Wider die Schrebergärtner

Viele Roots-Rock-Freunde haben einiges mit Schrebergärtnern gemein. Beide igeln sich gerne ein und greinen gleich los, wenn der Lieblingshase mal andere Kohlfelder anknabbert. Für Neal Casal heißt das andere Kohlfeld „Oceanview“ – „womöglich mein Favorit“ (Casal) auf seinem neuen Album „Anytime Tomorrow“ und erwiesenermaßen ein Song, der jenen Schrebergärtnern gleich in zweierlei Hinsicht heftige Kopfschmerzen bereitere).

Zum einen sei er zu poppig (Melodie!), obendrein noch zu experimentell (Schlussjam!). Noch bevor die Sessions in Kalifornien begonnen hatten, war „Oceanview“, so Casal, „Gegenstand einer heftigen Kontroverse“. Die Freunde bedrängten ihn, er solle den Song lieber nicht aufnehmen, sei er doch „uncharakteristisch für meinen Sound“ und überhaupt merkwürdig. Einmal im Studio witterten die Opponenten noch einmal Morgenluft, als Casal sich schon drei läge mit diesem Track mühte. „Als sie das mitbekamen, gaben sie mir insgeheim zu verstehen: Komm, Neal, gib auf, es wird nicht funktionieren. Als es dann schließlich endlich funktioniert hatte, kamen „andere Leute, die wollten, dass ich diesen Song von der Platte nehme. Angeblich passe er nicht rauf.“

Gut (für die Platte), dass Casal Stehvermögen bewiesen hat und sich selbst vertrauen konnte. Und einem so erfahrenen Produzenten wie Jim Scott, der unter anderen mit Tom Petty gearbeitet hat und „einer der wenigen war, die da voll hinter mir standen“. War er nicht enttäuscht von den anderen Reaktionen? „Natürlich ist das sehr engstirnig, Ja, ich war enttäuscht und frustriert. Ich stellte sogar mich selbst und den Song in Frage. Ist der wirklich so verrückt? Ich erfinde das Rad doch nicht neu damit. Und: Es ist nur ein Song. Ein Song!! Keine Kugel, keine Waffe.“

Rückblickend erkennt der Songwriter aus New Jersey aber auch: „Es hätte mich nicht überraschen sollen. Es gibt einfach Leute, die denken, sie hätten Besitzansprüche an einen Künstler. Wenn Du einmal einen Sound gemacht hast, den sie mögen, wollen sie, dass du nur noch diesen einen Sound machst.“ Für Casal manifestierte sich dieser Sound bereits auf „Fade Away Diamond Time“, seinem Debüt von 1995 und „immer noch das Lieblingsalbum vieler meiner Fans. Aber ich kann nicht immer nur Country-Rock spielen.“ Wofür ihm auch Top-Musiker wie John Ginty und Greg Leisz dankbar sind, die, so Casal, „dafür leben, immer wieder Dinge auszuprobieren. Genau das lasse ich sie tun. Denn so großartig sie auch sind: Sie spielen genug Sessions, wo sie keinerlei Freiheiten haben. Bei mir haben sie Freiheiten – und genau deshalb kommen sie gern immer wieder.“

Was den US-Markt angeht, ist Casal guter Hoffnung, auch wenn die Situation zumal für Singer/Songwriter „noch schwieriger ist als Mitte der 90er Jahre“. Von Re-Etablierung spricht er, dabei war er in seiner Heimat kaum je etabliert: „Fade Away Diamond Time“, für eine US-Majorplattenfirma eingespielt, verschwand damals – zum bloßen Abschreibungsobjekt degradiert -schon kurz nach der Veröffentlichung aus den Regalen. „Wer wachsen will, muss manchmal auch Schmerzen ertragen“, lautet Neal Casals Credo, der für die Zukunft Platten verspricht, die stilistisch „noch abenteuerlicher“ ausfallen sollen. Harte Zeiten für Schrebergärtner.

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