Kamasi Washington

Heaven And Earth

Young Turks/XL/Beggars

Der hypermoderne Jazz des US-Saxo­fonisten kümmert sich um die politische Wirklichkeit und das spirituelle Wohl. Erhebender Größenwahn!

Die Puristen werden wieder seufzen: Kamasi Washington haut auch mit diesem zweiten vollen Album seit dem spektakulären „The Epic“ von 2015 Musik raus, die sich aus einem prallen Jetzt in die Tiefen eines 50 Jahre alten spirituellen Jazz stürzt und sich rauschhaft darin suhlt. Die Popwelt umarmte den damals 34-jährigen Saxofonisten aus Los Angeles samt den 50 Leuten in Orchester und Chor sowie dem sauberen Dutzend Virtuosen seiner eigenen Band.

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Die Jazzszene hingegen witterte ­Hype und erneuerte gleich noch den Urverdacht gegen die vermeintlich coole und glatte Szene der Hollywood-­Westcoast. Wie zum Beweis sind Washingtons Mitmusiker, die sich seit ihrer Jugend regelmäßig zu höchst populären Sessions in einem Gemeinde­zentrum in ihrem Viertel treffen, derart hirnbockelnd vielseitig, dass sie problemlos bei Großjazzern wie Wayne Shorter und Herbie Hancock, bei HipHoppern wie Snoop Dogg oder gar bei Suicidal Tendencies mittun. Mittlerweile sind die meisten selbst erfolgreiche Solisten: Bassist Thundercat, Keyboarder Cameron Graves oder auch Terrace Martin, der die ganze Truppe auf „To Pimp A Butterfly“, das Megaalbum des Rappers Kendrick Lamar, geholt hatte.

Wirklichkeit und spirituelles Wohl

Aus dieser Sphäre holt umgekehrt Washington etwas politische Brisanz in den Jazz zurück. Der eine Teil des 150-­Minüters, „Earth“, dreht sich, sagt er, um die äußere Wirklichkeit mit ihren choralen „Fists Of Fury“ und eine gebrochene, energische „Invincible Youth“. Der zweite, „Heaven“, kümmert sich um das spirituelle Wohl, erzählt von „Space Travelers“ auf einer „Journey“ und bittet den Herrn: „Show Us The Way.“

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Selbstverständlicher noch als auf „The Epic“ (und der schicken EP „Harmony Of Difference“ aus dem letzten Jahr) verbindet und verschmilzt er hier auf vielen Ebenen ästhetische und soziale Motive der afro­amerikanischen Musik. Oft nutzt er dazu afro­kubanische Grooves, aber genauso selbstverständlich hört man HipHop-­Beats, Funk-Gurgeln und Soulstimmen, die Chöre bea­men durch die Tracks, als hätte Sun Ra sie auf der Enter­prise arrangiert, und es gniedeln und quäken rätselhaft lüstern bearbeitete Fusion-Keyboards und -Bässe.

Natürlich schwingt in seinem Saxofon noch der ­erhebende Ton eines Pharoah Sanders oder John Coltrane, der astrale Souljazz eines Lonnie Liston Smith swingt, und es klingt auch ein bisschen wie irgendwas zwischen „Raum­patrouille“ und „Aquarius“. Man hört aber vor allem und vom ersten Ton an Kamasi Washington, der eine seltsam vitale, hyper­moderne Version des Jazz, wie man ihn mal kannte, spielt. Ja, er will vielleicht zu viel. Aber den leichten Größenwahn darf er sich gönnen.

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