First Aid Kit

„Palomino“ – Jubel & Drama

Sony (VÖ: 4.11.)

Schwestern-Harmonie zwischen Umarmung und Überwältigung

Das Mitchell-Froom-Credo, dass große Popmusik oft von einem Ort der Bescheidenheit komme, doch stets die ganze Welt umarmen möchte, scheint auf, wenn Johanna und Klara Söderberg zu Protokoll geben, sie hätten mit „Angel“ einen „großen Song“ machen wollen, der „gleichzeitig sehr verletzlich sein sollte“. Doch sowohl diesem Stück als auch „Out Of My Head“, dem Lead-Track des fünften First-Aid-Kit-Albums, ist der Wille auf dem Weg zu sehr eingeschrieben. Umarmen heißt nicht überwältigen.

Streicher willkommen! Bläser ebenso.

Weshalb der echte Reiz von „Palomino“ eher in den Songs liegt, die das nicht so unbedingt wollen und es gerade deshalb tun. Andererseits, wer ließe sich nicht doch gern von diesen Sister-Harmonies überwältigen, auch in der jubilierenden Fluchtparole „Ready To Run“? Hinter der Ekstase warten Stücke wie „Turning Onto You“, das uns samt George-Harrison-Gedächtnisgitarre in die weich gebettete Uh‑huh-Wunderwelt des Frühsiebzigerradios entführt.

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Wie „Fallen Snow“, das einen irischen Folk-Vibe mit Stehaufmännchen-Pop verwebt und wie nebenbei mit dem Wissen aufwartet, dass Liebe nur aus Erkenntnis hinter der Projektion wächst: „When you think I’m not watching, I can see the bleakness in your smile.“ Daran anknüpfend das melodramatisch wogende „Nobody Knows Me“ oder die trotzige Liebeshoffnung „The Last One“ im Cinemascope-Format. Streicher willkommen! Bläser ebenso. Dosierung und Dramaturgie stimmen meist.

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Dann ist da noch „Wild Horses II“, eine zart-verwunderte Beziehungsnachlese: „How can a lifetime fade in an hour?“ Natürlich eine Hommage, sogar mit Originalzitat: „We played ‚Wild Horses‘ on the car stereo, you know I can’t let you slide through my hands, you prefer the Rolling Stones, and I like …“ Rants? Oder doch „Ram“? Ist nicht genau herauszuhören, passen würde beides. Nach ihren Ausflügen in die große, weite Americana-Welt (Mike Mogis, Tucker Martine) haben First Aid Kit erstmals seit dem Debüt von 2010 mit Daniel Bengtson wieder in Schweden produziert. Wo also auch das Gute weiter wächst, nicht nur die Schwedendemokraten. Tröstlich.