Turbostaat
„Alter Zorn“
PIAS (VÖ: 17.1.)
Norddeutscher Post-Punk auf Jubiläumsfahrt.
Seit einem Vierteljahrhundert stehen Turbostaat nun für Undergroundrock norddeutscher Prägung wie ein rot-weiß geringelter Leuchtturm. Zwar ist ihr aktuelles Video zu „Jedermannsend“ in den tristen Ecken von Berlin-Kreuzberg gedreht, der Wirkungsstätte ihres Produzenten Moses Schneider, und auch die Band selbst ist ausgeschwärmt. Doch im Husum oder Flensburg ihrer Frühzeit haben sie einen ureigenen Stil geschaffen: knochentrockene, teils turboschnelle Gitarrenmusik und düster-dystopische Texte mit abenteuerlichen Wortwendungen.
Turbostaat wollen nicht in der Unendlichkeit des Möglichen fischen – sie machen aus der Auswahl ihrer Mittel das Beste
Auf ihrem achten Studioalbum rückt der direkte Bezug zur Küste in den Hintergrund. Es bleiben zwar Dialekt-Titelzeilen wie „Dem annern sin Uhl“. Ihre schroff beobachtende Perspektive voller Weltschmerz ist aber in namenlose Metropolen voller Mülltonnen, Scherben und „greller Sommerkotze“ gewechselt. Ihre maritime Knorrigkeit geht auf große Fahrt – wobei das Texter-Sänger-Team Jan Windmeier/Martin Ebsen der kaputten Eleganz den typischen lyrischen Swing verpasst. „Scheißauge“ etwa ist eine Meditation über „fünfzig Wörter für grau“ und „den Stillstand in ihrem Gesicht“. Es gibt abenteuerliche Tempo-Breaks wie in „Nachtschimmel“ oder das lieblich beginnende und böse endende „Isolationen“. Der finale Titeltrack schafft Bilder wie aus einem Science-Fiction-Film, wenn Gedanken verschwinden und die Vögel in der Luft erstarren, bevor es noch einen allerletzten Blick aufs Meer gibt.
Musikalisch bleibt bemerkenswert, wie die 1999 gegründete Band den Sound von 1977 bis 1979 mit großer Werktreue und Präzision weiterpflegt. Was im Vorfeld des Post-Punk einst bei Wire oder Gang Of Four entwickelt worden ist, geht hier auf Langstrecke. Zickig und eigenwillig interpretiert, ohne zur Nostalgie-Revue zu werden. In der Kunst hat das Schlagwort „sich treu bleiben“ oft genug eine zweifelhafte Qualität. Turbostaat wollen nicht in der Unendlichkeit des Möglichen fischen – sie machen aus der Auswahl ihrer Mittel das Beste.
Diese Review erschien im Rolling Stone Magazin 1/25.