„Near Dark“: Ein Neowestern, in dem die Monster wie Menschen aussehen

Blut als Treibstoff für sich und Öl als Treibstoff für ihr Auto – ein neuartiger Western prägte das Vampir-Genre in den späten 1980er-Jahren.

Mitte der 80er-Jahre gab es einige Versuche, das Vampir-Genre neu aufzustellen. Blutsauger aus dem All („Lifeforce“) und als Brat Pack („The Lost Boys“) sollten den höflichen transsilvanischen Grafen Dracula, der seit dem späten 19. Jahrhundert unter uns wandelt, vergessen machen. „Near Dark“ von 1987 zeigte die Untoten als Outlaws in Cowboystiefeln, die im Wohnmobil durch amerikanische Wüsten reisen und häufiger den Revolver ziehen, als dass sie zubeißen. Das Wort „Vampir“ fällt kein einziges Mal, niemand klammert sich an ein Kruzifix oder schnitzt Holzpflöcke. Wahrscheinlich ist „Near Dark“ auch der erste Vampirfilm ohne einen einzigen spitzen Eckzahn. Ein Neowestern, in dem die Monster wie Menschen aussehen.

Für ihr Regiedebüt vertraute Kathryn Bigelow auf das gefeierte Schauspielensemble aus „Aliens“, dem Film ihres Bald- Ehemanns James Cameron, und besetzte Lance Henriksen, Jenette Goldstein und Bill Paxton als lebensmüde bis psychopathische Vampire, die von Motel zu Motel hetzen, um tagsüber der Gluthitze zu entkommen, und abends in Bars randalieren. Sie saugen ihre Opfer vor Erdölbohrern aus, sie brauchen Blut als Treibstoff für sich und Öl als Treibstoff für ihr Auto. Einer von ihnen rülpst beim Blutsaufen sogar, aber mit Caleb (Adrian Pasdar) haben sie einen Neuvampir dabei, der entsetzlichen Durst hat und dennoch nicht töten will. Enthaltsamkeit und Begehren, Askese und (Konsum-) Rausch – „Near Dark“ transzendiert die Themen, die das Kino der Ronald-Reagan-Jahre auszeichnen.

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Damalige Rezipienten erkannten selten, dass Bigelow auch ein Statement gegen toxische Männlichkeit setzt. Bevor Cowboy Caleb gebissen und zum Vampir wird, geriert er sich als Pick-up-Artist, der Frauen tatsächlich mit dem Lasso einfängt und sie erst aus seinem Auto entlässt, wenn sie sexuelle Gefälligkeiten anbieten. Es sind erst die Vampire, die ihn zu einem echten Mann machen. Nur wer weiß, dass man buchstäblich jeden Tag sterben kann, ist erwachsen. (Filmjuwelen)