Rewind Today 1998: ‚Lola rennt‘ kommt in die Kinos

Sie hatte rote Haare, drei verschiedene Möglichkeiten ihr Ziel zu erreichen – und machte die Beteiligten zu Stars. "Lola" und ihre Darstellerin Franka Potente sowie Regisseur Tom Tykwer. Vor 15 Jahren startete "Lola rennt" in den deutschen Kinos.

Stimmt schon, der amerikanische Titel „Run Lola Run“, mit dem der Film auch in den USA für Aufsehen sorgte, ist sogar noch etwas schöner. Egal: Es gibt es nur wenige deutsche Werke, die in den letzten 15 Jahren von Kritik und Publikum so geliebt wurden, wie Tom Tykwers „Lola rennt“.

Es ist nicht die Handlung des Films, die ihn so berühmt machte. Freund lässt Tüte mit Bargeld in U-Bahn liegen, Lola rennt durch die Stadt um Geld zu beschaffen – das ist eine einfache Story. Raffinierter war die Struktur des 80-Minüters, weil er dem Schmetterlingseffekt folgt. In drei jeweils 20-minütigen Episoden werden unterschiedliche Ausgänge von Lolas Bemühungen gezeigt, immer wieder verschieben sich Nuancen. Mal prallt sie mit Passanten zusammen, mal nicht; deshalb schafft sie es einmal auch in einen Rettungswagen. Dann wiederum spielt die Fensterscheibe, die, einem schlechten Hallervorden-Sketch gleich, ganz vorsichtig von zwei Monteuren über die Straße getragen wird, eine größere, später eine unbedeutendere Rolle. Während aus dem Off Dinah Washingtons Version von „What a Diff’rence a Day Makes“ ertönt, stellt man sich die Frage, ob es nicht doch Zufälle sind, die das Leben bestimmen. Keine Schicksale.

Jedenfalls kein Zufall ist, dass Franka Potente in ihrer Sportmontur und den roten Haaren wie eine Cartoonfigur stilisiert wurde (was sie hierzulande zu einem Filmcharakter mit höchstem Wiedererkennungswert machte). In den Realfilm wurden vielmehr Zeichentrickszenen montiert, die heute vielleicht etwas bieder wirken, zumindest aber das aufgekratzte Tempo der Handlung, den Irrsinn, angemessen überhöhen. Überhaupt hat Regisseur Tykwer es als einer der ersten einheimischen Regisseure gewagt, markante Handlungsorte Berlins aneinander zu reihen, ohne dabei auf Glaubwürdigkeit zu achten – denn wer schafft es zu Fuß vom Gendarmenmarkt über die Oberbaumbrücke bis nach Friedrichshain in weniger als 15 Minuten? „Lola Rennt“ ist eben auch ein schönes Märchen, und das Berlin der Spätneunziger sah immer noch gut genug aus, um als charmant durchzugehen. Heute wäre ja bei Lolas Spurt über die Oberbaumbrücke im Hintergrund die Mehrzweckhalle am Ostbahnhof zu sehen.

„Lola Rennt“ erhielt 1999 den Deutschen Filmpreis als „Bester Film“, beim kalifornischen Sundance-Festival den Publikumspreis als „Bester ausländischer Film“. Die Nebendarsteller brillieren. Herbert Knaup, der Lolas unsympathischen Banker-Vater spielt, oder Armin Rhode als kurzatmiger Sicherheitsbeamter wurden endlich einem größeren Publikum bekannt. Moritz Bleibtreu als Freund Manni zementierte nach „Lola Rennt“ seine Rolle als Proll-Charmeur (in US-Produktionen wie „Munich“ oder „World War Z“ stutzte man ihn jedoch auf die Rolle eines panischen Deutschen zurecht).

Nicht für alle Beteiligten aber gingen die Karrieren gut weiter. Wenig Glück hatte Hauptdarstellerin Franka Potente. Nach „Nach Fünf Im Urwald“ (1995) war die damals 21-Jährige eine gefragte Nachwuchsschauspielerin, mit „Lola Rennt“ schien sie, mit gerade mal 24 Jahren, bereits in der obersten Liga angekommen zu sein. Jeder ihrer Filme danach war jedoch schlechter. Auf Slasher-Trash aus Deutschland („Anatomie“, 2001) folgten US-Rollen, in denen sie entweder nebensächlich war („Blow“ mit Johnny Depp) oder früh stirbt („Die Bourne-Verschwörung“, 2004). Ihr letzter ernsthafter Versuch, im Filmgeschäft auf sich aufmerksam zu machen, war das eigene Regiedebüt, und das war an gewollter Exzentrik schwer zu überbieten. Der Streifen mit dem komplizierten Namen „Der die Tollkirsche ausgräbt“ (!) war – ganz schön unorthodox – mit einer Länge von 43 Minuten (!!) weder Kurz- noch Langfilm, wurde in Schwarzweiß (!!!) gedreht und hatte eine nahezu stumme (!!!!) Tonspur. Womit ja alle vier !!!!-Kriterien für einen „Besonderen Film“ erfüllt wären.

Regisseur Tom Tykwer besetzte auch für sein Nachfolgeprojekt „Der Krieger und die Kaiserin“ (2000) seine damalige Lebensgefährtin Potente in der Hauptrolle. Die ebenso märchenhafte Erzählung des Films, in dem der Tod erneut eine Option für das Handlungsende darstellt, führte hier am Schluss jedoch nur zu Verwirrung. Ebenfalls hinter den Erwartungen zurück blieb Tykwers Euro-Großproduktion von „Das Parfüm“ (2006), die lange in der Produktionsphase des Development Hell schwirrte, und die der mittlerweile verstorbene Finanzier Bernd Eichinger angeblich einst Steven Spielberg vor der Nase wegschnappte. Tykwers jüngste, nicht minder glücklose Arbeit „Cloud Atlas“ (2012), eine als Gemeinschaftsregie mit den Wachowski-Geschwistern gestemmte Verfilmung der phantastischen Geschichte von David Mitchell, wurde von der Vielzahl der Kritiker immerhin dafür gelobt, dass der Mammutroman so gut wie unverfilmbar sei – was einem „stets bemüht gewesen“ gleich kommt. Am auffallendsten waren darin die Halloween-Masken von Tom Hanks und Halle Berry.

„Lola Rennt“ ist jetzt 15 Jahre alt, der Film wird womöglich Potentes und Tykwers Messlatte bleiben. Damit müssten beide aber auch gut leben können.

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