Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys live: La Dolce Vita in Marzahn
Zwischen Italo-Schlager-Pathos, Polonaisen und Aperol: italienisches Lebensgefühl in Berlin.

Die Arena der Gärten der Welt in Marzahn riecht nach Sonnencreme, Aperol und Festivalbier. Der Himmel hängt flach und bleich über den Köpfen des Publikums. Es ist warm, aber nicht heiß. Um kurz vor acht am gestrigen Mittwoch (18. Juni) betritt noch niemand die Bühne – dafür erklingt eine verzerrte, fast sakrale Stimme vom Band. Sie predigt: „Herzlich willkommen zur besten Show, die je gespielt wurde.“ Und weiter: „Dich erwartet jetzt die heilige Messe des Italo-Schlagers. Die göttliche Komödie. Der absolute Oberhammer. Das Nummer-eins-Spektakel. Einfach Kult.“
Dann betreten Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys die Bühne. Sechs Männer – alle in Anzügen, mit Sonnenbrillen und gegeltem Haar. Ein Look zwischen süditalienischer Hochzeitsgesellschaft und Linzer Bierzelt. Der Frontmann trägt weiße hochgeschnittene Hosen, schwarze Lederboots und ein Tigerhemd. Die Band hinter ihm von oben bis unten in Creme. Die Lichter tauchen die Bühne in warmes Orange und Rosa. Es ist genau die Farbpalette, die Roy Bianco braucht. Alles an diesem Auftritt ist Inszenierung – und genau deshalb funktioniert es.
Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys: Italo-Schlager auf Deutsch
Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys sind keine klassische Schlagerband, sondern ein durchinszeniertes Projekt. Die Musiker stammen ursprünglich aus Bayern und geben sich aber als fiktive Italo-Formation aus, mit einer erfundenen Historie, die bis in die 80er Jahre zurückreicht. Seit 2016 arbeiten sie an dieser Legende. Die Gruppe besteht im Grunde aus zwei Personen: Dem Sänger Roy Bianco und dem Gitarristen der Band, der sich – obwohl allein – Die Abbrunzati Boys nennt. Ihren Rücken stärken ihre Showband. Die Songs klingen nach 80er-Jahre-Italo-Schlager, ihre Shows wie eine Hommage an diese Ära.

In den Gärten der Welt beginnt der erste Song – und es passiert, was bei anderen Acts bis zum Zugabenteil dauert: Bewegung, Stimmung, Ausbruch. Noch bevor der erste Chorus einsetzt, bildet sich eine Polonaise vor der Bühne. Keine Aufforderung nötig – die Masse weiß, was zu tun ist. Ein Delfin-Luftballon treibt über den Köpfen, reiht sich ein mit einem Löwen und einer Biene. Das Publikum grölt, tanzt, wirft die Arme in die Luft. Der nächste Titel: „Vino Rosso“. Rot wie die Liebe. Bianco singt die Bridge in Pose, das Mikro in der einen Hand, die andere weit ausgestreckt wie im Operettenfinale. Die Menge johlt, als hätte sie auf diesen Moment gewartet.
Zwischen den Songs spricht Bianco in überhöhter, leicht näselnder Falsettstimme: „Heute Abend geht es um alles!“, ruft er, „Um das Gute, um das Schöne, um die Liebe!“ Das Publikum antwortet mit kreischender Zustimmung. Die Energie auf der Bühne ist hoch – und erstaunlich durchchoreografiert. Alles wirkt vorbereitet, aber nichts angestrengt.
Es folgt „Santorin“, gefolgt von einer weiteren theatralischen Ansprache. Die Menge skandiert seinen Namen: „Roy Bianco, Roy Bianco“, wie ein Mantra, das man nach drei Aperol Spritz nicht mehr loswird. Der Sound allerdings verliert sich hier und da – Open Air eben. Und auch wenn die Stimmung warm ist, bleibt ein Teil des Publikums auf Abstand. Menschen laufen, holen Getränke, reden, rauchen. Marzahn bleibt Berlin.
Mittendrin, ganz selbstverständlich: Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys, Italo-Schlager auf Deutsch. Große Gesten, große Klappe, große Inszenierung. Ihre Songs klingen glatter als gedacht, moderner als ihr Image es verspricht – und trotzdem erstaunlich glaubhaft. Es geht um Liebe, um Fernweh, um dramatische Rückblicke und inszenierte Sehnsucht. Um das Gefühl, dass irgendwo zwischen Gardasee, Discokugel und Sprachbarriere vielleicht doch ein bisschen Wahrheit steckt. Diese Musik schwebt zwischen Kitsch und Kino, zwischen Schlagerpose und echter Emotion – und schafft es genau deshalb, ein Lebensgefühl zu vertonen, das glaubhaft nostalgisch wirkt, je länger man zuhört.
Mitten im Set verschiebt sich der Ton. Zwischen Augenzwinkern und Luftküssen lässt Bianco die Figur für einen Moment hinter sich, spricht plötzlich nicht mehr als Entertainer. Es geht um Verantwortung und Respekt: „Wenn hier heute jemand übergriffig ist, sich frauenfeindlich, queerfeindlich oder anderweitig gewaltvoll verhält – dann greift ein. Zeigt Solidarität.“ Die Ansprache gehört zu den wenigen, die sich selbst ernst nehmen – und es funktioniert. Der Applaus ist ehrlich.
Pathos, Pyro und Polonaise
Der Sound an diesem Abend klingt sauber, fast zu sauber. Die Band spielt präzise, vielleicht ein wenig zu routiniert. Es fehlt an Reibung – aber das scheint hier niemanden zu stören. Vieles wirkt mehr wie Kulisse als Konzert. Im letzten Drittel wird das Tempo nochmal angezogen: Nach einer kurzen Pause kehren Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys zurück auf die Bühne. „Bella Napoli“, der bislang erfolgreichste Song der Band, wird angestimmt – und es ist alles da. Die Gärten der Welt erblühen. „Mein Herz schlägt azzurro!“, schreit die Menge den Text mit, als hätte sie nur auf dieses Lied gewartet. Die Musiker müssen nichts mehr tun – das Publikum singt von allein. Es ist laut, es ist wild, es ist genau richtig.

Die Klassiker kommen danach Schlag auf Schlag: „Giro“, „Velocità“, „Ponte di Rialto“, „Sophia Loren“. Pyrotechnik flackert auf – ein Funkenvorhang fällt wie aus dem Nichts. Die Menge hebt die Arme, tanzt, springt. Es ist der Moment, in dem das Spiel mit dem Italo-Schlager sich kurz selbst überholt. „Was für eine Geschwindigkeit hier im Amphitheater – Mama Mia!“, ruft Bianco. Vor der Bühne bildet sich eine neue Polonaise, diesmal länger, lauter, entschlossener. Die italienische Flagge weht am Himmel über Marzahn, irgendwo dazwischen fliegt immer noch der Delfin.
Es ist ein Abend, der mehr Atmosphäre als musikalische Höhepunkte liefert. Eine Show, getragen von Inszenierung und gestützt von dem Spiel mit Klischees. Zwischen Pegel und ironischem Pathos gelingt es der Band, das Publikum mitzunehmen – auch wenn sich nicht jeder Moment trägt. Manchmal wirkt die Inszenierung zu glatt, der Abend eher wie ein Konzept als ein Konzert. Doch wenn es funktioniert, dann richtig: Dann wird getanzt, geschunkelt, geschrien. Dann ist Italo-Schlager mehr als nur Zitat.
Leider blieb ein malerischer Sonnenuntergang aus. In Marzahn ist La Dolce Vita dann doch noch nicht ganz angekommen an diesem Mittwoch im Juni.