Short Cuts :: VON JOACHIM HENTSCHEL

Ikara Colt – Chat And Business (FANTASTIC PLASTIC/SANCTUARY)

Die Bösesten tragen keine Lederjacken, sondern Anzüge: Reservoir Dogs, Ocean’s Eleven, die Neo-Garagenbands Strokes, Hives und aus London Ikara Colt, die klingen, ab ob jemand die anderen zwei Bands mit Feuerzeugbenzin übergössen und angesteckt habe. Die Gitarren hedonistisch und dissonant wie früher bei Sonic Youth, Sänger Paul Resende in dem Ton, der erst Vertrauen erweckt, dann Furcht, aber nie Spaß. Mit der spätsiebziger New Wave teilen Ikara Colt nur die Erkenntnis, dass der beste Punk aus den Kunstschulen kommt. 4,0

Ansel Collins – Jamaican Gold (MOLL-SELEKTA/EFA)

Wenn Sie nur zwei Reggae-Platten haben, ist auf einer davon ganz sicher Ansei Collins mit seiner Orgel dabei (auf der anderen ist Jackie Mittoo). Der Booker T. des Roots Reggae und Lovers Rock hat in Jamaica den Status einer festen Installation, spielte für Jimmy Cliff, Culture, Black Uhuru, Max Romeo, sogar für den Poseur Gainsbourg. 1979 nahm er die eigenen Riddims mit Sly& Robbie auf, hier sind sie in allen Versionen und Schattierungen, als Dub, mit Fremdsängern. Vorne am Mikro macht Collins unter anderem aus „I Wanna Love Again“ einen schlüpfrigen Höhepunkt: Mit den Chormädchen schäkert er bis weit in den Fade-Out hinein. 3,5

35007 – Liquid (STICKMAN)

Wie lange kann man einen einzigen Akkord ausbrüten, bis der sinnlosen Tätigkeit das Sinnhafte entschlüpft? Im Geist von Godspeed und Mogwai testen das 35007 (umgedreht: LOOSE) aus Holland und brechen nach den vier gewaltigen Stücken ihrer 38-minütigen Wassermusik ab, ohne zwitscherndes Ergebnis. Black-Sabbath-Riffs, Gitarren-Improvisation und Gezischel in mittlerem Tempo, aber niemand steigt herab und küsst sie. 2,0

Redondo Beat – Les Enfants Garagesques (cargo)

Es war einmal eine hohlwangige, stilettscharfe Beatband aus Heidelberg namens Mucus2, und Redondo Beat war ihr Schlagzeuger. Er ist jetzt eine Garage weiter, als Sänger und Gitarrist der eigenen Gruppe, die so spielt, wie sich topfhaarige US-Psychedeliker in den sechziger Jahren Rhythm & Blues vorgestellt haben. Ganz ohne Orgel, fast ohne Song-Ideen, aber zielstrebig. 2,5

Piano Magic – Writers Without Homes (4AD/CONNECTED)

Es sei ein „Projekt“, was der Brite Glen Johnson seit vielen Jahren mit vielen Halb-Prominenten unter dem Namen Piano Magic betreibt, es klingt aber wie eine feste Behausung, auf die unaufhörlich Regen fallt. Etwas mit dunklen Teppichen und Albtraum-Zimmern. Einer sitzt am FlügeL jemand spielt Geige, traurige Gestalten singen dazu, so gut kann 4AD-Ambient-Pop sein, wenn er um Himmels Willen mal konkret wird. Und dann hat Johnson noch für ein Stück die apokryphe Sixties-Blumenfrau Vashti Bunyan aus dem Sommerhäuschen gelockt Ein herbstlicher Spaß. 4,0

besser – bi (TAPETE/INDIGO)

Komischerweise gibt es für diese Art Indiepop-Singer/Songwriterei fast nur deutsche Beispiele (Kante, Flowerpornoes, Blumfeld)- klare,flirtende Gitarren, Besenschlagzeug, Gesang wie ein Bekenntnis. Ein kleines Trio, einige große Momente. 3,0

Coheed And Cambria – The Second Stage Turbine Blade (DEFIANCE/ZOMBA)

Wenn sich Power-Pop konfliktfähig gibt, wenn dünne Burschen eine entmystifizierte Version von Heavy Metal spielen, heißt das Emocore, wird in unglaublichen, spezialisierten Plattenläden verkauft und von der Band Coheed And Cambria aus New York mit soviel Detailfreude und Purismus kultiviert, wie andere Leute komische Hasenrassen züchten. Alle Gitarren-Riffs, die man brauchen könnte. 3,0

Alec Empire – Intelligence And Sacrifice (DIGITAL HARDECORE/ZOMBA)

So beschränkt wie Scooter ist Alec Empire allemal: ein bellender Animateur mit vorgetäuschtem revolutionären Sachverstand, Industrial als Headbanger-Wichsvorlage und sonst nichts. Der Novelty-Wert der Atari Teenage Riot-Platten ist vergoren, und wenn er auf der zweiten CD des Doppel-Sets nicht ein paar ganz großartige Instrumentals hätte, wäre dies ein pures Ärgernis. 1,5

Mary Timony – The Golden Dove (matador/zomba)

Zweite Solo-Platte der ehemaligen Helium-Sängerin: reich instrumentierte Mittelalter-Märchen, teils mystisch und manieriert, teils mit der Unschuld einer jungen Hofdame gesungen und daher bezaubernd. 3,0

Kajak – Haus der Jugend (DIAN/ZOMBA)

Die Krise der Lebensmitte beginnt gemeinhin mit Ende zwanzig, und für die Betroffenen ist es immer gut, wenn vernünftige Pop-Platten zu dem Thema erscheinen. „Mit den Housemartins im Walkman, und Sexhaben bei ‚It’s Only Natural‘ von Crowded House“, singt das Hamburger Duo Kajak nostalgisch, sonst geht es mehr um Gegenwart, um den social impact des Ausgewachsenseins. Der Duktus erinnert an Die Sterne, musikalisch sind die Klangfarben aus dem Gedächtnis (Police, Stereolab, Indie-Rock) gut gewichtet. 3,5

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