Haim

„I Quit“ – Große Freiheit, kalte Schulter

Universal (VÖ: 20.6.)

Die Haim-Schwestern verstehen sich auf lebensnahe Emotionsdialektik – und spielen ihren Stilwillen aus.

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Hier zur Abwechslung endlich mal: loud quitting! Die Schwestern Haim – Danielle, Alana, Este – bekunden im Konzertvideo, das ihr Album ankündigt, sich lossagen zu wollen von ein paar üblichen Verdächtigen (Angst, Scham, Grübeln, Nähephobie, Nikotin etc.) und ein paar schlechten „Fucking“-Angewohnheiten („around“, „everything“, „you“, in dieser Reihenfolge). Der erste Song ihrer vierten LP kann da nur „Gone“ betitelt sein. Und proklamiert gleich mal die große Freiheit, ca. Nr. 253. „I fuck of whenever I want, I’ll be whatever I need“, heißt es da, derweil ein sehr naheliegender George-Michael-Klassiker via Sample grüßt. Doch postwendend wird schon „I want you all over me“ gefehlt. Wie nennt man das? Sagen wir: Emotionsdialektik.

Nicht lossagen mochte sich das Trio von seinem Co-Autor/Produzenten. Warum auch? Schließlich hatte Rostam Batmanglij (Ex-Vampire-Weekend) 2020 wesentlich dazu beigetragen, Haim aus vertrauter Bahn zu werfen und so aus „Women In Music Pt. III“ diese zuweilen fast zu pralle Genre-Wundertüte zu machen. Wer es schaft, ein altes Blodwyn-Pig-Saxmotiv mit einem fast so alten Lou-Reed-Evergreen für ein „Summer Girl“ zu verheiraten, darf gern wiederkommen. Hier nun bricht Batmanglij die Classic-Rock-Referenzen in „Gone“ oder „Blood On The Street“ mit trashig-nervösen Drum-Sounds, zieht für „Relationships“ oder später – weniger zwingend – „Spinning“ aber auch genauso lässig modern R&B-Register.

Hier zur Abwechslung endlich mal: loud quitting

Als kommende Single empfiehlt sich unbedingt „Love You Right“ mit der schönen, lebensnahen Botschaft: „You piss on the lawn, it’s nothing at all (…) I’ll still forgive you.“ In den atemlosen Überflieger „Take Me Back“ darf sich eine Dylan-Harp reinmogeln, „The Farm“ versinkt in all seiner „Wild Horses“-Anmutung adäquat hinter einem Mellotron-Schleier, das zarte „Try To Feel My Pain“ bekommt späte Bläser-Tupfer spendiert.

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Apropos Pain. Die Offenheit, mit der Haim auf „Women In Music Pt. III“ Depressionen, Diagnosen, Misogynie verhandelten, war mittelbar schon auch für manch mediokres „Auf der Couch“-Werk verantwortlich, das den Ton danach nicht annähernd so gut traf. Ihre Antwort darauf ist jetzt das selbstbewusste „Everybody’s Trying To Figure Me Out“ mit dem ultimativen Trostpflaster „You think you’re gonna die, but you’re not gonna die“. Aber auch „Down To Be Wrong“. Da singt Danielle Haim cool as, äh, fuck: „You’re the greatest pretender, so just keep pretending.“ So charmant kann eine kalte Schulter sein.

Was war noch gleich der Schlusspunkt auf der eingangs erwähnten Vorsatzliste? Genau: „I quit wondering if someone will save me.“ Davor, dass diese Platte einen Tick zu lang ist, hat Haim niemand bewahrt. Zwischendurch hängt „I Quit“ kurz durch, verschluckt sich ein bisschen an großem Stilwillen. Womöglich interessiert das heute auch nicht mehr. 15 Songs sind jedenfalls, sagen wir, zwei zu viel. Vielleicht ein Thema für ihre nächste „I Quit“-Liste? Unfehlbarkeit reklamiert ja selbst der Papst nicht mehr wirklich für sich.

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Diese Review erschien zuerst im Rolling Stone Magazin 7/2025.