Video-Interview

Tamino im Video-Interview: „Wir alle vollziehen im Leben unbewusst kleine Akte des Glaubens“

Wir sprechen mit Tamino über die Auswirkungen von Social Media auf die Psyche, die Interpretation seiner Songtexte und wie man es schafft, Leid auszuhalten.

Es war direkt um sie geschehen. Als Tamino, damals 22 Jahre jung, im Jahr 2018 mit seiner Debüt-Single „Habibi“ auf dem musikalischen Radar erschien, waren sich Kritiker*innen schnell einig: Diese Stimme ist einmalig. Auf „Habibi“ verknüpfte der belgisch-ägyptische Musiker die Einflüsse seines arabischen Erbes mit Indie-Pop, sang die tiefen Noten des Tracks voller Inbrunst und schmerzlich-schön im hohen Falsetto. Kurz darauf erschien sein Debütalbum „Amir“ – benannt nach seinem zweiten Namen – mit weiteren Songs wie „Indigo Night“, „Cigar“ und „Tummy“, die nicht nur millionenfach gestreamt wurden, sondern auch sein Ausnahmetalent bestätigten. Danach kam erst einmal nichts. Vier Jahre später veröffentlichte Tamino endlich sein zweites Album „Sahar“ – ein guter Zeitpunkt, um sich mit dem Musiker für ein ausführliches Video-Interview zusammenzusetzen.

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Tamino ist groß und trägt einen langen, dunklen Wollmantel, der ihn noch größer erscheinen lässt. Er antwortet bedacht, lässt lange Pausen zwischen den Sätzen, möchte seine Gedanken erst sortieren, bevor er etwas zu vorschnell sagt. Der 26-jährige Künstler ist der Enkel des berühmten ägyptischen Musikers und Schauspielers Muharram Fouad, der auch „The Sound of the Nile“ (Klang des Nils) genannt wurde. Mit 17 Jahren vollzog er eine klassische Gesangsausbildung am Amsterdam Royal Conservatory. Einige Jahre später kam „Habibi“, und damit der Erfolg. Kurz vor der Veröffentlichung seines zweiten Albums „Sahar“ hat er seinen Instagram-Account wieder aktivieren müssen, erzählt er, davor war er einige Jahre auf der Plattform abwesend gewesen. „Aus kreativer Sicht ist Social Media eine Ablenkung“, sagt Tamino. „Die natürlichen Impulse, die man in Momenten der Langeweile bekommt, gehen einfach verloren.“ Am liebsten, so erklärt er, wäre er gar nicht erst wieder zurückgekommen. Doch Promo muss sein.

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Schaut Euch hier das ganze Video-Interview mit Tamino an:

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Sein zweites Album „Sahar“ entstand während der Corona-Pandemie. Für ihn persönlich sei es eine gute Zeit gewesen, erinnert er sich zurück – korrigiert sich dann aber schnell, denn die Pandemie sollte generell als nichts Positives abgespeichert werden, findet er. Der Titel „Sahar“ bezieht sich auf den Zeitpunkt kurz vor der Morgendämmerung, führt der Musiker zudem aus. Auf die Frage, wie er auf den Titel kam, sagt Tamino: „Es ist kein Konzeptalbum, nur ein paar Songs, die ich zusammengeworfen habe. Und ich habe einfach nach einem gemeinsamen Gefühl für sie gesucht. Sie scheinen alle in einem sehr reflektiven Zustand zu sein und dieser reflektive Zustand beschwört für mich eine Art Zwischenreich herauf. Als „Sahar“ ein möglicher Albumtitel wurde, dachte ich: Das ist schön, denn kurz vor der Morgendämmerung ist das in gewisser Weise auch so.“ Wir sprechen über seinen neuen Song „You Don’t Own Me“, die Autorin dieser Zeilen teilt ihre Interpretation, dass es darin um eine toxische Beziehung ginge. Tamino lächelt und antwortet: „Es ist mir wichtig, dass die Interpretation der Leute so intakt wie möglich bleibt. Denn jedes Mal, wenn ich etwas darüber sage, habe ich das Gefühl, dass es das in gewisser Weise außer Kraft setzt.“

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Für ihn, so sagt er dennoch, sei „You Don’t Own Me“ „im Grunde ein Aufruf, ein Plädoyer für die Freiheit“. Inspirationsquelle für den Song war das Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ von Viktor Frankl aus dem Jahr 1946. Darin schildert der österreichische Neurologe und Psychiater seine Erfahrungen als Gefangener in einem Konzentrationslager während des Zweiten Weltkriegs und vertritt dabei die Ansicht, dass wir Leiden zwar nicht vermeiden, aber wählen können, wie wir damit umgehen. Tamino erklärt: „Er hat im Grunde das Schlimmste überlebt, was einem passieren kann, und seine Interpretation, warum er es überlebt hat, fand ich sehr inspirierend. Selbst wenn man auf diese Weise unterdrückt wird und immens leiden muss, kann man immer noch – in gewisser Weise – seine Einstellung wählen. Und es ist genau dieser Sinn des Lebens, der einen da durchbringen kann.“ Er fasst zusammen: „Wir alle müssen diese kleinen Taten des Sinns finden, um die Motivation zu finden, das Leiden zu überstehen. Wir alle vollziehen im Leben unbewusst kleine Akte des Glaubens.“

„Sahar“ im Stream hören:

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Tamino kommt 2023 für drei Termine nach Deutschland:

  • Do, 09.02. Zakk, Düsseldorf
  • Fr, 10.02. Muffathalle, München
  • So, 12.02. Uebel & Gefährlich, Hamburg

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