Myroslav Slaboshpytskiy :: The Tribe
Ein stummes Drama über eine Gruppe ukrainische Jugendliche, die allesamt gehörlos sind - brachial, konsequent und epochal inszeniert
Zugegeben, als kurze Zusammenfassung klingt es wie eine Parodie eines Arthouse-Films: Ein ukrainisches Drama in Gebärdensprache über eine gewaltbereite Clique taubstummer Jugendlicher. Doch „The Tribe“ gehört zum Konsequentesten, was seit langer Zeit auf der Leinwand zu sehen war. Der Film erzählt die Geschichte des gehörlosen Sergey, der auf ein Internat für Taubstumme kommt. Dort regiert eine brutale Jungsgang, die sich mit Schmuggel, Diebstählen und Zuhälterei die Zeit vertreibt. Sergey muss sich Respekt verschaffen und findet bald seinen Platz in der Heim-Hackordnung. Doch als er sich in Anna verliebt, laufen die Dinge aus dem Ruder.
Das Geschehen scheint einem dank „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ und „Die Halbstarken“ im groben Muster ziemlich vertraut. Und dennoch erzählt Regisseur Slaboshpytskiy die Geschichte des Teenagers auf Abwegen mit einem neuen, radikalen Ansatz, nämlich komplett in Gebärdensprache. Ohne Untertitel oder Voice-over. Seine Darsteller sind dabei allesamt Laiendarsteller und gehörlos. Und so ist „The Tribe“ nicht nur ein stummer Film, sondern auch eine Hommage an den Stummfilm geworden. Doch „The Tribe“ ist weit entfernt von einer sentimentalen Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“ des Kinos, wie etwa „The Artist“ sie verströmte, vielmehr dominiert hier die brachiale soziale Härte. Die Bausubstanz des Schulgebäudes ist genauso verkommen wie die Moral des Personals, die Schüler sind verloren in einem Kosmos aus Gewalt und Kriminalität, ihre Taten getrieben von gnadenloser Selbstübersch.tzung und Perspektivlosigkeit. Slaboshpytskiy ist immer bemüht, möglichst drastische Bilder für Sergeys Abstieg zu fi nden. Diese Mischung aus Larry Clark und Michael Haneke geht dabei leider nicht immer auf. Manchmal ist die gedehnte Langsamkeit der Narration dieses 132-minütigen Epos auch ein wenig ermüdend. Doch bei allen Schwächen hat „The Tribe“ eine Qualität, die dem heutigen Kino so oft abgeht: den Mut, Dinge mal anders zu erzählen.