Jazz von Klaus von Seckendorff

Die Besetzung: ein „Who’s Who der unverkniffenen Avantgarde New Yorks von Mark Feldman (viol) über Chris Speed (ts und hier häufig cl) bis zu Marty Ehrlich (ts, ss, fl), Michael Formanek (b) und Gerry Hemingway (d), die schon auf der ersten Enja-CD des Akustik-Gitarristen JAMES EMERY zu hören waren. Der wurde vor allem als Mitglied des String Trio Of New York bekannt und kann nun nach 20 Jahren der klangfarbenbeschränkten Strenge so richtig in die Vollen gehen – inklusive Marimba, Vibraphon und Percussion (Kevin Norton). „Spectral Domains“ ist eine über weite Strecken abstraktfreie Exkursion in Grenzbereiche zwischen Ausgeschriebenem und Spontaneität, aber es dominieren die farbigen Arrangements, die rhythmische Dynamik, der von keinen Dogmen gehemmte Spaß von sieben Vollblutmusikern am Fortföhren dessen, was Charles Mingus in den fifties und Sixties gelungen ist. 4,0

Daß ABBEY LINCOLN stets vor allem wie Abbey Lincoln klingt, droht für sie gelegentlich zum Problem zu werden. Nicht so bei „Wholly Earth“ (Verve). Mit dem Vibraphonisten Bobby Hutcherson hat die letzte Überlebende unter den großen Jazz-Divas einen Glücksgriff getan. Ihre häufig afro- oder latingefarbten Songs wirken so percussiv und doch entspannt, wie vor allem Mallet-Instrumente zu klingen vermögen (Hutcherson spielt auch Marimba). Einerseits bleibt der Zorn der kämpferischen Gutmenschin mit dem Künstlernamen Lincoln spürbar; andererseits bewahrt sie mit bewährten Weggefahrten wie Marc Cary (p) und Michael Bowie (b) das Geheimnis ihrer atmosphärestarken Kompositionen. 4,0

Versteckt sich ein altbackenes Fusion-Konzept hinter den Extravaganzen von „Thick“(ESC Records/EFA), dem neuen Opus der Band des Supergitarristen Scott Henderson? Ja und nein. Ziemlich dick aufgetragen wirkt zuweilen die Power all der „Heavy Metal goes Jazz“-Soli. Aber TRIBAL TECH sorgt immer wieder für aberwitzige Details, die allen starren Jazzrock-Konzepten um Meilen voraus sind. Da ist zum Beispiel das durchgeknallt saharaflötige Intro zu „Party At Kinseys“ (Scott Kinsey versucht als Keyboarder tapfer, die Stellung im Quartett zu halten) oder der nicht minder schräge „Clinic Troll“. Kurz und gut: Tribal Tech haben den Ruf des Fusion-Jazz einmal mehr retten können – und das ist in den Spätneunzigern allemal eine respektable Leistung. 3,5

Die YELLOWJACKETS kriegen keinen Fuß auf jazzpuristischen Boden: zu eingängig, zu offen für Pop, Gospel oder gar Country – und nun gar noch Gesang von Brenda Russell oder Jonathan Butler, ziemlich schmalzigglatt. Kurt Elling hat gleich zwei tolle Gastauftritte im „Club Nocturne“ (WEA). „Up From New Orleans“ von Saxophonist Bob Mintzer swingt prächtig. Aber dann folgen schöne „Evening News“: sehr funky und doch wunderbar locker dahintänzelnd, da muß der Jazz-Polizist verächtlich auf die gelbe Jacke deuten, die unterm seriösen Jazz-Sakko hervorspitzt. Jawohl ja, ertappt: Mainstream-Fusion, bäh! Schon bemerkt, daß der gnadenlose Entlarver bei aller Zufriedenheit seltsam freudlos wirkt? 3,0

Wieso gilt CHRISTOF LAUER als wenig hip? Seit Jahren arbeitet der Saxophonist mit dem Bassisten Anthony Cox zusammen. Aber irgendwie wird er den Ruf des Soliddeutschen nicht los (Pastorensohn! Jazz-Akademie! Rundfunk-Ensembles! Nicht anfällig für Moden!). Schon die Besetzung von „jfiugjfe Network“ (AL’l) spricht gegen solche Klischees: der sperrige Avantgarde-Gitarristist Marc Ducret, dem Jazz kaum näherstehend als dem Rock; die aberwitzige Tuba des Franzosen Michel; ein No-Nonsense-Drummer wie Gene Jackson. Hier entsteht ein bei aller Sensibilität eigenwillig rauher Stoff, der mehr mit Bill Frisells heftigen Zeiten zu tun hat als mit bravem deutschen Jazz. 3,5

Congas und Swing? Meist problematisch. Das dänische BENJAMIN KOPPEL QUARTET setzt statt auf Schlagzeug auf den Percussionisten Jacob Andersen und flüchtet sich dennoch nicht ständig in Latin-Rhythmen – die ihm übrigens bestens liegen, wie der Titeltrack von „Armadillo Race“ (Sundance/sunny tnoon) beweist Der Enkel eines „major Danish composer“ weiß außerdem bei Balladen die Subtilität zu wahren. 3,5

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