Tyler, the Creator in Berlin: 17.000 Menschen im Alleingang bedient

Tyler, the Creator ist der perfekte Performer: Der kalifornische Rapper ist als Hotelpagengeneral genauso überzeugend wie als Chef der House Party.

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Tiefer als bei Lil Yachty kann eine Hose kaum sitzen. Und lethargischer rappen kann auch kaum einer. Mit Minimalaufwand (und subsonischem Bassgewitter) eine riesige Halle zum Kochen bringen, das gelang dem Rapper aus Georgia nahezu bewegungslos.

Sein Freund und Förderer ist ein anderes Kaliber.

Denn Tyler The Creator, der an diesem Abend gegen 21.30 Uhr die riesige, in grünes Licht getauchte Bühne der ausverkauften Uber Arena betritt, trägt nicht nur eine eindrucksvolle Fantasieuniform und einen rekordverdächtig hochgescheitelten Afro, er versteht es, sein anarchisch-enthusiasmiertes Publikum zu dirigieren und einzusetzen wie einen Klangkörper.

Tyler Gregory Okonma ist einer der wichtigsten und originärsten Künstler unserer Zeit

Tyler marschiert in einer Art sediertem Moonwalk über die Bühne, seine behandschuhte Hand deutet gravitätisch nach rechts und links, wo Fans in Fellmützen, Shorts und weißen Socken textsicher mitsingen. Und zu den aggressiv-depressiven Tracks seines aktuellen Albums „Chromakopia“ pogen – der HipHop-Moshpit wogt wie ein grünes Meer.

Tyler Gregory Okonma ist einer der wichtigsten und originärsten Künstler unserer Zeit. Er bewältigt eine fast zweistündige Performance vor 17.000 Menschen komplett im Alleingang, ohne dass es auch nur für Minuten öde wird. Was an seinem unwahrscheinlich breiten Oeuvre liegt – sieben Alben, die in ihrer stilistischen Vielfalt einen Bogen quer durch die afroamerikanische Popkultur schlagen. Im Konzert tippt Tyler viele seiner Songs, gerade auch Hits wie „Earfquake“ oder „I Thought You Wanted to Dance“ nur kurz an, sein (sehr diverses, sehr junges) Publikum rastet kurz aus, dann geht es weiter durch Reggae-, Soul-, Punkrock-Partikel.

Das ist ganz wunderbar. Doch Tylers enorme Wirkmacht liegt vor allem auch an seiner Performance. In Berlin ist sie zweigeteilt. Zunächst gibt der kalifornische Rapper den Hotelpagengeneral mit ultrabreiten Schulterpolstern und einer verstörenden, das Gesicht halb verdeckenden Maske. Er stolziert über die große Hauptbühne, Feuer und Funken sprühen, Schüsse krachen, seine Songs erzählen von Schmerz und Selbstzweifel, sein Körper konterkariert sie mit einer Art militärischem Exerzierritus.

Den gibt er nach ein paar Tracks auf. Zu dem schön schubbernden und ziemlich anzüglichen „Judge Judy“ sitzt Tyler am Bühnenrand und lässt die Beine baumeln, während sich eine riesige Bühne über das Publikum senkt, über die er gleich zu einer Bühneninsel inmitten seiner Fans spazieren wird.

„Shout out to the few Black people“

Sie ist eingerichtet wie ein Wohnzimmer. Tylers berühmte Vintage-Reisekoffer sind dort aufgestapelt, eine Stehlampe, ein Sessel, ein Regal, eine kleine Hammondorgel, ein Plattenspieler, zu dem er schlendert und in einer Plattenbox durch seine eigenen Alben blättert, schließlich eins rauszieht und seelenruhig „Igor“ auflegt, begleitet vom Kreischen der Fellmützenmeute. Er gibt dem Begriff „House Party“ eine neue Bedeutung. Tyler trägt nun nicht mehr Uniform, sondern schwarze Loafer und weiße Socken, ein französisches Oberhemd über dem T-Shirt.

„There’s so many white people here, it’s crazy“, sagt er. „Shout out to the few Black people.“

Einer der wenigen direkten Kommentare an diesem Abend. Irgendwann streift er die Schuhe ab und legt sich aufs Sofa, singt im Liegen, alles so durchchoreografiert wie lässig. Ob er mit „Sticky“ den Saal aufpeitscht (in dem sich Fans live beim Mitsingen und in Posen Werfen filmen) oder sich alle bei „See You Again“ in die Arme fallen – Breitwand-Entertainment, das sich intim und nah anfühlt. Große Kunst. Und als sein weißes Hemdchen auch noch im Wirbel der Windmaschine bauscht, gegen die sich Tyler wirft wie der Michael Jackson des HipHop, rundet sich das Bild des perfekten Pop-Performers.

Über die Brücke geht es schließlich zurück zur großen Bühne, eine Reprise, ein Anknüpfen an den ersten Teil des Abends, mit „St. Chroma“ hatte er angefangen, nun endet er auf dem neuen Album, und schickt seine Fans mit dem wunderbaren „I Hope You Find Your Way Home“ nach Hause.