
Vinyl sollte es auf Rezept geben
Erinnerungen eines Plattensammlers, der einst Fritz Rau, Eric Burdon und Ian Anderson chauffierte.
Ich war der Fahrer“, erzählt Jürgen an meiner Ladentheke. In den Siebzigern nannten ihn alle nur „der Graf“, weil sein Nachname an einen adeligen Politiker erinnerte. Der Graf arbeitete damals bei Konzertveranstalter Fritz Rau und wurde regelmäßig mit der Aufgabe betraut, „die ‚Künschtler‘, wie der Fritz immer sagte“ vom Flughafen abzuholen. Die Rolling Stones, Queen, Deep Purple, Jethro Tull, The Who, Led Zeppelin – der Graf chauffierte sie alle.
Mitunter ergaben sich auch noch ungeplante Fahrten: „Animals-Sänger Eric Burdon hatte plötzlich Durst, da bin ich mit ihm mal schnell zur Tankstelle gefahren, um Bier zu kaufen“, erinnert sich der Graf. Und dann schwärmt er von einem Pink-Floyd-Konzert und dem nahezu magischen Quadrafonie-Klangerlebnis, das schon 1972 im Musikfilm „Pink Floyd: Live At Pompeii“ zu bestaunen war – den es erst seit diesem Jahr auch auf Vinyl gibt, remastert von ihrem jüngeren Progrock Kollegen Steven Wilson.
Wie Pink Floyd war auch Fritz Rau ein Visionär: Er veranstaltete hierzulande die ersten Open-Air-Konzerte und organisierte 1987 mal eben 20 Sonderzüge mit je 1000 Plätzen, die aus ganz Deutschland zu einer exklusiven Madonna-Show nach Frankfurt am Main fuhren. Wer bei „Sonderzug“ an Udo und Pankow denken muss, kann ganz ohne Umsteigen direkt wieder bei Rau landen: Der spielte in Lindenbergs Film „Panische Zeiten“ (1980) nämlich sich selbst. Und Frank Zappa verewigte Rau in seinem Song „Shall We Take Ourselves Seriously?“.
Späte Wiederbegegnung mit Ian Anderson
Im August 2025 traf der Graf Ian Anderson nach einem halben Jahrhundert in Bad Nauheim wieder. Der 78-Jährige und seine Band Jethro Tull spielten abends ein Konzert in der Kurstadt. Hobbyfotograf Anderson war mit seiner Leica-Kamera unterwegs, als der Graf ihn ansprach. Sie plauderten über alte Zeiten und machten ein gemeinsames Selfie, das der Graf mir ein paar Tage später im Laden zeigte. Wikipedia schreibt über Anderson: „Sein Flötenspiel ist durch Überblasen, Flatterzunge (…) und sogar Grunzen charakterisiert.“
Apropos: Neulich habe ich eine Vinyl-Lieferung aus England bekommen, die mit Metzgertüten ausgepolstert war, eine andere LP wurde zum Versand in einen Tiefkühlpizza-Karton gesteckt. Nicht zu vergessen das Konvolut, das in einer „Der echte Scout“-Sammelmappe aus den frühen Neunzigern, Modell „Delfin“, eintraf.
Ein Paar aus Mannheim, das die EP „Our Love Goes Deeper Than This“ von Duke Special feat. Neil Hannon erwarb, berichtete von einem erstaunlichen Anblick: Ihr spanischer Nachbar hatte in der Chatgruppe des Mietshauses darauf hinweisen wollen, dass die Mauer im Hinterhof kollabiert war. Er schrieb den monumentalen Satz: „Die Mauer ist gefallen!“ Noch größer als das Amüsement über diese Nachricht war die Überraschung am nächsten Morgen: Der Schlafzimmerbalkon von Nathalie und Daniel befand sich nun in einer unfreiwilligen Blickgemeinschaft mit dem Fenster eines Tonstudios. Und dann erspähten sie das markante Gesicht von Konstantin Gropper!
Der Name von dessen Band Get Well Soon passt zu der Tatsache, dass Villa Hansa Schallplatten als Kurstadtgeschäft oft von Reha-Patienten besucht wird. Manche wollen nur ein Elvis-Souvenir, für andere ist Musik so rekonvaleszenzrelevant, dass es Vinyl auf Rezept geben müsste.
Ein Plattensammler aus Berlin war nach einem Unfall taub geworden, konnte dank eines Implantats aber wieder hören. Er kaufte die Single „Free Me“ von Uriah Heep. Diese Band hat der Graf einst bestimmt auch chauffiert.