Weshalb man „Ku’damm 77“ sehen sollte
„Ku'damm 77“: Annette Hess setzt die Schöllack-Saga kongenial fort. Starkes Ensemble, intensive Inszenierung
Annette Hess hat die „Ku’damm“-Saga um die Familie Schöllack und ihre Tanzschule in die Disco-Zeit fortgeschrieben. Machen Sie Erdbeerbowle und ziehen Sie die Tanzschuhe an!
Als die Serie „Ku’damm 56“ im Jahr 2016 begann, witterten manche Rezensenten die Restauration der Adenauer-Zeit. Vollkommen zu Recht, denn die Geschichte der Familie Schöllack und der Tanzschule „Galant“ am Kurfürstendamm hat die Autorin Annette Hess als ein nicht ganz exemplarisches, aber paradigmatisches Nachkriegspanorama angelegt, in dem Verdrängung und Vertreibung, Schlager und Rock’n’Roll, Muckefuck und Frauengold aufs Schönste zusammenfanden.
Claudia Michelsen spielt die konservative, bei Bedarf aber verblüffend umstandslose Patriarchin Caterina Schöllack, die Töchter werden dargestellt von Sonja Gerhardt, Maria Ehrich und Emilia Schüle. Die Männer werden verkörpert von Heino Ferch (mit Schmalzlocke) und Uwe Ochsenknecht, Sabin Tambrea, August Wittgenstein und Trystan Pütter. Dazu Katharina Schüttler. Ein besseres Ensemble gibt es im deutschen Fernsehen nicht.
Es war ein behagliches Gefühl, den „Forellenhof“ und „Die Unverbesserlichen“ mit besseren technischen Möglichkeiten in einer Art Reenactment zu sehen. Zugleich hat „Ku’damm“ auch das Sentiment und die Unerbittlichkeit von Edgar Reitz‘ „Heimat“. Die Schöllacks begleiteten wir durch die Jahre 1959 und 1963, Wirtschaftswunder, Westbindung, Berliner Mauer, Kennedy-Besuch. Die Männer wechseln, die Frauen bleiben.
Die Saga wird fortgeschrieben
Nun hat Annette Hess die Saga fortgeschrieben. 14 Jahre liegen zwischen den letzten Auftritten der Schöllacks und „Ku’damm 77“. Caterina kokettiert damit, eine alte Frau zu sein, und die Töchter führen ein Dreimäderlhaus. Marie Louise Albertine Becker und Carlotta Bähre als die Enkeltöchter Friederike und Dorli ergänzen das Personal außerordentlich kregel. Getanzt wird auch wieder: Großmutter kann auch Disco, und diesen John Travolta findet sie schon attraktiv.
Man droht, der Tanzschule und der darüber gelegenen Wohnung verlustig zu gehen, weil eine jüdische Stiftung die Immobilie den Eigentümern zurückgeben will. Die Schöllacks hatten eine Reichsmark bezahlt. „Es waren andere Preise damals“, sagt Caterina.
Diese Caterina, das zeigt eine Exkursion aufs plattdeutsche Land zu einem Begräbnis, war ein lustiges und wildes Mädchen, bis sie nach einem Ausbüxen zum Rummel vom Ziehvater verprügelt wurde. Annette Hess hat schon bei ihrer Fassung von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ manchen Kunstgriff angewendet.
Caterina altert nicht, das Haar wird nur silbriger. Und Sabin Tambrea kehrt als Wiedergänger seines Bruders zurück. Er ist nun der Lehrer Robert Beck. Tambrea sagt, dass er wieder mitspielen wollte. Das macht er ebenso gut wie August Wittgenstein, der in Ostberlin von seinem schwulen Freund denunziert wird. Und Emilia Schüle kommt aus dem Gefängnis zurück und rettet die Familie.
Melodram statt Telenovela
Manche nennen es Telenovela. Ich nenne es Melodram. Annette Hess ist die Douglas Sirk des Serienzeitalters: Bei ihr kann die Lahme wieder tanzen und den Rollstuhl wegwerfen, denn es gibt eine wunderbare Macht. Nicht zuletzt ist „Ku’damm 77“ ein Ausstattungswunder. Der junge Maurice Hübner hat Kammerspiel und Tanz-Szenen wunderbar inszeniert. Und die fantastischen Leistungen der Schauspieler werden gekrönt von Uwe Preuss als berlinerndem Polizisten.
Es muss weitergehen am Ku’damm!