The White Stripes

Kein Hype, sondern ein orgiastisches Musik-Seminar: The White Stripes kämpfen für das Gute- und spielen doch nur Blues

BERLIN, COLUMBIAHALLE. Megs Lieblings-Schlag ist der Dreier: bummbumm-bumm, gefolgt vom Zweier: bumm-bumm, und jenem Rumpelbeat, den versierte Drummer steady nennen dürfen oder straight, der bei Meg aber viel mehr ist. Trotzig, taumelnd, tapsig, tollkühn. Jacks Lieblingstrick ist der ansatzlose, weil spontane Übergang vom Picken zum Strummen und zurück. Ein Bluff, gut getarnt durch frenetische, atemlose Entäußerung. Dies ist kein Konzert, sondern eine Katharsis.

„Dead Leaves And The Dirty Ground“ eröffnet den reinigenden Reigen, stellt die Signale auf rot. Ein Dutzend kleine Megs, 15, 16 Jahre alt, schütteln die schwarzen Mähnen, recken die Fäustchen. Und laufen Gefahr, gegen das Gitter vor der Bühne gequetscht zu werden, als zu „The Hardest Button To Button“ und „Seven Nation Army“ die Hölle hinter ihnen losbricht. Ein paar werden über die Balustrade nach vorne gereicht und von Security-Leuten weggetragen. Während sich Jack White in die Rolle einer eifersüchtigen Ehefrau hineinsteigert: „Jolene, please don’t take my man even though you can.“ Dolly Partons Mid-life-Drama verwandelt sich in einen Exorzismus, Jack tobt und windet sich, Meg klopft stoisch, die Menge johlt.

Es ist kein Jahr her, als Pfeifen landauf, landab den Wert der White Stripes am Hype-O-Meter ablasen. Das Geschrei im Blätterwald verschreckte sie, die vielen rotweißen NME-Covers nährten ihren Verdacht, es müsse sich hier um eine Seifenblase handeln, so schillernd und hohl wie der Neue Markt. Und nun stehen sie da wie begossene Pudel, peinlich berührt, weil es nicht klüger ist, einem vermeintlichen Hype auszuweichen als einem echten hinterherzutrotten. Selber schuld.

Die Fans haben solange die Zeit ihres Lebens. Und werden aufs Lustvollste belehrt. Seit die Stones vor vierzig Jahren den Blues aus Clarksdale und Chicago mit Sex und Stil aufluden und in Richmond zur Detonation brachten, war kein Musik-Seminar mehr so zügellos und orgiastisch. Sicher, das Gelernte will erst noch verdaut werden, aber wenn Teenager Leadbellys „Boll Weevil“ mitsingen und schon bei Nennung des Namens Blind Willie McTell in freudiger Erwartung strahlen, als habe man ihnen für den nächsten Tag schulfrei versprochen, dann ist das zwar noch nicht ein Grund zum Jubeln, wohl aber zum Schmunzeln. The White Stripes, dieser Schluss ist zulässig, immunisieren gegen Viva.

Meg singt „In The Cold,Cold Night“. Meg singt wie sie trommelt. Unstet, unbeirrt, unerbittlich. Kunst kommt schließlich nicht von Können. „Whenever I’m in Berlin“, bekundet Jack, „I feel like Marlene Dietrich.“ Und erspart uns die Erläuterung. Stattdessen rast er durch „You’re Pretty Good Looking“, bolzt „Ball And Biscuit“ und schmilzt bei „I Want To Be The Boy To Warm Your Mother’s Heart“. Als ein paar notorische Mitklatscher stören, gibt er eine gesungene, in den Song integrierte Warnung heraus. Er werde gleich das Tempo wechseln, extemporiert er, und dann würden die Betreffenden ganz schön blöd aussehen. Gelächter, sie verstummen. Charmanter lässt sich die Plage nicht aus der Welt schaffen. Nach zwei Stunden und etlichen Zugaben ist der Zauber vorbei. Und es war doch nur Blues, powered by emotion.

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