan und Noah Cyrus, die Schwester von Miley. Beeindruckend auch „Firelight“, in dem Florence Welch eine Art Vaudeville-Tune anstimmt, das mit artistischer Leichtigkeit in einen Part des aus Trinidad stammenden Rappers Berwyn morpht. Dass „Temporary“ trotz aller Gegensätze kaum Ecken und Kanten aufweist, liegt in der Natur der Dinge. Produzenten erliegen ja häufig den Versuchungen des perfekten Sounds.
Wie viele solcher Talentmessen krankt auch „Temporary“ ein wenig daran, die Balance zwischen künstlerischem Anspruch und Markttauglichkeit halten zu wollen. Manches könnte zur Filialbeschallung einer Frühstückscafékette taugen. Erst gen Ende wagt Russell krassere Brüche – wenn er das somnambule „Swamp Dream #3“ mit einem Synthesizer-Gewitter beginnt und danach das smoothe „The Meadows“ mit R&B-Sängerin Roses Gabor und Kamasi Washington folgen lässt. Und wenn „Goodbye (Hell Of A Ride)“ von Akustikgitarre und dem spröden Timbre des US-Songschreibers Marcus Brown aka Nourished By Time getragen wird, sind gar keine klangtechnischen Raffinessen mehr vonnöten.
Diese Review erschien im Rolling Stone Magazin 3/25.