Wer ist der Bekloppte?

Die Musikindustrie liegt am Boden, der Kunstmarkt boomt. Findet Pop heute in den Galerien statt? Der Künstler Via Lewandowsky und der Sammler Ivo Wessel über die Mechanismen des Kunstsystems.

Bisher hängen im sonnigen Loft von Ivo Wessel in Berlin gerade mal zwei Bilder an der frisch gestrichenen Wand. Bücher türmen sich in einem Gebirge aus Kisten. Zum „Gallery-Weekend“ Ende April soll die Kunst ihren Platz gefunden haben. Der gerade umgezogene Kunstsammler hat also noch einiges auszupacken – allein von Via Lewandowskys humorig-hintersinnigen Bildern und Installationen besitzt der 1965 geborene Software-Entwickler zwei Dutzend Arbeiten. Seinen „Lieblingskünstler“ nennt Wessel den zwei Jahre älteren Lewandowsky, dessen „Roter Teppich“, der im Ministerium für Verteidigung liegt, eine Luftaufnahme des zerbombten Berlin zeigt. Ein Gespräch über Kunst, Kommerz, Kirche und das Wesen der Freundschaft zwischen Kunstsammler und Künstler.

Noch vor ein paar Jahren hieß es ständig, Kunst sei der neue Pop. Stimmt das?

Lewandowsky: Mit Beuys könnte man sagen: Alles ist Pop. Hat er doch gesagt, oder? (lacht)

Naja, fast. Immerhin hat er einen lustigen Popsong gemacht, „Sonne statt Reagan“.

Wessel: Kunst war insofern Pop, als in den vergangenen Jahren viele neue Leute zu den Kunst-Events kamen, und die können nun auch am ehesten wieder auf Kunst verzichten. Wenn nächstes Jahr etwas anderes angesagt ist, dann gehen sie halt dahin.

Sind Sie als ernsthafter Sammler von solchen Kurst-mal-vorbei-Schauern genervt?

W: Es ist schon irritierend, dass sich da auf einmal Leute mit einem gemein machen wollen, denen man nicht im Dunkeln begegnen will. Sie machen das natürlich mit den besten Absichten, aber Kunst kann man sich nicht nur kaufen, sondern man muss sich auch darum kümmern. Sammeln ist keine olympische Disziplin, und nur dabei sein längst nicht alles.

L: Die Kunst ist ja so eine Art pseudoreligiöses System. Da gibt es unterschiedliche Kirchen und Glaubensrichtungen. Für jeden ist etwas dabei. W: Unter Marias Mantel hat alles Platz, wie wir Ex-Katholen sagen.

L: Dass der Kunst die Leute jetzt weglaufen, genau wie der Kirche, hat mit ihrem Anspruch zu tun, die allein seligmachende Lehre zu verkünden. Und dieser heiß laufende Kunstmarkt hat natürlich auch viel Verdruss geschaffen.

Bemerken Sie denn jetzt die Krise?

L: Ich bin von der Krise verschont geblieben, so wie vorher auch schon von der großen Geldblase. Ich mache oft Kunstprojekte im öffentlichen Raum. Da fällt mir schon auf, dass sich gerade viel Künstlerprominenz um diese Gelder drängelt. Früher wären solche Projekte unter ihrem Anspruch gewesen.

W: Galeristen hören einem jetzt wieder zu – und nicht nur auf das Klappern im Portemonnaie. Die, die immer schon gekauft haben, die kaufen ja weiter und sind nur kurzzeitig weggedrängt worden von diesen Snob-Sammlern, die ihrer Existenz noch etwas Intellektuelles hinzufügen wollten, indem sie eben auch noch ein bisschen in Kunst machten.

Haben Sie zu jedem Ihrer Künstler persönlichen Kontakt, Herr Wessel?

W: Meist schon. Bei manchen ist der Mensch allerdings keine so gute Ergänzung zum Werk. Mit Herrn Lewandowsky traf es sich ganz gut.

Sind Sie neugierig auf Ihre Sammler?

L: Ich pflege zu vielen einen engen Kontakt, vor allem zu denen, die Arbeiten gekauft haben, die mir selbst besonders am Herzen liegen. Viele meiner Sachen will man eigentlich nicht im Wohnzimmer haben, sie sind weder repräsentativ noch lassen sie sich mit Design vereinbaren. Ich selbst sammle auch. Ziemlich begrenzt zwar, aber ich versuche mit Künstlern zu handeln oder zu tauschen. Man geht beim Sammeln eine Beziehung ein, man erwirbt quasi ein Stück der Persönlichkeit des anderen und nimmt das in sein Leben auf. Das macht schnell süchtig. W: Aber Sammeln ist ja auch eine Qual… L: Ja, es ist genauso ein Borderline-Ding wie das Produzieren selbst. Beides hat etwas Manisches.

W: Sammeln fängt ja da an, wo die Erklärungen aufhören. Wenn Sie einen Grund haben, dann ist das kein Sammeln, sondern: Kaufen. Im banalsten Fall kann die Erklärung lauten: Ich habe da Platz über dem Sofa, oder jemand sagt, es sei eine gute Wertanlage. Sammeln ist, wenn alle rationalen Argumente dagegen sprechen.

Meist gehen Sammler und Künstler ja nur ab und zu miteinander essen, oder der Sammler schaut mal im Atelier vorbei. Ihr Verhältnis zueinander geht ja weit darüber hinaus.

W: Lewandowsky ist für mich eine Dauerbeschäftigung. Ich lebe mit seinen Arbeiten zusammen, es vergeht kein Tag, an dem ich sie nicht sehe.

Und, Herr Lewandowsky, wie oft denken Sie an Herrn Wessel? Lewandowsky lacht. Beim Blick auf den Kontoauszug?

L: Darüber sind wir schon längst hinaus. Unsere Verbindung hat sich schon seit einer ganzen Weile von der monetären Last gelöst.

W: Wir haben ja eine eigene Währung. L: Es ist jetzt eine sehr vergeistigte Verbindung. Wir finden andere Kompensationsleistungen. Etwa wenn es um hochkomplexe Programmierungen geht, für die ich normalerweise einen Bankkredit aufnehmen müsste. Dann tauschen wir Arbeit gegen Arbeit.

Wie haben Sie sich kennengelernt?

L: Es ging um die Arbeit „Gratulation“. Der Galerist sagte nur: „Da ist jemand, der sich stark für dich interessiert.“

W: Die Arbeit hatte einen kleinen Defekt. Und das Kuriose war, dass ich sie erst nach einem Jahr im Atelier abgeholt habe. Sie haben sich wohl gefragt: Was ist das denn für ein Bekloppter, der seinen Kauf so lange rumstehen lässt? Bei mir ist es so, dass ich manche Kunst in meiner Nähe brauche – und manchmal reicht es zu wissen, dass ich sie besitze. Dann ist es mir egal, wo sie sich befindet. Das muss so 1997 gewesen sein.

Sie siezen sich. Warum, nach all den Jahren?

L: Ich sieze auch manchmal meine Mutter, wenn es nötig ist.

W: Dieses permanente Geduze im Kunstbetrieb hat mich schon immer abgeschreckt. Auf Eröffnungen stehen immer Künstler rum, die einen ankumpeln und einem sofort ihre eigenen Sachen andrehen wollen. Das ist so, als würden Sie eine Geburtstagsparty geben, und dann kommen irgendwelche Abstauber und sagen zu Ihren Gästen: Kommt doch lieber auf meine Feier!

L: Der Kunstbetrieb ist ein extrem wechselhaftes, sich ständig neu generierendes Gebilde. Es gibt nur Wenige, die lange im Gespräch bleiben, quasi die

Götter im Olymp. Von vielen Künstlern, mit denen ich Anfang der Neunziger ausgestellt habe, hört man heute überhaupt nichts mehr.

Geht es dabei denn um Qualität?

L: Was ist schon Qualität in der Kunst? Die Hauptsache ist doch die Performance. Von einem Jonathan Meese verlangt niemand, dass der ein gutes Bild malt. Trotzdem ist er sehr erfolgreich, wenn er seine Bilder beschmiert, rumschreit, „Heil Hitler“-rufend über die Bühne rennt und seinen Schabernack treibt. Wenn aber jemand im Atelier genau so malen würde, hätte das niemals diesen Wert. Qualität in der Kunst ist auch, eine gute Strategie zu haben.

W: Als Physiker können Sie heute nicht herkommen mit E=mc2 , da würde man sagen: Stimmt erstens nicht ganz, und zweitens war es schon mal da. Oder bei der Musik, mach ich da „Tattattatttaaaa“ würden alle sagen: Zu spät. Beethoven war schneller. L: In der Kunst kann man „Tattattatttaaaa“ machen, und viele werden das toll finden. Wenn man sich Pipilotti Rist anschaut, die in ihren frühen Arbeiten mit der Band Les Reines Prochaines Popsongs auf DIY-Niveau nachgesungen hat. Dann war das ja eigentlich eine Form von zur Schau gestellter Karaoke. Sowas funktioniert nur in der Kunst.

W: Ich bin Informatiker, und für die Informatik kann ich sagen: Es gibt einen objektiven Gehalt von Dingen, und der ist messbar. L: Die Kunst ist eben eine Art Schwarmintelligenz mit Down-Syndrom. Da wird das Gruppenverhalten vom Individualverhalten so gebrochen, dass es gerade nicht zum Effekt der Schwarmintelligenz kommen kann. Was in anderen Bereichen zum Systemausfall führen würde, ist in der Kunst ein Motor. In der Musik ist das eindeutiger: Einer voraus und alle hinterher. Kunst generiert Erfolg, aber auch oft gleich viel Antipathie wie Sympathie. W: Ja, weil: die anderen hätten es ja auch machen können. Das ist der Effekt, warum solche Leute besonders beneidet werden. L: Es ist entscheidend, wer wann wo etwas sagt. Man kann eine Idee, die vor zehn Jahren keine Funken geschlagen hat, wieder hernehmen und in einem neuen politischen oder kunsttheoretischen Kontext daraus eine grandiose Arbeit machen. Das ganze Kunstsystem ist wie ein offenes Archiv angelegt. Da kann sich jeder bedienen. Es gibt kein Copyright auf Ideen wie in der Musik für Melodien.

Für Ihre Soundinstallation „Applaus“ haben Sie das Klatschen von 126 Sammlern, Kritikern, Kuratoren, Museumsdirektoren ausgestellt. War das als ironische Spiegelung des Systems gedacht?

L: Ja, die Vernissage, das Feiern, die Belobigung, die Kritik – das, was normalerweise am Ende steht, das war mein Arbeitsmaterial. Mir ging es um diese völlig in sich gekehrte Schleife.

Hat sich denn jemand darüber aufgeregt?

L: Kunst ist wie eine Gummizelle, da werden alle Schläge aufgenommen, und am Ende ist nur das wohlfeile Grunzen und zufriedene Schnarchen zu hören. Es ist wie ein kritik-absorbierender Raum – je mehr Kritik, desto mehr Kunst.

Wenn man Ihre Namen googelt,findet man mehr Texte zum Sammler als zum Künstler. Und auf Promi-Partyfotos entdeckt man dauernd Sammler. Sind die jetzt die Popstars des Betriebs?

W: Ich habe eben die bessere Google-Ranking-Strategie!

L: Daran sieht man wieder, wie wichtig die Performance ist.

Via Lewandowsky wird von der Galerie Cream Contemporary (www.creamcontemporary.com) in Berlin vertreten. Für September diesen Jahres ist eine Einzelausstellung mit ihm geplant.

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